Der cash Insider berichtet im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf Twitter aktiv. Schauen Sie sich doch auch das Tracker Zertifikat auf die Schweizer Aktienfavoriten des cash Insider an.
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Auch bei uns am Schweizer Aktienmarkt standen die Zeichen zuletzt auf Erholung. Die Beruhigungspille der amerikanischen Notenbank, gut eingebettet in das letzte Sitzungsprotokoll, verfehlte ihre Wirkung nicht. So wollen "Jay" Powell und seine Notenbank-Gouverneure nach weiteren Zinsschritten ab Herbst erst einmal eine Pause bei den Leitzinserhöhungen einlegen. Es dürften nicht zuletzt aber auch die Rezessionsängste sein, die zuletzt wieder für rückläufige Anleihenrenditen sorgten.
Davon profitierten vor allem die zuvor sträflich vernachlässigten Aktien wachstumsstarker Unternehmen wie etwa Siegfried, Tecan, Lonza oder PolyPeptide. Neben den rückläufigen Anleihenrenditen – sie sorgen dafür, dass zukünftige Gewinne auf den heutigen Tag abdiskontiert mehr wert sind – halfen auch gleich die Rezessionsängste selbst.
Eines haben diese Firmen nämlich gemeinsam: Sie alle sind in Absatzmärkten tätig, die ein Eigenleben fernab der Wirtschaftsentwicklung führen. Darüber hinaus verfügen die Firmen über eine Preisgestaltungsmacht, wie sie sich viele Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen nur erträumen können. Einen geeigneteren Platz, um sich vor der drohenden Stagflation zu verstecken, gibt es aus Anlegersicht kaum. Deshalb wohl auch das grosse Interesse der letzten Tage.
Was mir auch diese Woche wieder auffiel, waren die über weite Strecken dünnen Geld- und Briefkurse. Selbst als am Dienstag an der Börse alle Stricke zu reissen schienen, zogen die Handelsaktivitäten kaum an. Wenn die zweiten Handelslinien, über welche Nestlé und Novartis ihre Aktienrückkäufe abwickeln, regelmässig in der Rangliste der zehn bis 12 meistgehandelten Titel auftauchen, lässt das tief blicken. Eine Sommerflaute wie aus dem Lehrbuch...
So sind denn auch weiterhin Kuriositäten wie bei den Aktien des Vermögensverwalters GAM zu beobachten. Am Dienstag war es in der Eröffnung jemandem möglich, den Kurs mit nur einer Aktie um 6,5 Prozent auf 82 Rappen einbrechen zu lassen. Der nächstbezahlte Kurs lag bereits wieder bei 88 Rappen und damit sogar über dem Schlussstand vom Vorabend.
Wildes Hin-und-Her beim Aktienkurs des Vermögensverwalters GAM (Quelle: www.cash.ch)
Wer zu diesem Zeitpunkt an einen einmaligen Ausrutscher glaubte, wurde in den beiden darauffolgenden Tagen eines Besseren belehrt. Erneut ging es in der Eröffnung um 6 Prozent auf 82 Rappen hinunter, bevor wieder deutlich höhere Kurse bezahlt wurden. Und man ahnt es: Mit nur einer einzigen gehandelten Aktie.
Ich weiss nicht, wer solche fiesen Spielchen treibt. Da stellt sich mir doch die Frage, ob nicht jemand versucht Verleiderverkäufe loszutreten. Denn früher oder später dürfte der Grossaktionär Jörg Bantleon den Sack wohl zumachen. Herr über gut 11 Prozent der Stimmen ist der auf Total-Return-Strategien spezialisierte Vermögensverwalter ja bereits.
Apropos Firmenübernahme: Den Aktionärinnen und Aktionären von Valora liegt ein ziemlich lukratives Angebot vor. Die Fomento Económico Mexicano, kurz FEMSA, bietet 1,1 Milliarden Franken oder 260 Franken je Aktie in bar für das Kiosk-Mutterhaus. Das entspricht einem grosszügigen Aufschlag von 57 Prozent gegenüber dem volumengewichteten Durchschnittskurs der vorangegangenen 60 Handelstage.
