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Mit der Aufgabe des Euro-Mindestkurses liess die Schweizerische Nationalbank (SNB) vergangene Woche eine Bombe platzen. Weshalb dieser unpopuläre Entscheid?

Über die Beweggründe lässt sich nur spekulieren. Vermutlich wägte man sich bei der SNB nach der Einführung negativer Einlagezinsen von Mitte Dezember in falscher Sicherheit und wurde vom Markt quasi überrannt. Alleine im Dezember schwollen die Devisenreserven von 463 auf 495 Milliarden Franken an. Das wahre Ausmass der jüngsten Interventionen werden aber erst die Statistiken für diesen Monat zutage fördern. Diese stehen Anfang Februar zur Veröffentlichung an. Den Entscheidungsträgern der SNB dürfte erst jetzt so recht bewusst geworden sein, in was für eine Abhängigkeit zur Europäischen Zentralbank sie sich eigentlich hineinmanövriert hatten.

Dann war der Entscheid also ein Befreiungsschlag?

Das war er zweifelsfrei, wenn auch einer mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Exportwirtschaft, den Tourismus und die hiesigen Anleger. Wie zu hören ist, sind die Devisenreserven der SNB in den letzten Wochen noch einmal kräftig gestiegen. Noch immer wird knapp die Hälfte der Reserven in Euro gehalten. Die SNB ist mit der Aufgabe des Euro-Mindestkurses zwar freier in ihrer Zins- und Geldpolitik geworden. Die gewaltigen Eurobestände und die damit verbundene Abhängigkeit von Europa lassen sich jedoch nicht einfach so abschütteln.

Der Euro befand sich letzten Donnerstag nach der Aufgabe des Mindestkurses im ersten Moment im freien Fall und riss den Dollar mit nach unten. Wie lässt sich das erklären?

Obschon der Euro-Mindestkurs nie für die Ewigkeit gedacht war, hat man sich darauf verlassen, dass die SNB Wort hält und diesen auch konsequent durchsetzt. Kaum jemand hat sich noch abgesichert. Viele wähnten sich mit einem knapp unterhalb des Mindestkurses von 1,20 Franken angesetzten Stopp-Loss-Auftrag beim Euro auf der sicheren Seite. Das erwies sich allerdings als ein kostspieliger Irrtum.

Inwiefern?

Als diese in der Region von 1,1950 bis 1,1980 Franken angesetzten Verkaufsaufträge ausgelöst wurden, befand sich der Euro bereits im freien Fall. Angeblich wurden viele dieser Aufträge erst in der Region knapp oberhalb von einem Franken ausgeführt. Die europäische Einheitswährung brach vorübergehend zwar bis auf 0,85 Franken ein, pendelte sich dann jedoch recht schnell in der Nähe der Franken-Parität ein.

Sind nur Schweizer Anleger und Unternehmen von den Währungsverschiebungen betroffen?

Nein, ganz bestimmt nicht. In der zweiten Hälfte letzten Jahres haben hierzulande unzählige ausländische Unternehmen und Banken über Anleihen vermeintlich günstiges Kapital aufgenommen. Was aufgenommen wurde, geht vermutlich weit über den effektiven Frankenbedarf hinaus. Aus Deutschland ist in diesem Zusammenhang mittlerweile sogar von Problemen dortiger Kommunen zu hören. Zudem sitzen in Österreich sowie in vielen osteuropäischen Ländern noch immer viele Privathaushalte auf Franken-Hypotheken. Die Probleme einiger Devisenhandelsfirmen lassen darauf schliessen, dass auch viele Private Spekulationsgeschäfte gegen den Franken laufen hatten und nach dem Entscheid der SNB nun das Nachsehen haben.

Die SNB bezeichnet den Franken als massiv überbewertet. Spielt die Zeit nicht für diese Schuldner?

Es mag stimmen, dass der Franken gegenüber dem Euro an der Kaufkraftparität gemessen um 15 bis 20 Prozent überbewertet ist (siehe Artikel vom 19. Januar). Auch zum Dollar liegt er um die 15 Prozent über dem theoretischen Gleichgewichtspreis. Manchmal dauert es Jahre, bis sich ein Währungspaar wieder auf der Kaufkraftparität findet. Ausserdem entwickelt sich der Gleichgewichtspreis aufgrund fundamentaler Faktoren wie der Teuerungsentwicklung oder dem Leistungsbilanzüberschuss schon seit Jahren wenn nicht gar Jahrzehnten zugunsten des Frankens.

Was bedeutet das für die Schweizer Wirtschaft?

