cash.ch: Die steigenden Zinsen haben dieses Jahr besonders dem Technologiesektor stark zugesetzt. Der vielbeachtete Nasdaq 100 steht 31 Prozent tiefer. Wie beurteilen Sie das aktuelle Marktumfeld für Innovationen?
Matt Moberg: Wenn ich ein Wissenschaftler wäre und auf dem Gebiet der Gentherapie arbeiten würde, wäre ich nicht auf die Zinsanhebungen fokussiert. Ich wäre vielmehr darüber erfreut, dass dieses Jahr bereits drei Gentherapien zugelassen wurden, zwei in der EU und eine in den USA. Denn es ist ein Beweis, dass dieses Ökosystem überleben wird und es möglich ist, Leben zu retten und Geld zu verdienen.
Kurzfristig könnten aber im gegenwärtigen Marktumfeld weitere Kursverluste drohen?
Wenn man in Innovation investiert, muss man einen langfristigen Anlagehorizont von mindestens 10 Jahren haben. In diesem Fall fragt man sich vielmehr, ob es ein starkes Ökosystem gibt, wo Innovation stattfindet. Dies hat eine grössere Bedeutung als die Zinsentwicklung. Diese ist sicherlich auf kurze Frist relevant. Aber langfristig spielt es vielmehr eine Rolle, ob es beispielsweise mehr Gentherapien gibt.
Wie würden Sie denn den gegenwärtigen Bärenmarkt, der im September nochmals Fahrt aufgenommen hat, beschreiben?
Wir gehen momentan durch einen sehr natürlichen Zyklus im Kapitalismus. Bei Waldbränden gibt es zwei Arten von Feuer: Es gibt diese, die natürlich sind. Einige Redwood-Bäume haben sehr dicke Rinden, um diesen Feuern zu widerstehen. Und die Zapfen öffnen sich erst bei genügend Hitze. Auch an der Börse sehen wir vielerorts solche gesunden Waldbrände. Im Endeffekt wird der Markt dadurch auf ein besseres Fundament gestellt. Es gibt aber auch Orte, wo der Brand nicht natürlich und gesund ist.
Wo hat es an den Märkten schädliche Übertreibungen gegeben?
Risikokapitalgeber investierten 100 Milliarden Dollar in Mitfahrdienstleister und Essenslieferdienste. Beinahe keines dieser Unternehmen hat bis jetzt die Gewinnzone erreicht. Uber verzeichnete im letzten Quartal erstmals einen Gewinn und ist eine Ausnahme. An irgendeinem Punkt muss eine Kapitalrendite erreicht werden. Und es gibt Brände, die den Wald für eine Generation zerstören. Dies gilt für Meme-Aktien oder SPAC. Und auch einige Kryptowährungen werden sich vom Absturz nicht erholen.
Die expansive Geldpolitik hat schlussendlich diese Flucht in Aktien befeuert…
Die Idee, dass an den Finanzmärkten Tina gilt, ist für niemanden gut. Man kann nur bis zu einem bestimmten Betrag sinnvoll in ein Konzept investieren. Wie viele zusätzliche Köche in einer Küche machen das Essen besser? Ab einem gewissen Punkt tritt ein negativer Effekt ein.
Trotzdem: Zwischen der jetzigen starken Korrektur-Phase und der Dotcom-Blase wurden viele Vergleiche gezogen. Sind diese nicht gerechtfertigt?
Es gibt einen grossen Unterschied zwischen heute und der Dotcom-Blase. Damals gingen die Gewinne im Tech-Sektor um 96 Prozent zurück, da Unternehmen und Konsumenten die Investitionen drosselten. Wir gehen zwar auch durch eine Phase der Neubewertung, doch Technologie ist heute meist sehr profitabel. Und die Rentabilität des eingesetzten Kapitals in Technologie ist für Unternehmen im Gegensatz zu damals viel höher. Technologieunternehmen können heutzutage beinahe als Grundversorger beschrieben werden. Auch wenn ein Unternehmen Konkurs geht, kann dieses zur Selbsterhaltung nicht plötzlich auf Software verzichten. Ansonsten verschwindet es ganz von der Bildfläche. Es ist ähnlich, wie wenn plötzlich der Strom wegfallen würde.
Wie sollen sich Anlegerinnen und Anleger in einer solchen Marktphase verhalten?
