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Anlegerinnen und Anlegern aus der Schweiz wird seit je her eine ganz besonders enge Bindung zum heimischen Aktienmarkt nachgesagt. Das dürfte einerseits damit zu tun haben, dass nicht eben wenige der hiesigen Unternehmen führend auf ihrem Gebiet sind – und das weit über die Landesgrenze hinaus. Im angelsächsischen Sprachgebrauch ist auch von einem sogenannten "Home-bias" die Rede.
Davon will man in einem 18 Seiten starken Strategiepapier der UBS allerdings so gar nichts wissen. Die 18 Seiten auf einen Nenner gebracht, lautet das unmissverständliche Urteil der Autoren: Aktien aus der Schweiz sind derzeit ein klarer Verkauf.
Mich überrascht dieses Urteil gleich in mehrfacher Hinsicht: Denn europäischen Nahrungsmittelaktien wie jene von SMI-Schwergewicht Nestlé räumen die Strategen ein überdurchschnittliches Gewicht in den Kundenportefeuilles ein. Und auch für europäische Pharmawerte wie Roche und Novartis sind sie neuerdings nicht mehr ganz so pessimistisch wie zuvor. Stattdessen räumen sie ein, dass die Quartalsergebnisse in diesem Wirtschaftszweig besser als erwartet ausgefallen und die Gewinnerwartungen für viele Unternehmen gestiegen sind. Ausserdem sprächen die verhalteneren wirtschaftlichen Vorlaufindikatoren vermehrt für defensive Aktien.
Vor dem Hintergrund dieser Aussagen erschliesst sich mir nicht, weshalb die Strategen dann aber trotzdem den Daumen über dem Schweizer Aktienmarkt senken. Kommt hinzu, dass sie ja eigentlich für die grösste Schweizer Bank tätig sind – egal, ob sie nun in einem Londoner Büro sitzen oder anderswo.
Entwicklung des SMI mit Dividenden-Korrektur seit Jahresbeginn (Quelle: www.cash.ch)
Vielleicht erklärt diese Abneigung für Aktien aus der Schweiz die für diese Zeit des Jahres ungewohnt dünnen Handelsumsätze. Als am vergangenen Dienstagnachmittag die amerikanischen Akteure um 15.30 Uhr ins hiesige Marktgeschehen eingriffen, hatten weder die Valoren von Nestlé noch jene von Roche oder Novartis beim Tagesumsatz die 100-Millionen-Franken-Marke erreicht. Bei Roche waren zu diesem Zeitpunkt bloss Genussscheine im Gegenwert von 85 Millionen Franken umgegangen, bei Nestlé sogar nur Aktien im Gegenwert von 83 Millionen Franken.
Ich würde auf Basis der vorliegenden Empfehlung der UBS-Strategen momentan jedenfalls keine Schweizer Aktien aus dem Wertschriftenportefeuille kippen – oder dann aber die Sache zumindest selektiv angehen.
Die Kombination von dünnen Handelsumsätzen und stagnierenden Kursen lässt einen hartnäckigen Käuferstreik erahnen. Wenn schon Verkäufe, dann gingen diese zuletzt vor allem von den SMI-Futures aus.
Wenden wir uns nun aber einem ganz anderen Thema zu: Es gibt Unternehmen, die können es der Börse momentan schlichtweg nicht recht machen. Eines dieser Unternehmen ist zweifelsohne Zurich Insurance. Mit einem Minus von sechs Prozent seit Jahresbeginn schneiden bei den Aktien aus dem SMI nur jene der Credit Suisse noch schlechter ab. Einen Vergleich mit dem skandalgebeutelten Börsenschlusslicht aber möchte Firmenchef Mario Greco wohl tunlichst vermeiden.
Am frühen Mittwochmorgen legte Zurich Insurance als vorerst letztes der hiesigen Grossunternehmen den Zwischenbericht für die ersten drei Monate vor. Dabei geizte die Versicherungsgruppe – wie für diese Jahreszeit üblich – mit konkretem Zahlenmaterial. Detaillierte Abschlüsse gibt es nur halbjährlich.
