Meyer Burger steht am Abgrund: Der Schweizer Solarfirma kam am Freitag der grösste Kunde Desri – ein Entwickler von Energieprojekten mit Sitz in New York – abhanden. Dieser kündigte den Vertrag für alle Aufträge – per sofort.
Man analysiere derzeit das Schreiben von Desri und die Situation, teilte das Unternehmen mit. Es droht das definitive Aus. Aktuell ist die Aktie, deren Handel am Freitag kurz ausgesetzt wurde, noch einige Rappen wert. Auf dem Allzeithoch kostete das Papier 1463 Franken. Blick zeigt in einer Zeitchronik den Aufstieg von Meyer Burger bis zum tiefen Fall.
Kapitel 1: Start in der Uhrenindustrie
Gegründet wurde das Unternehmen 1953 in der Thuner Nachbarsgemeinde Hünibach BE von Hans Meyer und Willy Burger – daher der Name. Meyer Burger startete als Maschinenbauer zur Herstellung von Lagersteinen für mechanische Uhrwerke. Um diese filigranen Steine zu bearbeiten, braucht es viel technologische Kompetenz. Von dieser profitierte das Unternehmen, als es sich Ende der 1960er-Jahre neu ausrichtete. Meyer Burger stieg erfolgreich von der Uhren- auf die Halbleiterindustrie um – zuerst noch als reiner Anlagenlieferant.
Damals fällte das Unternehmen einen bis heute wegweisenden Entscheid: Meyer Burger entwickelte fortan vorwiegend Halbleiter für Solarmodule. 1970 stieg die Firma mit Diamantdrahtsägen zum Schneiden von Siliziumwafern ins Solargeschäft ein. Die Forschungsabteilung steckte sein Wissen voll in die Zukunft der erneuerbaren Energien.
Kapitel 2: Gelungener Gang an die Börse
Kurz vor der Jahrtausendwende 1999 stellte sich Meyer Burger neu auf und verpasste sich eine Holdingstruktur. Weil die Solarindustrie stetig wuchs, setzte das Unternehmen auf Expansion. Meyer Burger erschloss sich den russischen, asiatischen und amerikanischen Markt und gründete Tochtergesellschaften in China und Japan. 2006 zog die Holding unter dem neuen Namen Meyer Burger Technology AG von Zug nach Baar ZG um.
Im gleichen Jahr feierte das Unternehmen dann den viel umjubelten Gang an die Schweizer Börse. Am ersten Handelstag kletterte die Aktie vom Einstiegspreis von 39 Franken gleich auf 44 Franken – ein Plus von 13 Prozent.
Kapitel 3: Aufstieg zum Gütesiegel der Solarindustrie
In den Folgejahren schwenkten die Industrienationen zunehmend auf erneuerbare Energien um, verpassten sich Klimaziele zur CO2-Reduktion. Die Sonnenenergie stieg zum Liebling der grünen Wirtschaft auf. Meyer Burger nahm das zum Anlass, voll auf die Entwicklung von Maschinen zu setzen, die Solarmodule herstellen. Wer diese Maschinen bauen kann, der kontrolliert auch den Endmarkt – so der Plan.
Und dieser ging zunächst auch super auf. Meyer Burger war das Gütesiegel für Solarmodule. Die Aktie, die aufgrund der Finanzkrise 2008 zuerst stark eingebüsst hatte, hob ab. Im April 2011, wenige Wochen nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima, erreichte der Titel das Allzeithoch von 1463 Franken.
Kapitel 4: Technologie-Kopien der Chinesen
Meyer Burger wurde dann zunehmend Opfer des eigenen Erfolgs. Seine Tüftler waren so gut, dass die Solarmodul-Maschinen jedes Jahr 20 Prozent produktiver wurden. Die Folge: Der Absatz ging zurück. Insbesondere die Chinesen waren aber weiterhin scharf auf die Technologie. Die Volksrepublik wurde als Absatzmarkt immer bedeutender. Jahrelang lieferte Meyer Burger Maschinen nach China. Damit waren die Thuner sehr erfolgreich. Als Pionier war das Unternehmen der Haupttreiber für das Wachstum und den Aufbau der global umspannten Solarindustrie.
Nur: Meyer Burger übersah, dass China die Technologie nicht nur einkaufte, sondern auch kopierte. Ab 2015 machte die kommunistische Partei unter Führung von Staatslenker Xi Jinping (71) keinen Hehl mehr daraus: China wollte der Marktführer in der Solarwirtschaft sein – und Europa und die USA abhängen.
Kapitel 5: Erste Rettungsaktion bereits 2016
Mittlerweile gibt es Solaranbieter aus China wie Sand am Meer. Das drückt die Preise tief nach unten – vor allem, weil die Chinesen ihre Solarmodule dank staatlicher Förderung weit unter den eigenen Herstellungskosten verkaufen. Unternehmen in einer liberalen Wirtschaftsordnung, wie das bei Meyer Burger der Fall ist, kann da nicht mithalten.
2016 brauchte es eine erste Rettungsaktion. Meyer Burger hatte zu offensiv, zu optimistisch agiert. Die Folge: ein Reinverlust von 100 Millionen Franken. Man holte den russischen Oligarchen Piotr Kondraschew als Ankeraktionär an Bord, um 250 Millionen Franken Notkapital einzuschiessen. Ab 2020 erfolgte dann ein Strategiewechsel: Das Unternehmen verkaufte fortan keine Maschinen mehr, sondern stellte selber Solarpanels en masse her. So sollte das Know-how im Haus behalten werden.
Kapitel 6: (Zu) später Schwenk auf die USA
Meyer Burger stieg so zum Massenhersteller von Solarzellen ausserhalb Asiens auf. Nur: Die Konkurrenz aus Fernost erwies sich als zu stark. Es folgten Wechsel auf der Führungsebene – und Fabrikschliessungen. Derzeit produziert Meyer Burger noch an zwei Standorten in Deutschland, von denen sich das Unternehmen lösen wollte, und seit Juni im neuen Werk im US-Bundesstaat Arizona.
Meyer Burger will neu auf die USA setzen. Mit den Fabriken in Colorado und in Arizona soll das Unternehmen von den Konjunktur- und Förderprogrammen der US-Regierung profitieren – ohne Subventionen gibt es kein Überleben. Bloss: Der «Go West»-Schwenk scheint zu spät zu kommen. Meyer Burger klammert sich derzeit am Mitte September verkündeten Restrukturierungsplan inklusive massivem Stellenabbau in Deutschland fest. Um das Geschäft überhaupt fortführen zu können, braucht das Unternehmen aber dringend Geld. Konkret muss Meyer Burger 100 Millionen Franken auftreiben – und zwar rasch. Das dürfte nach dem Absprung des grössten Kunden noch schwieriger sein.
Dieser Artikel ist zuerst im Blick erschienen.