Man sollte in Unternehmen investieren, die für eine lange Zeit stärker als die Gesamtwirtschaft wachsen. Vielfach gilt dies für zehn oder fünfzehn Jahre.
Sind nicht gerade solche schnell wachsenden Unternehmen noch immer überbewertet?
Innovation wird oftmals zutiefst falsch verstanden und daher falsch bewertet. Die innovativsten Unternehmen werden oft als die teuersten bezeichnet, obwohl diese tatsächlich sehr preiswert sind.
Warum ist die Bewertung von Innovation so schwierig?
Es ist schwer etwas zu bewerten, was zuvor nicht existiert hat. Es ist sehr schwierig zu verstehen, wie gross der Markt schlussendlich werden wird. In den frühen Analysen zu Uber sagte man: Es gibt 2000 Taxis in New York und Uber kann einen Marktanteil von 25 Prozent erreichen. Heutzutage gibt es zu jeder Zeit 10'000 Uber-Fahrer in Manhattan. Der Grund ist einfach: Es ist ein so schreckliches Erlebnis, in den USA ein Taxi zu organisieren. Die Nachfrage war daher viel grösser als erwartet, da die Technologie so gut war.
Ist die gegenwärtige Marktkorrektur daher eine gute Kaufgelegenheit oder droht eine Fortsetzung des Negativtrends?
Wir wissen es nicht. Unsere Expertise ist es, Unternehmen mit Innovation zu identifizieren. Bei unseren Investments haben wir ein grosses Vertrauen, dass diese schnell und über eine lange Zeit in jedem Wirtschaftsumfeld wachsen werden.
Auch in einer Rezession?
In solchen Zeiten weisen Wachstumstitel historisch gesehen eine Outperformance gegenüber dem Gesamtmarkt auf. Aber wir sind noch nicht in einer Rezession in den USA.
Gibt es bei den Tech-Unternehmen nicht auch Verlierer?
Wenn man die Gewinnrevisionen bei Unternehmen betrachtet, leiden derzeit der zyklische Konsum und der Kommunikationssektor. Es betrifft den durch hohe Energie- und Nahrungskosten betroffenen Konsumenten und damit Unternehmen wie Amazon, Shopify, Target und Walmart. Indirekt sind dadurch auch Facebook, Paypal und Google betroffen, da die beiden Sektoren durch das Werbegeschäft eng verknüpft sind.
Wo gibt es derzeit Gewinner?
Im Energie- und Versorger-Sektor werden die Gewinne nachhaltig steigen, da die Energiepreise strukturell bedingt hochbleiben werden. Auch wenn Putin den Gashahn wieder öffnet, besteht eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland antwortet: 'Wir nehmen es heute, verändern aber unsere Energieinfrastruktur über das nächste Jahrzehnt'. Dies bietet Opportunitäten, da es viel Innovation im Bereich der erneuerbaren Energien gibt.
An welche Unternehmen denken Sie?
Im Solarbereich sind es die Produzenten von Mikro-Wechselrichtern. Dazu gehört Enphase, das industrieweit die grössten Margen erwirtschaftet. Wir sind derzeit auch sehr interessiert an Unternehmen, die genetisch verändertes Saatgut herstellen. Dies ermöglicht eine Erhöhung der Nahrungsproduktion. Aus diesem Grund besitzen wir Corteva. Bei den erhöhten Mais- und Sojapreisen bezahlen Bauern einen Aufschlag für Saatgut, um sicherzugehen, dass die Ernte gut wird.
Welche Innovation ist ein schlechtes Investment?
Die zweitgrösste Invention des 20. Jahrhunderts war die Containerisierung des Welthandels, was deflationär wirkte und den Lebensstandard anhob. Denn diese Container können einfach mittels Zügen, Lastwagen oder Schiffen transportiert werden. Doch es gab keinen Weg, um in diese Innovation zu investieren. Containerhersteller gibt es nicht zuhauf. Bei Blockchain verhält es sich gleich: Die Innovation wird vermutlich transformativ sein. Aber es ist ziemlich schwierig, darin zu investieren. Es gibt daher viele Technologien, die keine guten Investments sind. Aber diese können gleichzeitig extrem mächtig sein und unser Leben tiefgründig verändern.