Sollte der Franken auf längere Zeit auf dem derzeitigen Stand verharren, wird das die Wirtschaftsentwicklung ausbremsen. Knapp 60 Prozent unserer Exporte gehen nach Europa, weitere 13 Prozent nach Nordamerika. Eine starke Heimwährung stellt viele Firmen im internationalen Wettbewerb auf eine harte Probe. Dasselbe gilt für den ebenfalls wichtigen Tourismus. Und das gleich in zweifacher Hinsicht: Ausländische Gäste bleiben aus und die inländische Bevölkerung nutzt den starken Franken und macht vermehrt im Ausland Urlaub.

Einen Rückschlag hatte auch die Schweizer Börse zu beklagen. Sind diese Kursverluste nicht übertrieben?

Die Währungsturbulenzen rissen den breit gefassten Swiss Performance Index vorübergehend um 15 Prozent in die Tiefe. Das Börsenbarometer fiel bis auf wenige Punkte in die Nähe des Zwischentiefs von Mitte Oktober. Dieser Rückschlag deckt sich interessanterweise in etwa mit den Folgen des erstarkten Frankens für die hiesigen Unternehmen und ihre Gewinnentwicklung. Unser Heimmarkt ist für in Franken rechnende Anleger seit vergangenem Donnerstag weder günstiger noch attraktiver geworden.

Und für nicht in Franken rechnende Anleger?

Egal ob gewollt oder ungewollt - mit ihrem Entscheid hat die SNB den in Franken rechnenden Anlegern ganz schön was eingebrockt. Zwar hatten auch ausländische Marktakteure auf ihren Aktien Kursverluste zu beklagen. Dank den auf dem Franken erzielten Währungsgewinnen sind sie allerdings fein raus. Bei zahlreichen Aktien stehen ausländische Anleger heute sogar besser da als noch vor einer Woche. Das Nachsehen haben sowohl wir Privatanleger als auch unsere Vorsorgewerke.

Weshalb gerade die Vorsorgewerke?

Schätzungen zufolge vernichteten die jüngsten Aktien- und Wechselkursverschiebungen alleine bei Pensionskassen und Vorsorgestiftungen Vermögenswerte im Umfang von bis zu 50 Milliarden Franken. Und das zu einer Zeit, in der diese Vorsorgewerke aufgrund der historisch tiefen Zinsen dringend auf Rendite angewiesen sind. Dasselbe gilt übrigens auch für die erste Säule, sprich die AHV und die IV. Dieses Problem betrifft uns alle, auch den hart arbeitenden und nicht mit der Finanzmarktmaterie betrauten Bauarbeiter auf der Strasse.

Ist auch diesmal eine rasche Erholung am Aktienmarkt möglich?

Der jüngste Rückschlag an der Schweizer Börse unterscheidet sich grundlegend von jenen von Anfang Oktober und Mitte Dezember. Damals setzten umgehend Gelegenheitskäufe aus dem Ausland ein. Diese trieben den breiten Markt jeweils auf ein neues Rekordhoch. Der Entscheid den Euro-Mindestkurs aufzugeben hat diesmal allerdings weitreichende Folgen für die Unternehmensgewinne und damit auch für die Aktienkurse. Wie bereits gesagt: Durch den Rückschlag ist die Bewertung unseres Heimmarkts nicht attraktiver geworden sondern weitestgehend gleichgeblieben. Daran würde nur ein grundlegend schwächerer Franken etwas ändern.

Am Donnerstag treffen sich die Entscheidungsträger der EZB in Frankfurt. Was ist zu erwarten?

Die Erwartungshaltung der Finanzmärkte wurde in den letzten Wochen und Monaten kräftig angeheizt. Offiziell rechnen Volkswirtschaftsexperten mit einem Rückkaufprogramm für europäische Staatsanleihen im Umfang von 500 bis 1500 Milliarden Euro. Hinter vorgehaltener Hand ist sogar von einer Grössenordnung von bis zu 3000 Milliarden Euro die Rede, was den europäischen Aktienmärkten in den letzten Tagen noch einmal kräftig Auftrieb verliehen hat. Die EZB hat sich damit in eine ungünstige Lage hineinmanövriert. Sie muss jetzt liefern, damit die Märkte zufrieden sind. Der Erfolg dieser Massnahme ist jedoch alles andere als sicher, unabhängig von der Grössenordnung.

Droht am Donnerstag demnach eine Enttäuschung?

Die Vertreter der EZB sind sich der Tragweite ihres Entscheids vom Donnerstag durchaus bewusst. Vermutlich wird mit der grossen Kelle angerichtet. Die trotz aggressiven Wertpapierkäufen durch die Bank of Japan vor sich hin darbende japanische Wirtschaft sollte den Zentralbanken und ihren Entscheidungsträgern rund um den Globus eine Lehre sein, zeigt sie doch eindrücklich die Grenzen der Geldpolitik auf. Raum für Enttäuschungen besteht denn auch eher in diesem Zusammenhang.