Mit Spannung wurde der Zwischenbericht vor allem deshalb erwartet, weil dieser erstmals auf den neuen Rechnungslegungsvorschriften nach IFRS 17 fusst. Und obwohl sich der Bericht zumindest auf den ersten Blick im Rahmen der Erwartungen bewegte, fiel er an der Börse durch. Minus drei Prozent lautete das unmissverständliche Urteil an diesem Tag.
Nach den Gründen für diese Kursschwäche gefragt, brachte es die Barclays-Analystin Claudia Gaspari auf den Punkt: Eigentlich wusste die Versicherungsgruppe bloss im amerikanischen Firmenkundengeschäft zu überzeugen. Für enttäuschte Gesichter sorgte insbesondere der Umstand, dass der operative Betriebsgewinn (BOP) fürs vergangene Jahr unter IFRS 17 um rund 5 Prozent tiefer liegt als bisher ausgewiesen.
Für mich überraschend zu sehen war, dass ausgerechnet der für Keefe, Bruyette & Woods tätige Analyst William Hawkins ungewohnt versöhnliche Töne anschlug. In einem Kommentar bezeichnete er den Zwischenbericht als "im Rahmen der Erwartungen liegend" – auch was den tieferen operativen Betriebsgewinn angeht. Ausserdem relativierte er die etwas tiefer als erhoffte SST-Quote.
"SST" steht übrigens für Swiss Solvency Test. Von dieser Kennzahl lässt sich auf das Überschusskapital schliessen, welches seinerseits über die künftige Dividendenpolitik entscheidet.
Ich bin nun neugierig, ob der Analyst an seiner "Underperform" lautenden Verkaufsempfehlung sowie am Kursziel von 335 Franken für die dividendenstarken Valoren von Zurich Insurance festhält.
Wie gnadenlos die Börse manchmal sein kann, bekamen tags zuvor schon die Aktionärinnen und Aktionäre von Sonova schmerzhaft zu spüren. Nach einer enttäuschenden zweiten Jahreshälfte schrammte der Hörgerätehersteller aus Stäfa mit dem Jahresergebnis selbst an den pessimistischsten Analystenschätzungen vorbei. Und obschon sich die Wachstumsvorgaben fürs neue Geschäftsjahr im Rahmen der Erwartungen bewegen, geriet der diesjährige SMI-Gewinner Sonova auf der Rangliste ins Rutschen. Mittlerweile sind die Valoren nur noch auf Rang acht zu finden.
Kursentwicklung der Sonova-Aktien in den letzten Tagen (Quelle: www.cash.ch)
Die Rechnung ist denn auch schnell gemacht: Aufgrund der tieferen Ausgangsbasis aus dem vergangenen Jahr errechnen sich von den diesjährigen Wachstumsvorgaben ausgehend tiefere Zielwerte. Dadurch sind viele Analysten gezwungen, ihre Schätzungen mit dem dicken Korrekturstift zu überarbeiten.
Mit den Analysten von J.P. Morgan und Vontobel sehen sich einige Vertreter dieser Berufsgruppe gar dazu veranlasst, bei ihren Kaufempfehlungen für die Aktien die Reissleine zu ziehen.
Weiterhin im Rampenlicht steht der angeschlagene Vermögensverwalter GAM. Eigenen Angaben zufolge will die oppositionelle Aktionärsgruppe um den französischen Telekom-Milliardär Xavier Niel ihre Beteiligung auf über 10 Prozent ausbauen.
Alleine diese Aussage reichte schon aus, um den Aktienkurs steigen zu lassen. Mit 61 Rappen liegt dieser momentan rund 14 Prozent über dem rechnerischen Angebot der britischen Liontrust. Mit anderen Worten: Es wird entweder auf eine Nachbesserung der vorliegenden Übernahmeofferte oder aber auf eine Gegenofferte eines Dritten spekuliert.
Mit einem von Forbes auf gut 5 Milliarden Dollar geschätzten Vermögen liesse sich ein Gegenangebot Niels aus der Portokasse stemmen. Anstalten hierzu macht der Franzose momentan allerdings nicht. Vielmehr übt sich die oppositionelle Aktionärsgruppe in Guerilla-Taktik, wie ich vergangene Woche schrieb.
Die GAM-Aktien dürften auch kommende Woche ein Spielball der Spekulanten bleiben. Wenn sich einige da mal bloss nicht in etwas verrennen...
Vielleicht sind wir ja schon nächsten Freitag etwas schlauer, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.
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