Der Intralogistiker Interroll mit Sitz in Sant'Antonino bei Bellinzona ist einer der führenden Hersteller von Förderrollen, Antriebssystemen und Sortieranlagen für Lager- und Materialflusssysteme. Geführt wird das Unternehmen seit Mai 2021 von Ingo Steinkrüger, der zuvor CEO bei Thyssenkrupp System Engineering war. Steinkrüger besitzt je einen Abschluss als Dipl.-Maschinenbauingenieur und als Dipl.- Wirtschaftsingenieur der Hochschule Köln. Die Aktie von Interroll hatte sich von Anfang 2015 bis Ende 2021 im Wert rund verzehnfacht. Seit November schlägt aber eine Korrektur von rund 40 Prozent zu Buche.

cash.ch: Herr Steinkrüger, Interroll verfügt neuerdings über einen Show-Truck. Was hat es damit auf sich? 

Ingo Steinkrüger: Wir verstehen uns als People Business und leben vom intensiven Austausch mit unseren Kunden. Gerade dieser persönliche Austausch hat in der Coronapandemie stark gelitten, da sehr viele Messen ausgefallen sind. Wir haben dann sehr schnell reagiert und stattdessen erfolgreich auf den direkten Kundenkontakt gesetzt. Mit unserem Show-Truck konnten wir im letzten Jahr dann ganz Europa bereisen. Diese Art von Kundenbesuchen wollen wir dieses Jahr aufgrund des sehr positiven Feedbacks beibehalten, obwohl wir natürlich inzwischen wieder auf Messen präsent sind.
 
Sie gehen also im wahrsten Sinne des Wortes auf Road Show…
 
Genau, und zwar mit unserem Team zu unseren Kunden und deren Kunden.
 
Aber Sie selber reisen nicht im Truck mit, nehme ich an.
 
Nein, aber ich sass schon mal kurz am Steuer. Allerdings ist die Geschäftsführung an vielen Terminen auch vor Ort. 
 
Sie kamen von ThyssenKrupp zu Interroll und sind seit ziemlich genau einem Jahr CEO. Was sind Ihre Erfahrungen?
 
Es ist eine unglaublich interessante Industrie. Ich komme ja ursprünglich aus einem ganz anderen Bereich, nämlich Automotive. Aber dank meiner Erfahrungen in den Bereichen Komponenten und Projektbusiness sehe ich mich bei Interroll sehr gut aufgehoben. Ich freue mich, mit meinen Erfahrungen und mit meinem Knowhow dieses Unternehmen nach vorne zu bringen und für die nächsten Jahre weiter positiv zu entwickeln. Ich habe bis jetzt nicht eine Sekunde bereut.
 
Sie traten ja die Nachfolge von Paul Zumbühl an, der 21 Jahre lang CEO von Interroll war und nun die Funktion als 'aktiver' Verwaltungsratspräsident bekleidet. Solche Ausgangslagen bieten nicht selten Stoff für Führungskonflikte im Unternehmen. Läuft alles reibungslos zwischen Ihnen?
 
Wie gesagt: Ich bereue keine Sekunde. Wir ergänzen uns sehr gut und wir haben einen regen Austausch. Aber das operative Geschäft ist meines.
 
Die Aktie von Interroll erfährt seit Anfang November, wie andere Intralogistiker auch, eine deutliche Korrektur nach einem zuvor jahrelangen Anstieg. Das Minus in den letzten sieben Monaten beträgt rund 40 Prozent. Wie beurteilen Sie diesen Rückgang?
 
Die Beurteilung des Aktienkurses überlassen wir in erster Linie den Shareholdern und den Analysten. Derzeit wirken viele externe Faktoren auf den Aktienmarkt. Wir glauben langfristig an unsere Aktie, das ist gar keine Frage. Wir beobachten aber, wie sich das Thema kurz- und mittelfristig weiterentwickelt. 
 Kursverlauf Interroll-Aktie in den letzten fünf Jahren (Quelle: cash.ch)

Wegen des Booms beim E-Commerce war Interroll sicher auch ein Profiteur der Pandemie. Zeigen nun nicht gerade auch die letzten Quartalszahlen von Amazon, dass das Wachstum in diesem Bereich nicht grenzenlos ist?
 
Wir bezeichnen uns nicht gerne als Profiteur der Pandemie, und teilen diese Einschätzung auch nicht. Während der Corona-Krise haben wir uns sehr bei der Versorgungssicherheit mit Materialien für den täglichen Bedarf engagiert. Da darf ich meinem Team einen Dank aussprechen, das war nicht immer einfach.  Was die Situation bei Amazon angeht, kann ich diese nur von aussen beurteilen. Wir selber sind global aufgestellt und haben 28'000 Kunden. Das reicht vom kleinen Ingenieurbüro mit vielleicht zehn Mitarbeitern bis zu den grossen Systemintegratoren dieser Welt, welche Amazon als Kunde haben und unsere Produkte und Lösungen dort installieren. Wir sehen im Projektgeschäft, worunter wir unsere Förderer, Sorter und Palettenförderungslösungen verstehen, gerade jüngst eine etwas verhaltenere Investitionstätigkeit. Das eine oder andere Projekt wird geschoben, aber wir haben keine Absage eines Projektes oder Stornierung eines Auftrages erhalten. Insofern schauen wir weiter verhalten optimistisch in die Zukunft. 
 
Der Auftragseingang Anfang Jahr betrug ja deutliche plus 60 Prozent. Wie hat sich die Auftragssituation im laufenden Jahr entwickelt?
 