Aber Investments in eine Kryptowährungsbörse wie Coinbase sind ja möglich…
Coinbase besitzen wir nicht. Es werden Regulierungen kommen, die nicht gut für Coinbase aber für die Industrie sind. Coinbase verrechnet beim Kauf und Verkauf 2 Prozent Gebühren, was den Grossteil des Umsatzes ausmacht. Diese Gebühren werden keinen Bestand haben. Aktien können ja auch gratis gehandelt werden. Und wenn die Börsenaufsicht Regulierungen vornimmt, werden auch die Grossbanken Kryptowährungen zum Handel anbieten.
Welche Trends werden am Markt gegenwärtig noch unterschätzt?
Erneuerbare Energien werden im Zeithorizont von 2 bis 3 Jahren noch sehr unterschätzt. Wir sind langfristig von Microsoft, Google und Facebook überzeugt, da die sinkenden Kosten zur Schaffung und Übertragung von Daten Innovation auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, dem maschinellen Lernen, der erweiterten Realität und dem Metaverse ermöglicht. Apple und Tesla werden im Bereich der Produktion von neuen atomaren Elementen profitieren. Und im Bereich der Gentechnik dürften zukünftig Unternehmen mit Billionen-Dollar-Marktkapitalisierung entstehen.
Aber im Moment gibt es noch wenige aussichtsreiche Investments in der Gentechnik…
Sicherlich besteht noch kein goldenes Zeitalter für Gentherapien. Es sind 14 Gentherapien für Menschen zugelassen. Wir erwarten, dass dies exponentiell wachsen wird. Aber jetzt ist bereits eine gute Zeit für ein Investment in einen führenden Laborzulieferer, da die Forschungsausgaben steigen. Daher sind zwei unserer grössten Positionen Danaher und Thermo Fisher. Beide haben das Potenzial, noch stark zu wachsen.
In Ihrem Fonds gehört Tesla zu den Toppositionen: Was ist Ihre Prognose für die zukünftige Entwicklung des Autobauers?
In einer Zeit von Versorgungsengpässen einen Fünf-Jahres-Vorsprung zu haben, eine Viertelmillion Autos pro Quartal zu produzieren und die grössten Margen in der Industrie zu erreichen ist eine aussergewöhnliche Leistung. Es gibt keinen Autobauer, der über ähnliche Margen verfügt. Zudem hat Tesla kein Nachfrageproblem. Sie bauen so viele Autos, wie sie können und erzielen einen Gewinn von 2 Milliarden Dollar pro Quartal. Tesla ist in einer sehr starken Position gegenüber den traditionellen Autobauern.
Aber die Bewertung ist doch ziemlich hoch…
Tesla wird vielfach falsch verstanden, indem es mit traditionellen Autobauern verglichen wird. Sie verstehen die Bewertung nicht. Tesla ist eher mit Apple vergleichbar. Es wird ein Produkt hergestellt, zu dem man Software verkauft. Es ist wie beim Apple-App-Store. Auch das Vertriebssystem von Tesla ähnelt Apple. Sie haben keinen Bestand, der bei Autohändlern abgestellt ist. Man geht in einen Laden, sitzt in ein Auto und kauft dann eines, das nachhause geliefert wird. Dieses System ist effizient. Die Margen können so schlussendlich auf 30 Prozent steigen.
Matt J. Moberg, Senior Vice President und Portfoliomanager bei der Franklin Equity Group, verwaltet Strategien, die sich auf Investitionen in Innovation konzentrieren. Darunter fallen der "Franklin DynaTech Fund", der "Franklin Innovation Fund" und eine Reihe von thematischen Strategien. Er verwaltet auch die "Franklin Focused Growth Strategie", die einen konzentrierten Ansatz für Investitionen in wachstums- und innovationsorientierte Aktien verfolgt.
Im Jahr 1999 kam Moberg als Aktienanalyst zu Franklin Templeton und spezialisierte sich auf die Analyse von Internet, Medien, Software und Gaming. Bevor er zu Franklin Templeton kam, arbeitete er bei Coopers & Lybrand als Wirtschaftsprüfer und Berater. Während seiner Zeit bei C&L spezialisierte er sich auf den Banken- und Finanzsektor. Moberg erwarb seinen Bachelor in Geschichte an der Washington & Lee University und einen Master of Business Administration an der University of Michigan. Er studierte ausserdem Rechnungswesen an der University of Southern California.