Der cash Insider berichtet im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf Twitter aktiv.
+++
Am Schweizer Aktienmarkt neigt sich eine bewegte Woche ihrem Ende entgegen. Einerseits stand das Handelsgeschehen ganz im Zeichen der amerikanischen Geldpolitik, andererseits wirbelte die Jahresberichterstattung bei den Valoren der jeweiligen Unternehmen die Kurse durcheinander. Mit anderen Worten: Die vergangenen Tage waren um einiges bewegter, als die bisherige Wochenbilanz beim Swiss Market Index (SMI) vermuten lassen würde.
Dienstagnacht richtete sich der amerikanische Notenbankchef "Jay" Powell in einer Rede an die Öffentlichkeit. Zumindest an der Reaktion der Finanzmärkte gemessen, schien er einmal mehr die richtigen Worte getroffen zu haben. Gut kam vor allem an, dass er erstmals von einem nachlassenden Teuerungsdruck berichtete. Ausserdem lieferte Powell erstmals Einblicke in den Entscheidungsfindungsprozess der amerikanischen Notenbank. So wurde etwa bekannt, dass die Kernteuerung intern in drei Unterkategorien aufgeschlüsselt wird. Diese Aussagen zur Teuerungsentwicklung übertönten die ansonsten unmissverständliche Bereitschaft zu weiteren Leitzinserhöhungen im ersten Moment. Auch den hiesigen Marktakteuren wurde das erst nach und nach bewusst und die Aktienkurse purzelten wieder.
Auf einen empfindlichen Rückschlag mit dem Wirkstoff Clazosentan folgte bei Idorsia ein durchwachsenes letztjähriges Ergebnis – zumindest durchwachsen im Sinne von vor-sich-hin-schmelzenden liquiden Mitteln. Im Wissen, dass letztere Ende Dezember nur noch 466 Millionen Franken umfassten, erzählte Finanzchef André Muller eigentlich nichts Neues, als er Analysten gegenüber einen baldigen Bedarf an neuen Mitteln einräumte.
Ob er sich da bewusst war, dass er mit dieser Aussage für ein gefundenes Fressen für die Leerverkäufer sorgen würde, ist mir nicht bekannt. Wie mir Händler berichten, haben es die Leerverkäufer an der Börse jetzt nämlich erst recht auf Idorsia abgesehen. Denn sie wissen nur zu gut: Je tiefer die Kurse jetzt noch fallen, desto günstiger lassen sich die leerverkauften Titelbestände bei einer erzwungenen Kapitalerhöhung wieder eindecken.
Ebenfalls unter die Räder gerieten die Aktien von AMS Osram. Was der überraschende Rücktritt von Firmenchef Alexander Everke nur wenige Monate nach seinem Finanzchef bereits angekündigt hatte, ist seit Dienstag traurige Gewissheit: Dem Sensorenhersteller droht eine längere Durststrecke.
Höhenflug und Bruchlandung der AMS-Aktien seit Jahresbeginn (Quelle: www.cash.ch)
Unterkühlt reagierte die Börse insbesondere auf die Aussage, dass die erste Hälfte dieses Jahres von geringen Absatzmengen und Margendruck geprägt sein dürfte. Ausserdem dürften die ersten grösseren Umsätze im als zukunftsträchtig geltenden Geschäft mit Micro-LED später als erwartet anfallen. Analysten hatten sich hier schon ab dem kommenden Jahr auf erste Wachstumsimpulse eingestellt.
Apropos Micro-LED: Als AMS Osram im November letzten Jahres die Drittquartalszahlen kommunizierte, liess der Sensorenhersteller verlauten, dass in diesem Geschäftszweig eine Vorauszahlungsvereinbarung mit einem Grosskunden getroffen werden konnte. Analysten zufolge scheint allerdings - zumindest im vierten Quartal - noch kein Geld geflossen zu sein.
Selbst das hält den für Vontobel tätigen Mark Diethelm nicht davon ab, seine Kaufempfehlung für die Valoren des Sensorenherstellers zu bekräftigen. Neuerdings tut er dies mit einem Kursziel von 14 (zuvor 15) Franken. Sein Berufskollege Jürgen Wagner bei Stifel kommt sogar auf 18 Franken, wobei er den Korrekturstift bei seinen Schätzungen ganz offensichtlich noch nicht angesetzt hat. Zur Erinnerung: Mittlerweile kosten die Aktien von AMS Osram keine 8 Franken mehr.
110'500'000'000 Franken – dieser astronomisch hohe Betrag dürfte den Aktionärinnen und Aktionären der Credit Suisse spätestens seit gestern Donnerstag geläufig sein. Sie steht nämlich für den Umfang der Kundenvermögen, welche die Grossbank zwischen Anfang Oktober und Ende Dezember letzten Jahres unter dem Strich verloren hat und die so schnell wohl auch nicht wieder zurückkommen.
