«Der Staatsanwalt hat nicht die nötige Unvoreingenommenheit gezeigt», sagte der vorsitzende Richter in der Begründung. Seith und den beiden Mitbeschuldigten seien wichtige Teilnahmerechte verweigert worden, etwa das Akteneinsichtsrecht. «Das war kein Versehen.»
Der vorsitzende Richter bezeichnete dies als «klaren Verstoss» gegen die Regeln einer korrekten Verfahrensführung. Dies bedeutet, dass die Beweise gegen Seith und die beiden Mitbeschuldigten nicht verwertet werden können. Die ganze Sache an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, kam für das Obergericht aber nicht in Frage.
Kanton Zürich soll Millionen zahlen
Nach so vielen Jahren - inzwischen ist der Fall zehn Jahre alt - könnten die Beweise ohnehin nicht mehr sauber neu erhoben werden. «Die Verfahren werden deshalb eingestellt», sagte der vorsitzende Richter. Seith und die beiden Mitbeschuldigten wollen nun für die lange Zeit des Verfahrens entschädigt werden.
Seith fordert vom Kanton Zürich 300'000 Franken wegen wirtschaftlicher Einbussen, die beiden Mitbeschuldigten gar 1,5 und 2,7 Millionen. Dazu kommen die Anwaltskosten, insgesamt mehrere hunderttausend Franken. Das Obergericht will noch am Donnerstag entscheiden, ob die drei Beschuldigten Anrecht auf das Geld haben.
Noch nicht rechtskräftig
Dieser Entscheid ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft könnte ihn noch ans Bundesgericht weiterziehen und für nichtig erklären lassen. Dann müsste das Obergericht den Cum-Ex-Fall trotzdem verhandeln. Ob die Zürcher Ankläger dies tun werden, ist noch offen. Sie hatten jedoch schon einmal Erfolg damit.
Vor drei Jahren wurde der Fall bereits einmal vor Obergericht verhandelt. Auch damals stellten Seith und die Mitbeschuldigten, zwei ehemalige Bankangestellte, den Antrag, den früheren Staatsanwalt für befangen zu erklären.
Und auch damals kam das Obergericht zum Schluss, dass das Verfahren gegen den Deutschen nicht sauber geführt worden sei. Das Bundesgericht war jedoch der Ansicht, dass der Staatsanwalt keinesfalls befangen gewesen sei und schickte den Fall nach Zürich zurück - mit dem Auftrag, den Prozess durchzuführen. Den zweiten Befangenheits-Antrag reichte Seith mit abgeänderter Begründung ein.
Milliardenschaden beim deutschen Staat
Die Themen Steuerbetrug und Bankgeheimnis sorgten in den vergangenen Jahren immer wieder für Irritationen zwischen der Schweiz und Deutschland. Während Seith in der Schweiz vor Gericht steht, gilt er in Deutschland als Whistleblower, der zur Aufdeckung des Cum-Ex-Skandals beigetragen habe.
Seith werden Wirtschaftsspionage und Verstösse gegen das Bankengesetz vorgeworfen, weil er sich mit Hilfe von Bankangestellten interne Dokumente der Schweizer Bank J. Safra Sarasin beschafft und an deutsche Ermittler weitergegeben haben soll.
Die Staatsanwaltschaft forderte für Seith eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Für die beiden Bankangestellten beantragte sie Freiheitsstrafen in ähnlicher Höhe. Das Bezirksgericht Zürich sprach Seith im April 2019 vom Vorwurf der Wirtschaftsspionage frei. Es verurteilte ihn aber wegen Anstiftung zum mehrfachen Vergehen gegen das Bankengesetz zu einer bedingten Geldstrafe.
Beim Cum-Ex-Skandal handelt es sich um einen Steuertrick, durch den beim deutschen Staat ein Schaden in Milliardenhöhe entstand. Der Trick bestand darin, rund um den Dividendenstichtag Aktien mit («cum») und ohne («ex») Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteiligten hin und her zu verschieben.
Steuertrick ist mittlerweile verboten
Am Ende wusste der Fiskus nicht mehr, wem die Papiere eigentlich gehörten. Deutsche Finanzämter erstatteten so Verrechnungssteuern, die nie bezahlt worden waren. Auch die Schweizer Bank J. Safra Sarasin hatte ihren Kunden solche Finanzprodukte verkauft.
Einer von Sarasins Kunden war der deutsche Drogeriekönig Erwin Müller, der Millionen verlor, als der Sarasin-Fonds zusammenbrach. Müller warf der Bank daraufhin vor, ihn falsch beraten zu haben und verklagte sie mit Hilfe des Anwalts Eckart Seith. Das Landgericht Ulm gab ihm Recht. Es verurteilte die Bank zu 45 Millionen Euro Schadenersatz. Der Steuertrick ist mittlerweile verboten.
(AWP)