cash.ch: Frau Meier, neben Bitcoin machen mit Ethereum und Solana weitere Kryptoassets von sich reden. Was spricht für sie?

Sina Meier: Wenn Bitcoin als digitales Gold betrachtet wird, dann sind Ethereum und Solana als Plattformen für Innovation zu sehen. Diese Plattformen bilden die Grundlage für neue, internet-native Anwendungen, die innovative Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen hervorbringen werden.

Diese Plattformen funktionieren als Community. Warum sollten ganz normale Privatanleger daran teilnehmen?

Der Vergleich mit der Anlageklasse Aktien macht es deutlich. Wie bei Aktien, wo man in verschiedene Sektoren und Unternehmen investiert – wie Lebensmittelkonzerne, Technologieunternehmen, Banken und Pharmaunternehmen – verhält es sich auch bei Kryptoassets. Krypto Assets ist eine sich etablierende Assetklasse und auch hier gibt es Unterschiede. Bitcoin hat ein anderes Wertversprechen wie zum Beispiel Ethereum oder Solana. Jedes dieser Kryptoassets hat seine eigenen Eigenschaften und Anwendungsbereiche. Daher ist es sinnvoll, nicht nur in Bitcoin zu investieren, sondern auch in andere Kryptoassets, die unterschiedliche Nutzen und Potenziale bieten.

Gehen wir davon aus, dass fünf Prozent des Portfolios aus Kryptowerten besteht. Wie sollte man diese fünf Prozent auf die einzelnen Kryptowerte aufteilen?

Wir geben grundsätzlich keine Anlageempfehlung. Was ich sagen kann: Der grösste Teil wird auf Bitcoin entfallen, den kleineren Teil könnten Ethereum, Solana und andere ausmachen.

Es gibt unter Experten auch die Ansicht, dass Ethereum und Solana nicht Komplemente zu Bitcoin, sondern Alternativen zu Technologieaktien sind. Was denken Sie dazu?

Sehr technologieaffine Anleger können das so halten. Konsequenterweise muss man dann aber Bitcoin als Commodity auffassen und zum Beispiel zum Gold dazu kaufen. Diese Diskussion wird rasch unnötig schwierig. Deshalb sollte man Bitcoin, Ethereum und Solana als Kryptowerte behandeln. Dann ist die Abgrenzung klar, und es fällt leichter, ein Portfolio zu überblicken.

Für Bitcoin und Ethereum sind die ETF-Zulassungen unter Dach und Fach, bei Solana noch nicht. Weshalb?

Da gibt es mehrere Aspekte. Bei Ethereum ging es relativ schnell, schneller als ich es mir gedacht habe. Bitcoin aber brauchte seit der ersten ETF-Einreichung über fünf Jahre, durchlief also einen langen Prozess. Bei Solana gibt es nun schlicht zu viele offene Fragen: Handelt es sich um ein Wertpapier oder eine Commodity? Das ist rechtlich relevant. Zudem: Ist Solana genug bekannt und genügend gross? Die Marktkapitalisierung ist fünfmal tiefer als jene von Ethereum. Auch der Total Value Locked - praktisch also das insgesamt verwaltete Vermögen - ist noch vergleichsweise gering.

Die Bilanz der letzten Monate fällt für Bitcoin bescheiden aus. Trotz ETF-Zulassung, 'Halving' und der Aussicht auf eine US-Zinssenkung: Der Bitcoin-Kurs bewegt sich insgesamt seitwärts oder abwärts. Weshalb?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erfahrungsgemäss steigt der Preis nicht unmittelbar nach dem Halving. Eine zirka neunmonatige Verzögerung ist normal. Zudem ist anzunehmen, dass die positiven Effekte der ETF-Zulassung und der sinkenden Zinsen schon im Frühjahr eingepreist waren. Im Weiteren ist sehr viel Unsicherheit im Markt. Zudem gab es grosse Verkäufe, beispielsweise durch die deutsche Regierung, Genesis und dem Mt-Gox-Skandal vom Jahr 2014, der sich bis in die Gegenwart hineinzieht.

Im August ist der Bitcoin-Kurs parallel zum Aktienmarkt gefallen und hat sich bisher nicht vollständig erholt. Gold hingegen hat abermals ein neues Allzeithoch erreicht. Was spricht nun für Bitcoin gegenüber Gold?

Es stimmt, dass in unsicheren Zeiten viele Anleger weiterhin Gold als sicheren Hafen bevorzugen. Doch es gibt mehrere überzeugende Gründe, warum Bitcoin eine aufstrebende Alternative sein könnte. Bitcoin ist auf 21 Millionen Einheiten limitiert, was eine eingebaute Knappheit schafft, die im digitalen Raum einzigartig ist. Darüber hinaus ist Bitcoin nicht nur leichter und schneller transferierbar, sondern auch einfacher teilbar, was ihn für den globalen Handel attraktiver macht. Zudem sind die Lagerkosten für Bitcoin erheblich niedriger als bei physischem Gold. Während Gold seit Jahrhunderten seinen Wert bewahrt, hat Bitcoin das Potenzial, in einer digitalisierten Welt einen noch wichtigeren Platz als Wertspeicher einzunehmen.

Würden Sie also sagen, dass Anleger eher zu Gold neigen, weil sie emotional, nicht rational entscheiden?