Auch sonst legte die Credit Suisse Zahlen vor, die einfach nur sprachlos machen. So brach ihr im vierten Quartal ein Drittel der Erträge aus dem Vorjahr weg. Man muss keinen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre in der Tasche haben, um erahnen zu können, dass 3,1 Milliarden Franken an Erträgen bei Kosten in Höhe von 4,3 Milliarden Franken kein Dauerzustand sein können und dürfen. Der Dividendenverzicht scheint mir da nur die logische Schlussfolgerung – was angesichts der Milliarden von Franken, welche die Erzrivalin UBS über Dividenden und Aktienrückkäufe an ihre Anteilseigner zurückführt, besonders bitter ist.
Ein kleiner Trost bleibt den Aktionärinnen und Aktionären der Credit Suisse jedoch: Ende Dezember verwaltete die Grossbank noch immer Kundenvermögen im Umfang von knapp 1294 Milliarden Franken. Unmittelbar vor der grossen Finanzkrise wurden für Bankenübernahmen in der Spitze bis zu 4 Prozent der verwalteten Vermögen bezahlt. Zuletzt waren es noch 1 bis 1,5 Prozent – was einen Betrag ergäbe, der über dem momentanen Börsenwert von 11 Milliarden Franken läge. Wenn da bloss nicht diese Altlasten wären...
Holcim ist der strategischen Neuausrichtung seit dieser Woche wieder einen entscheidenden Schritt näher. Nach Firestone Building Products und Malarkey Roofing Products lacht sich der Weltmarktführer aus Zug nun auch noch Duro-Last an. Firmenchef Jan Jenisch lässt sich die Verstärkung des Dachgeschäfts stolze 1,3 Milliarden Dollar kosten. Als ich im November erstmals von einem angeblichen Interesse an den Amerikanern berichtete, war bloss von einem Verhandlungspreis von 1,1 Milliarden Dollar die Rede.
Firestone und Malarkey erwiesen sich für Holcim schon nach kurzer Zeit als ein Segen. Dass Jenisch – er galt schon bei seinem früheren Arbeitgeber Sika als ein geschickter "Deal-Maker" – sich die jüngste Übernahme etwas mehr kosten lässt, könnte damit zu tun haben, dass Holcim mit Duro-Last eine wichtige Lücke im Dachgeschäft schliesst. Ausserdem wollen die Milliarden aus dem Verkauf des Indien-Geschäfts wieder angelegt sein. Ich bin jetzt schon neugierig, ob sich der Erfolg der beiden ersten Grossübernahmen im Dachgeschäft wiederholen lässt.
Kursentwicklung der Zur-Rose-Aktien über die letzten 12 Monate (Quelle: www.cash.ch)
Erneut nach oben ging es in den letzten Tagen für die Aktien von Zur Rose. Als Reaktion auf den Migros-Coup stufte der für Jefferies tätige Analyst Alexander Thiel die Valoren der Versandapotheke wieder von "Hold" auf "Buy" herauf. Und um seiner neu gewonnenen Zuversicht den nötigen Nachdruck zu verleihen, verdoppelte er das Kursziel mal eben schnell auf 64 (zuvor 26) Franken.
Thiel begrüsst den finanziellen Befreiungsschlag. Obschon auch er einräumt, dass mit dem Verkauf des Schweizer Geschäfts künftig wertvolle Geldströme wegfallen, traut er den Aktien selbst nach dem jüngsten Kursfeuerwerk weitere Gewinne zu. Unter der Voraussetzung, dass elektronische Medikamentenrezepte schon ab Juli deutschlandweit eingeführt werden, hält der Analyst sogar Kurse von bis zu 90 Franken für denkbar.
Zur Erinnerung: Es handelt sich um denselben Analysten, der die Valoren im Hochsommer 2021 bei Kursen von 350 Franken und mehr mit einem Kursziel von 571 Franken zum Kauf anpries – nur um dann im vergangenen Oktober bei etwas mehr als 25 Franken die Reissleine zu ziehen und auf "Hold" zu gehen. Nun also wieder eine Kehrtwende...
Mal schauen, ob nicht auch die Analysten von UBS und Credit Suisse früher oder später bei ihren Verkaufsempfehlungen die Reissleine ziehen. Als direkte Reaktion auf den Befreiungsschlag erhöhten sie diese Woche ihre Kursziele auf 43 (zuvor 23,50) Franken (UBS) und 45 (zuvor 19) Franken (Credit Suisse). Vielleicht gibt es in dieser Sache schon nächsten Freitag Neues zu berichten, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.
Der cash Insider nimmt Marktgerüchte sowie Strategie-, Branchen- oder Unternehmensstudien auf und interpretiert diese. Marktgerüchte werden bewusst nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Gerüchte, Spekulationen und alles, was Händler und Marktteilnehmer interessiert, sollen rasch an die Leser weitergegeben werden. Für die Richtigkeit der Inhalte wird keine Verantwortung übernommen. Die persönliche Meinung des cash Insiders muss sich nicht mit derjenigen der cash-Redaktion decken. Der cash Insider ist selber an der Börse aktiv. Nur so kann er die für diese Art von Nachrichten notwendige Marktnähe erreichen. Die geäusserten Meinungen stellen keine Kauf- oder Verkaufsempfehlungen an die Leserschaft dar. |