Da überrascht es nicht, haben die Mexikaner doch zumindest schon mal den Segen des Ankeraktionärs Ernst Peter Ditsch. Der gebürtige Deutsche hält seit dem Verkauf von Brezelkönig an die Baselbieter ein 17-Prozent-Paket. Er will seine Aktien andienen. Anteilseigner, die bei Valora schon länger an Bord sind, dürften mit dem Angebot hingegen ihre liebe Mühe haben.
Kommt der Verkauf des Detailhandelskonzerns zustande, geht ein Stück Schweizer Wirtschaftsgeschichte zu Ende. Noch ist das letzte Wort allerdings nicht gesprochen. Mit Peter Casanova von Julius Bär und Gian Marco Werro von der Zürcher Kantonalbank spekulieren nämlich gleich zwei bekannte Analysten auf eine Gegenofferte durch die Migros. An der Finanzkraft des "orangen Riesen" sollte ein solches Vorhaben jedenfalls nicht scheitern. Ob die Migros-Gesellschafter die Pläne Valoras gutheissen würden, ist allerdings fraglich. Wie der ZKB-Analyst schreibt, sind jährlich Investitionen in Höhe von mehr als 100 Millionen Franken vorgesehen. Mit dem Übernahmepreis alleine ist es daher noch lange nicht getan...
...ausserdem lässt eine Offenlegungsmeldung an die SIX Swiss Exchange aufhorchen. Der besagten Meldung zufolge hat der Ankeraktionär Ernst Peter Ditsch sein Aktienpaket bereits angedient. Das könnte einen Gegenspieler wie die Migros abschrecken.
Ich berichtete damals wie folgt von auffälligen Derivatkäufen:
...und mutmasste...
Wäre ich die Finma – ich würde mir diese Derivatkäufe in einer freien Minute mal etwas genauer unter die Lupe nehmen.
Ähnlich wie den Valoren von GAM erging es am Mittwoch auch jenen der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Ein Verkaufsauftrag für 30 Aktien liess die Kurse innerhalb weniger Minuten mal eben schnell um 6 Prozent purzeln. Allerdings sind die Papiere der SNB für ihre schlechte Handelbarkeit geradezu berüchtigt.
Für den Aufreger der Woche sorgte J.P. Morgan. Die amerikanische Investmentbank zog zu Wochenbeginn bei AMS Osram die Reissleine und stufte die Aktien des Sensorenherstellers von "Overweight" auf "Neutral" herunter. Gleichzeitig strich der fürs Unternehmen zuständige Analyst Sandeep Deshpande sein Kursziel auf 10,33 (zuvor 22,50) Franken zusammen.
Kursentwicklung der AMS-Aktien über die letzten fünf Jahre (Quelle: www.cash.ch)
Daran wäre eigentlich nichts Verwerfliches, hätte der Analyst sein Handtuch nicht auf dem tiefsten Stand seit Jahren geworfen. Selbst auf dem Höhepunkt der Pandemieängste vom März 2020 wurden höhere Kurse für die Valoren von AMS Osram bezahlt als zuletzt.
Kurszielveränderungen am Laufmeter: Aktienanalysten lassen keinen Stein auf dem anderen |
Einen gewissen Unterhaltungswert haben auch die Argumente, welche bei J.P. Morgan letztendlich zur Herunterstufung führten. Einerseits stösst sich der Analyst urplötzlich an der hohen Nettoverschuldung des Sensorenherstellers, andererseits ist ihm aber auch die hohe Abhängigkeit vom Zuliefergeschäft für Smartphonehersteller ein Dorn im Auge.
Neugierig wie ich bin, habe ich mich mal eben schlau gemacht: Die jetzt über den Haufen geworfene Kaufempfehlung geht auf Ende Juni 2020 zurück, als noch Kurse von knapp 16 Franken bezahlt wurden...
An dieser Stelle verabschiede ich mich für knapp drei Wochen in die Sommerferien. Die nächste Kolumne erscheint erst wieder am Dienstag, den 2. August 2022 – dann aber wie gewohnt um 12.30 Uhr. Auch das Insider Briefing gibt es ab dann wieder börsentäglich.
Herzlichst, der cash Insider
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