Bei Leerverkäufen wetten Investorinnen und Investoren auf fallende Kurse von Wertpapieren. So verkaufen sie beispielsweise Aktien, die sie sich zuvor von anderen Anlegern gegen eine Gebühr geliehen haben. Sie setzen darauf, dass der Kurs bis zum Rückgabetermin gefallen ist und sie sich billiger mit den Titeln eindecken können. Die Differenz zwischen diesem Kurs und dem höheren Verkaufspreis abzüglich der Gebühr streichen die Investorinnen und Investoren als Gewinn ein.
Das Leerverkaufen kann gerade in Zeiten fallender Kurse an den Aktienmärkten sehr lukrativ sein, wenn auch konjunkturell und geldpolitisch ein Gegenwind herrscht. Zwar stehen die sogenannten Short Seller immer mal wieder in der Kritik, sie würden durch ihr zum Teil rigoroses Vorgehen den Börsen beziehungsweise einzelnen Unternehmen schaden, weil sie die Kurse ins Bodenlose stürzen liessen. Doch dieses Urteil steht auf tönernen Füssen: Leerverkäufe können bestehende Abwärtstrends zwar beschleunigen oder ausweiten. Doch es gibt wenig belastbare Anzeichen dafür, dass Aktien allein dadurch zu fallen beginnen.
In den meisten Fällen gab es vor den Kursverlusten zudem schlechte Unternehmensnachrichten, die der initiale Auslöser für den Rückgang des Unternehmenswerts waren. Somit unterstützen Leerverkäufer durch ihren Handel auch einen Abbau von übertriebenen Unternehmensbewertungen. Und manchmal machen Leerverkäufer auf einen Betrug aufmerksam, der am breiten Markt übersehen wird. Dies war zuletzt beobachtbar bei Wirecard, als Leerverkäufer ungehört vor der fehlerhaften Bilanz warnten. Daher ist es für Anlegerinnen und Anleger von Interesse, wo Leerverkäufer aktiv sind.
Darüber gibt das "Short Interest" Auskunft: Berechnet wird dieses, indem die Gesamtzahl leerverkaufter Aktien durch die Gesamtzahl aller frei handelbaren Aktien geteilt wird. In den untenstehenden Liste sind 20 US-Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mindestens 20 Milliarden Dollar anhand des Short Interest abesteigend aufgeführt.
Titel | Sektor | Performance 2020 | Short Interest | Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) |
Sirius XM | Unterhaltung | -4 Prozent | 11,8 Prozent | 19 |
T. Rowe Price | Finanzdienstleistungen | -39 Prozent | 10,9 Prozent | 10 |
MPLX | Energiedienstleistungen | -1 Prozent | 9,8 Prozent | 10 |
Lucid Group | Autobauer | -56 Prozent | 8,3 Prozent | - |
Globalfoundries | Halbleiter | -34 Prozent | 7,4 Prozent | - |
Illinois Tool Works | Industrie | -25 Prozent | 7,4 Prozent | 23 |
Royalty Pharma | Pharma | +8 Prozent | 7,4 Prozent | 42 |
Kellogg Company | Nahrungsmittel | +10 Prozent | 7,4 Prozent | 18 |
Cheniere Energy Partners L.P. | Flüssigerdgas | +11 Prozent | 7,0 Prozent | 12 |
McCormick & Company | Nahrungsmittel | -10 Prozent | 7,0 Prozent | 28 |
Palo Alto Networks | Technologie | -10 Prozent | 6,8 Prozent | - |
Paychex | Finanzdienstleistungen | -11 Prozent | 6,8 Prozent | 32 |
Apollo Global Management | Private Equity | -28 Prozent | 6,7 Prozent | 15 |
Charter Communications | Telekommunikation | -30 Prozent | 6,5 Prozent | 15 |
Sysco | Logistik | +8 Prozent | 6,4 Prozent | 31 |
Amgen | Biotechnologie | +7 Prozent | 6,3 Prozent | 15 |
Visa | Finanzdienstleistungen | -11 Prozent | 6,3 Prozent | 33 |
Alexandria Real Estate Equities | Immobilien | -34 Prozent | 6,1 Prozent | 62 |
Digital Realty | Immobilien | -23 Prozent | 5,6 Prozent | 86 |
HP | Technologie | -9 Prozent | 5,5 Prozent | 8 |
Daten: Bloomberg.
Am deutlichsten leerverkauft ist mit 11,8 Prozent der Stellitenradio-Anbieter Sirius XM. Der Ausblick für den US-Werbemarkt dürfte sich in den kommenden Monaten wegen des konjunkturellen Gegenwinds eintrüben, was die Aktien wohl belasten wird. Auch der Elektroautohersteller Lucid Group stösst bei den Leerverkäufern auf Resonanz. Das Unternehmen schreibt aktuell Verluste, was im Umfeld steigender Zinsen Gift ist. Gleiches gilt für das IT-Sicherheitsunternehmen Palo Alto Networks oder den Halbleiterhersteller Globalfoundries.
Das grösste Arbeitspotenzial weist hinsichtlich der Bewertung das REIT Digital Realty auf - das KGV liegt bei hohen 86. Der Rechenzentren-Betreiber ist dabei auch auf die Abschussliste von Jim Chanos geraten. Dieser ist an der Wall Street bekannt dafür, den Energiekonzern Enron vor dem Zusammenbruch vor mehr als 20 Jahren leerverkauft zu haben. cash.ch hat hier darüber berichtet, warum Chanos bei REIT wie Digital Realty weiter grosses Korrekturpotenzial sieht.
Überraschender ist hingegen, dass Kellog, Amgen, Visa und HP auf der Liste vertreten sind. Dies sind etablierte Unternehmen mit wiederkehrenden Gewinnen. Insbesondere Amgen und HP erfreuen sich auch wegen der grosszügigen Dividendenpolitik grosser Beliebtheit unter Anlegerinnen und Anlegern. Ein hoher Short Interest heisst daher nicht zwangsläufig, dass das Geschäft eines Unternehmens zum Scheitern verurteilt ist. Und es gibt prominente Fälle - Gamestop oder Tesla -, wo Leerverkäufer hohe Verluste erlitten haben.
Denn Leerverkäufer sorgen mit ihrer Aktivität häufig auch für die eine oder andere Kursexplosion nach oben. Steigt eine leerverkaufte Aktie, müssen diese ihre Short-Positionen glatt stellen. Die Leerverkäufer müssen die Aktien mit Verlusten zurückkaufen. Diese Angebotsknappheit endet dann in einem Short Squeeze, die Aktie steigt deutlich an.