Einer der pessimistischsten Wall-Street-Strategen bleibt bei seiner Ansicht, dass 2024 kein grossartiges Jahr für den Aktienmarkt sein wird. Marko Kolanovic von JPMorgan schrieb am Mittwoch in einer Kundennotiz, dass Anleger im Jahr 2024 Bargeld gegenüber Aktien bevorzugen sollten. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die Federal Reserve die Zinsen rasch senken wird, so seine Begründung.

Laut Kolanovic legen Anlegerinnen und Anleger zu viel Wert auf die Idee, eine wirtschaftliche Rezession könne im Jahr 2024 vermieden werden. Dazu seien die Aktienbewertungen zu hoch, die Kreditspannen zu eng und die Volatilität ungewöhnlich niedrig. Deshalb ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, zusätzliche Aktienengagements einzugehen.

"Wir bleiben bei riskanteren Vermögenswerten wie Aktienanlagen und den breiteren makroökonomischen Aussichten aufgrund des Zinsschocks in den letzten 18 Monaten vorsichtig", sagte er gegenüber Marketwatch. Selbst in einem optimistischen Szenario glaubt er, das Aufwärtspotenzial für riskante Vermögenswerte sei begrenzt.

Seine defensive Haltung gegenüber Aktien steht im Einklang mit seinem insgesamt pessimistischen Ausblick seit Ende 2022, der sich letztendlich mit Blick auf die Hausse 2023 als die falsche Entscheidung erwiesen hat. Kolanovic hat ein Kursziel von 4200 Punkten beim S&P 500 Index per Ende 2024, was einem potenziellen Rückgang von 11,3 Prozent gegenüber dem aktuellen Niveau entspricht.

Der JPMorgan-Stratege ist nicht überzeugt, dass die Fed die Zinsen im Jahr 2024 aggressiv senken wird, wie ein Grossteil des Marktes derzeit erwartet. Für die Inflation wird es schwierig sein, vom aktuellen Niveau von 3 Prozent auf das langfristige Ziel der amerikanischen Notenbank Fed von 2 Prozent zu kommen. Nur eine Abschwächung des Arbeitsmarktes würde es ermöglichen, die Inflation wieder auf 2 Prozent zu bringen. Entsprechend dürften die Zinssenkungen im Jahr 2024 wahrscheinlich geringer ausfallen als erwartet.

Mike Wilson von Morgan Stanley erwartet weniger starken Rückgang

Der zweite bekannte Permabär Mike Wilson, Chefstratege von Morgan Stanley, hat Anfang der letzten Handelswoche vor Weihnachten seine stark bärische Haltung teilweise aufgegeben. Angesichts der Tatsache, dass sich die Leitzinsen deutlich im restriktiven Bereich befinden, möchte die Fed mit dem Übergang zu einer lockereren Politik wahrscheinlich nicht warten, bis es für eine sanfte Landung zu spät ist, sagte Wilson am Montag in seinem Blogeintrag. «Das ist ein bullisches Signal für Aktien, denn es bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer sanften Landung gestiegen ist.»

Für Anleger, die von dieser Verschiebung profitieren möchten, ist es gemäss Wilson allerdings fast zu spät, da die US-Aktienmärkte bereits im November begonnen haben, einen starken Zinsrückgang und eine Lockerung der Finanzierungsbedingungen einzupreisen.  

«Unter dem Strich haben Small Caps und Aktien geringerer Qualität seit Oktober zusammen mit dem S&P 500 stark zugelegt. Wir glauben, dass der grösste Teil dieser Outperformance auf die Eindeckung von Leerverkäufen und die saisonale Tendenz zurückzuführen ist. Die Nachzügler des Jahres 2023 dürften bis Ende Januar besser abschneiden.» Damit sich dieser Trend darüber hinaus fortsetzt, muss das nominale Bruttoinlandprodukt aber wieder anziehen und sich die Inflation auf dem aktuellen Niveau stabilisieren - anstatt weiter in Richtung des Fed-Ziels von 2 Prozent zu fallen. Auch wenn dies kontraintuitiv erscheinen mag: Die durchschnittliche Aktie schneidet besser ab, wenn die Inflation steigt und nicht sinkt. Das ist, was der Markt jetzt erwartet, betont Wilson. 

Wilson prognostiziert für den S&P 500 Index bis Ende 2024 einen Stand von 4'500 Punkten. Das entspricht einem erwarteten Rückgang von 6 Prozent. 

Thomas Daniel Marti
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