In einer ersten Reaktion erklärten die Islamisten, man sehe die von Biden vorgebrachten Absichten positiv, besonders das Ziel eines dauerhaften Waffenstillstands. «Wenn die Hamas den Vorschlag ablehnt, wird die Regierung Biden dies nutzen, um zu argumentieren, dass sie alles getan hat, um einen Waffenstillstand zu erreichen, und dass die Hamas für die Fortsetzung der Gewalt verantwortlich ist», kommentierte Jonathan Panikoff von der US-Denkfabrik Atlantic Council Bidens Rede gegenüber der US-Zeitung «Wall Street Journal».

Israels Regierungschef bekräftigt Kriegsziele

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte unterdessen am Abend nach Angaben seines Büros, der vorgeschlagene Plan ermögliche seinem Land, den Grundsatz einzuhalten, dass der Krieg erst beendet wird, wenn alle Ziele erreicht seien. Dazu gehöre die Zerstörung der Hamas. Die USA und Bidens Rede fanden in der knappen Mitteilung keine Erwähnung.

«Ich weiss, dass es in Israel einige gibt, die mit diesem Plan nicht einverstanden sind und eine Fortsetzung des Krieges auf unbestimmte Zeit fordern werden», hatte Biden zuvor gesagt. «Ich habe die israelische Führung aufgerufen, hinter diesem Deal zu stehen.» Israel brauche keine Angst mehr um seine Sicherheit zu haben. Nach mehreren Monaten Krieg sei die Hamas nicht mehr in der Lage, ein weiteres Massaker wie am 7. Oktober anzurichten. Ein unbegrenzter Krieg mit dem Ziel eines nicht näher definierten «totalen Sieges» über die Hamas - eine Phrase, die von Netanjahu oft wiederholt wird - werde Israel in Gaza nur festsetzen und die internationale Isolation des Landes verstärken, so Biden. Auch werde dies die Geiseln nicht nach Hause und Israel keine dauerhafte Sicherheit bringen.

Baerbock spricht von Hoffnungsschimmer

Bundesaussenministerin Annalena Baerbock schrieb auf der Plattform X: «Das israelische Angebot, das US-Präsident Biden heute erläutert und bekräftigt hat, ist ein Hoffnungsschimmer und kann einen Weg aus der Sackgasse des Krieges weisen». Die Hamas müsse jetzt beweisen, dass sie den Konflikt beenden wolle. Ähnlich äusserte sich UN-Generalsekretär António Guterres. «Der Generalsekretär hofft sehr darauf, dass das zu einer Übereinstimmung der Beteiligten für einen anhaltenden Frieden führen wird», erklärte sein Sprecher Stéphane Dujarric.

Der von Biden überraschend präsentierte Plan enthält drei Phasen: Die erste sieht eine vollständige und uneingeschränkte Waffenruhe von sechs Wochen und einen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus allen dicht besiedelten Gebieten in Gaza vor. Es würde zunächst eine bestimmte Gruppe von Geiseln freigelassen - darunter Frauen, Ältere und Verletzte. Im Gegenzug würden Hunderte Palästinenser freikommen, die in Israel inhaftiert sind. In einer zweiten Phase würden die Kämpfe dann dauerhaft eingestellt und die verbliebenden Geiseln freigelassen. In einer letzten Phase würde ein Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.

US-Regierung macht Druck auf beide Konfliktparteien

Israel habe unter Vermittlung der USA, Katars und Ägyptens dem neuen Entwurf zugestimmt, der am Donnerstagabend an die Hamas übermittelt worden sei, sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter. Man habe es für wichtig gehalten, die Details publik zu machen, da die Vorschläge sonst öffentlich anders dargestellt würden von Gegnern eines Deals. Er sei in mühevoller Kleinarbeit ausgearbeitet worden, «und er ist fast identisch mit dem, was die Hamas selbst vor ein paar Wochen vorgeschlagen hat», erklärte der Regierungsvertreter. Seit Wochen vermitteln die USA, Ägypten und Katar zwischen Israel und der Hamas, um eine Freilassung der restlichen Geiseln und eine Feuerpause in dem Konflikt zu erreichen.

Bislang führten die Gespräche nicht zum Erfolg. Die Hamas hatte erst am Donnerstag gesagt, Voraussetzung für die Geiselfreilassung sei ein Ende des Krieges. Israel lehnt das bisher ab. Bidens Strategie bestehe darin, Israel und die Hamas dazu zu bringen, sich auf ein Waffenstillstandsabkommen zu einigen, das die Dynamik auf dem Schlachtfeld brechen und den Krieg beenden könnte, sagte Aaron David Miller, Senior Fellow bei der Carnegie-Stiftung, dem «Wall Street Journal». «Ob die Israelis das glauben werden, ist eine andere Frage.» Netanjahu meine wahrscheinlich, dass er den Krieg nach der ersten Phase fortsetzen könne - oder rechne damit, dass die Hamas das Abkommen von vornherein ablehne, sagte Miller.

Der britische Aussenminister David Cameron schrieb kurz nach Bidens Ansprache auf X: «Lasst uns diesen Moment nutzen und den Konflikt zu einem Ende bringen.» Er forderte die Hamas auf, den neuen Vorschlag anzunehmen. Ein Ende der Kämpfe könne in einen dauerhaften Frieden münden, wenn alle zu den richtigen Schritten bereit seien, so Cameron.

Netanjahu zu Rede vor US-Parlament eingeladen

Die Spitzen beider Parteien im US-Kongress luden Israels Regierungschef Netanjahu trotz grosser Kritik an seinem militärischen Vorgehen in Gaza für eine Rede vor dem amerikanischen Parlament ein. Der republikanische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, veröffentlichte am Freitag ein entsprechendes Schreiben an Netanjahu. Der Brief ist auch unterzeichnet vom republikanischen Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sowie von den Top-Demokraten in beiden Parlamentskammern, Hakeem Jeffries und Chuck Schumer. Ein Termin wurde nicht genannt.

Auslöser des Gaza-Kriegs war ein beispielloses Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober im Süden Israels verübt hatten. Auf israelischer Seite wurden dabei mehr als 1200 Menschen getötet. Bei dem Überfall wurden auch mehr als 250 Menschen gewaltsam in den Gazastreifen verschleppt. Dutzende davon wurden später freigelassen, andere getötet. Offiziellen Angaben aus Israel zufolge sind noch mehr als 120 Geiseln in der Gewalt der Hamas - unklar ist, wie viele von ihnen noch am Leben sind.

Als Reaktion auf das Massaker begann Israels Militär massive Luftangriffe und eine Bodenoffensive in dem dicht besiedelten und abgeriegelten Küstengebiet. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen wurden seitdem bislang mehr als 36 000 Menschen getötet und mehr als 82 000 weitere Menschen verletzt. Diese unabhängig kaum überprüfbaren Zahlen machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Kämpfern.

(AWP)