Wir sind aus dem letzten Jahr sehr gut ins Jahr 2022 eingestiegen und wir werden weiter beobachten, wie sich das Jahr aufgrund der Rahmenbedingungen weiter entwickeln wird. 
 
In welchen Bereichen sehen Sie die grössten Chancen für Interroll?
 
Unsere Wachstumsstrategie sieht vor, dass wir im Bereich der Intralogistik rund 50 Prozent stärker wachsen als der Markt. Der Markt ist für uns natürlich nicht nur das Paket- oder Briefgeschäft. Wir sind in acht verschiedenen Industrien unterwegs. Wir werden dieses Jahr wieder einige sehr innovative Produkte einführen, in Kürze etwa hygienische Förderlösungen für den Lebensmittelbereich.
 
In diesem Jahr soll die letzte der drei Tranchen des insgesamt 150 Millionen Franken schweren Investitionsprogramms ausgegeben werden. Werden Sie die ganzen 50 Millionen Franken in diesem Jahr investieren?
 
Ja. Wir werden weiter unserem Investitionsplan folgen und die 50 Millionen Franken investieren. 
 
In den Interroll-Jahreszahlen 2021 kam zum Ausdruck, wie die erhöhten Materialpreise auf die Margen gedrückt haben. Wie haben sich die Materialpreise entwickelt? Sind sie ein Problem?
 
Ich würde es mal so sagen: Wir sind froh, dass wir aktuell nur mit Marktpreisen Herausforderungen sehen. Im letzten Jahr haben wir wegen der schwierigen Materialverfügbarkeit teilweise viel Geld bezahlen müssen. Zwar konnten wir die Verfügbarkeit mit grossem Aufwand verbessern, indem wir zum Beispiel Allianzen bildeten, damit die Versorgung mit Halbleitern aufrechterhalten werden konnte. Es gab dann aber zeitweise kein Kupferkabel mehr oder Verpackungsholz, um die Produkte versenden zu können. Mit Blick auf die letzten vier Monate in diesem Jahr, hat sich die Versorgungssicherheit stabilisiert. Ich weiss allerdings nicht, wie sich dies in Zukunft entwickeln wird. Wir sind aber, was unsere Supply Chain angeht, sehr gut aufgestellt und vernetzt. 
 
… und die Materialpreise?
 
Wir beobachten die Preise genau und versuchen auch, langfristige Lieferverträge umzusetzen. Das bringt uns ein Stück Sicherheit. Wir müssen aber höhere Materialpreise an die Kunden weitergeben. 
 
Wie reagieren die Kunden?
 
Wir schaffen frühzeitig Transparenz und informieren zeitnah. Dann reagiert ein Grossteil der Kunden auch mit Verständnis. 
 
Die Frage der Energieversorgung ist ein grosses Thema bei Unternehmen derzeit. Wie behandelt Interroll das Thema?
 
Derzeit ist es, was unsere Produktion angeht, kein grosses Thema. Wir bereiten uns aber vor für den Fall, falls es zu einer Energieknappheit kommen sollte. Entsprechende Pläne werden ausgearbeitet. 
 
Wie ist Ihr wirtschaftlicher Ausblick?
 
Mit Blick auf unsere Angebotspipeline können wir sagen, dass wir vorsichtig optimistisch sind. Der Bedarf an Automatisierung wird nicht abnehmen, im Gegenteil. Wir hören von überall den Mangel an Arbeitskräften. Der wird unserer Meinung nach nicht verschwinden. Die Lösungen, die wir anbieten, haben langfristig ein Potenzial, diese Krise zu meistern. 
 
In diesem Jahr soll auch ein Interroll-Werk in China eröffnet werden. Liegen Sie im Plan?
 
Ja, die Inbetriebnahme ist im dritten Quartal vorgesehen. Das Werk in China wird eines unserer grössten Werke sein. Durch unsere 'local-to-local'-Strategie produzieren wir vor Ort für den chinesischen Markt, werden aber in der Lage sein, den gesamten asiatischen Markt versorgen zu können. 
 
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass China wirtschaftlich immer autarker werden will. Man hört auch von schwierigeren Geschäftsbedingungen für ausländische Firmen. Haben Sie keine Bedenken?
 
Mit der 'local-to-local'-Strategie machen wir uns ein Stück unabhängig von der Entwicklung. Wir sehen überdies auch in China einen anhaltend hohen Bedarf an Automatisierung. Die Entscheidung, in China zu investieren und expandieren, war also genau die richtige. 
 
Die Preise für Unternehmensakquisitionen sind auch in der Intralogistik gefallen. Das eröffnet Gelegenheiten. Halten Sie Ausschau?
 
Unsere letzte Übernahme liegt ein Jahr und vier Monate zurück. Daran erkennt man, dass wir punkto Übernahmen ständig im Beobachtungsmodus sind. Wir sind aber aufgrund unseres organischen Wachstums nicht zwangsläufig darauf angewiesen. 
 
Wie sehen Sie mögliche Konsolidierungstendenzen in Ihrer Industrie? Wie sieht sie in fünf bis zehn Jahren aus?
 
Da gebe ich lieber keine Prognosen ab. Ich bin aus der Automobilindustrie gekommen. Dort sieht man, dass sich Thesen, die vor etwa vor 20 Jahren gestellt wurden, überhaupt nicht bewahrheitet haben. Klar sehen wir nun in der Intralogistik, das vereinzelt Konsolidierung stattfindet. Das macht uns aber nicht nervös. Wir sind in der Lage, mit unserer Plattformstrategie alle unsere Kunden zu bedienen - von der  Förderrolle bis zu einem komplett vollautomatisierten Sub-System. Und das global. Das kann sonst niemand in dieser Branche.