Ein Bonmot sagt, der einzige Nachteil von Bitcoin sei, dass er nicht glänzt. Aber ja, zum Teil spielt die Anlegerpsychologie eine Rolle. Gold kennt man, es ist greifbar und gilt seit vielen Jahrzehnten als sicherer Wert. Ausgeblendet wird oft, dass das Edelmetall beispielsweise nach der Aufhebung des Goldstandards in den 1970er-Jahren ebenfalls sehr volatil war. Nun wissen wir nicht, was die Zukunft bringt. Es ist vorstellbar, dass Bitcoin so normal wird wie Gold und auch die Grafiken zeigen auf, dass die Volatilitätswellen abflachen.

Welche konkreten Entwicklungen beobachten Sie, die eine solche Normalisierung bewirken?

Seit Anfang Jahr in der USA die Bitcoin- und Ethereum-ETF zugelassen sind, setzen immer mehr grosse Investoren auf Bitcoin.

Welche Investoren sind das?

Pensionskassen schauen sich den Kryptomarkt genauer an. Hedgefonds sind schon eingestiegen. Privat- und Grossbanken sowie einige Regio- und Kantonalbanken sind auch dabei. Zum Beispiel hat Morgan Stanley beschlossen, dass alle 15000 Berater ihren Kunden Bitcoin empfehlen dürfen.

Im November stehen die US-Wahlen an. Wie wird sich ein Sieg der Republikaner respektive ein Sieg der Demokraten voraussichtlich auf die Krypotassets auswirken?

Donald Trump skizzierte mehrere wohl vage, aber optimistische Pläne für Bitcoin. Darunter die Kryptoindustrie in den USA zu halten, um der Abwanderung von Talenten entgegenzuwirken. Zudem die Förderung des inländischen Minings in den USA, um den Einfluss des Landes auf die Branche zu konsolidieren. Angeblich hat Trump mit Joe Biden darüber gesprochen, wie Bitcoin zur Bewältigung der US-Schuldenkrise eingesetzt werden kann. Auch will er den Kreuzzug der Biden-Administration gegen Kryptowerte beenden. Unter Trump würde Gary Gensler, Vorsitzender der SEC (US-Börsenaussicht, Anm. der Red.), vielleicht entlassen.

Und wie schätzen Sie die Demokratin Kamala Harris ein?

Es ist bisher unklar, was ein Sieg von Kamala Harries für die Branche bedeuten würde. Ihre Kampagne hat sich nach der Ankündigung ihrer Präsidentschaftskampagne an mehrere kryptozentrische Gruppen gewandt, um zu versuchen, die Beziehungen wiederherzustellen, aber bisher ist nichts Konkretes dabei herausgekommen. Sie hat eine kryptozentrische Gruppe 'Krypto für Harris' gegründet. Harris erschien nicht zur ersten Diskussionsrunde, was zeigt, wie wenig ernst sie das Thema nimmt. Es gibt einige neu kursierende Gerüchte, dass sie Gary Gensler zum Finanzminister ernennen könnte, was Probleme für Krypto bedeuten könnte. Letztlich dürften die 50 Millionen Amerikaner, die Kryptoassets halten, relevant werden. Die Präsidentschaftskandidaten könnten sich gezwungen sehen, sich ihnen anzupassen. Das ist vermutlich politischer Opportunismus und womöglich nicht nachhaltig. Mittel- und Langfristig sind andere Einflüsse stärker als die Wahlen.

Woran denken Sie genau?

Die wachsende Akzeptanz ist wohl der stärkste Rückenwind für Kryptos. Durch die ETF-Zulassungen ist sie bereits stark gewachsen, und sie hat noch sehr viel Potential nach oben. Hinzu kommt die technologische Entwicklung. Der Fortschritt hilft den Kryptoassets. Denn das Image einer zwielichtigen Sache weicht.

Welche Abwärtsrisiken gibt es?

Die Konjunktur. Eine Rezession würde den Kryptowerten zusetzen. Denn die Anleger würden risikoreiche Investments zurückfahren und sich defensiver aufstellen. Schlecht wäre auch ein weiterer Black Swan. Beispielsweise, wenn eine weitere Grösse der Krypto-Szene pleitegehen würde und somit Domino Effekte hätte.

Zurzeit bewegt sich der Bitcoin-Kurs um die Marke von 60’000 Dollar. Wo wird er Ende Jahr und darüber hinaus stehen?

Ich habe leider keine Kristallkugel und 21Shares gibt keine Preisprognosen ab. Doch die Monate August und September sind erfahrungsgemäss schwierig für Bitcoin. Legen sich die Gegenwinde, könnte der Kurs bis Ende Jahr gegen 100’000 Dollar steigen, diesen Wert vermutlich aber noch nicht überschreiten. Die 100’000-Dollar-Marke ist psychologisch wichtig. Wird sie erreicht, werden wahrscheinlich Bitcoins verkauft und Gewinne realisiert. Dennoch glaube ich persönlich, dass der Bitcoin bald ein neues Allzeithoch erreicht.

Sina Meier ist seit 2020 Geschäftsführerin und Leiterin Schweiz & Strategische Beziehungen bei 21Shares, einem Schweizer Unternehmen, das Anlegern den Zugang zu Kryptowerten ermöglicht. Insgesamt ist sie seit rund drei Jahrzehnten in der Finanzbranche tätig, ihren Berufseinstieg fand sie bei der UBS.

Reto Zanettin
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