Auf dem Gelände des Tagebaus Hambach, am Rande des einstigen Herzens der deutschen Industrie, beginnt der Boden zu beben, wenn sich der riesige Schaufelradbagger, schwerer als der Eiffelturm, durch die Landschaft frisst und Braunkohle abbaut. Diese wird unter anderem zur Stromerzeugung in verschiedenen Papierfabriken im nahe gelegenen Düren genutzt.

In der kleinen 90'000-Einwohner-Stadt, 40 Kilometer westlich von Köln, prallen die Probleme Deutschlands aufeinander: In einst wirtschaftlich blühenden Orten wie Düren wird um die Zukunft des Landes gerungen. Der Wahlkampf für die vorgezogenen Neuwahlen am 23. Februar wird an diesem Wochenende mit den Parteitagen der SPD und der rechtspopulistischen AfD richtig Fahrt aufnehmen.

«Unsere Mitglieder sind sehr verunsichert und suchen Orientierung», sagte Helge Peter Herrwegen, Bezirksleiter der IGBCE-Gewerkschaft in Alsdorf nahe Düren, die Bergleute und Arbeiter aus der Papierindustrie vertritt und einst eine mächtige Stimme in der Region war. «Die Gespräche, die wir führen, sind schwierig.»

Von der Unsicherheit bei der Energieversorgung bis hin zur stockenden Industrieproduktion - Düren liegt im Zentrum des Strukturwandels, der Europas grösste Volkswirtschaft erschüttert. Während Deutschland auf heimische fossile Energieträger wie jene aus dem Tagebau Hambach verzichten will, fürchten die Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze, weil ihre Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, mit Konkurrenten aus den USA und China mitzuhalten.

Abbau von Arbeitsplätzen

Die Auswirkungen des industriellen Abschwungs in Deutschland sind im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen kaum zu übersehen. Grosse Arbeitgeber wie Thyssenkrupp und Ford haben den Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt. Das Scheitern der Ampelregierung um Bundeskanzler Olaf Scholz und Jahre halbherziger politischer Massnahmen haben das Vertrauen nur noch weiter erschüttert.

Die AfD — in Umfragen auf Platz zwei — nutzt gezielt die Ängste in Orten wie Düren, die die Hauptlast der deutschen Netto-Null-Ambitionen tragen werden. Dort verfängt die Forderung der Partei, internationale Klimaabkommen aufzugeben. Auch wenn solche Schritte rechtlich und wirtschaftlich unwahrscheinlich sind, ist die Aussicht auf mehr vom Gleichen — in diesem Fall von den etablierten Parteien — für die verunsicherten Einwohner nicht attraktiv.

In Düren gewann die AfD bei den Europawahlen im vergangenen Juni mehr als 4000 Stimmen und lag damit nur 132 Stimmen hinter der SPD, der einst so verlässlichen Stimme der Arbeiterklasse.

Der starke Gegenwind für die Mitte-Links-Parteien zeigt sich darin, dass die SPD und die Grünen in ganz Deutschland gegenüber populistischen Parteien — darunter das neue linkspopulistische BSW — an Boden verlieren. Während der Rechtsruck im Osten stärker ausgeprägt ist, sind ähnliche Trends zugunsten von Randparteien im ganzen Land zu beobachten.

Braunkohletagebau in Hambach (NRW).

Für die Erweiterung des Tagebaus hatten die Menschen in der Region ihre Heimat und ihre Häuser aufgegeben.

Quelle: IMAGO/Robin Huth

In Nordrhein-Westfalen sind Städte wie Duisburg — wo die Stahltochter von Thyssenkrupp 11'000 Stellen abbaut — und Bochum – das noch immer unter der Schliessung eines Opel-Werks im Jahr 2014 leidet – zu Zielscheiben der AfD geworden. Hier versucht die Partei, ihre Basis in Westdeutschland zu stärken.

«Die Menschen in diesen Städten wachen auf und erkennen den Schaden, den die Politiker angerichtet haben», sagte Christian Loose, wirtschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion NRW. Da die Partei bis zum Ende des Jahrzehnts die politische Dominanz im Bundesland anstrebt, versucht sie, den Einfluss der organisierten Arbeitnehmerschaft zu schwächen. «Gewerkschaftsbosse unterstützen Klimapolitik und vertreten nicht mehr die Interessen ihrer Mitglieder», so Loose.

In Ostdeutschland ist die Frustration der Wähler auf die Wiedervereinigung zurückzuführen. Und das Gefühl, abgehängt zu werden, wurde durch den Zustrom von Flüchtlingen noch verstärkt. Im Westen rührt das Unbehagen von der Bedrohung der Lebensgrundlage durch sinkende Wettbewerbsfähigkeit her — wobei Umweltinitiativen ins Visier geraten, da sie als schädlich für die lokale Wirtschaft angesehen werden.

«Die AfD nutzt die Ängste in Regionen aus, in denen die Industrien Schwierigkeiten haben, sich anzupassen», sagt Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Seiner Meinung nach wird sich der Trend noch verstärken, da Deutschland in diesem Jahrzehnt die Reduzierung von Emissionen beschleunigt, um seine Klimaziele zu erreichen. «Für ängstliche Wähler bietet die AfD einen radikal anderen Kurs.»

«Das Geschäft ist derzeit sehr schwierig»

In Düren scheint die wirtschaftliche Erholung in weiter Ferne zu sein. Die Papierfabrik Schoellershammer steht symbolisch für die lokalen Probleme. Früher war sie auf drei wöchentliche Lieferungen von Braunkohlebriketts per Bahn angewiesen, die von einem Hersteller in der Nähe des Tagebaus Hambach stammten. Nachdem die Bundesregierung um Angela Merkel 2019 den Kohleausstieg beschlossen hatte, installierte die Fabrik einen Gasofen, um den für die Produktion benötigten Wasserdampf zu erzeugen. Dessen Verlässlichkeit hielt jedoch nicht lange an.

Der Ausfall der russischen Gaslieferungen nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 liess die Gaspreise in die Höhe schnellen und stürzte Schoellershammer in eine Krise. Die Fabrik passte sich an die neue Situation an, indem sie ihre eigenen Produktionsabfälle verbrannte, um die Energiekosten zu senken. Doch die Herausforderungen bleiben bestehen. EU-Verordnungen und eine schwächelnde Wirtschaft bereiten weiterhin Kopfzerbrechen.

«Das Geschäft ist derzeit sehr schwierig», sagt Armin Vetter, Produktionsleiter bei Schoellershammer, einem Unternehmen dessen Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Die Situation sei vergleichbar mit dem Abschwung nach der globalen Finanzkrise, aber länger anhaltend. «Aus unseren Aufträgen gibt es keine Anzeichen für eine generelle Verbesserung der Wirtschaft.»

AfD sucht die «politische Wende»

Die sich verschlechternden Jobchancen sind für junge Menschen besonders frustrierend — und gerade diese Gruppe spricht die AfD über soziale Netzwerke wie TikTok an. In einem kürzlich veröffentlichten Video erklärte Martin Vincentz, der 38-jährige Fraktionsvorsitzende der AfD in NRW, dass «eine Generation heranwächst, mit der wir die politische Wende in diesem Land vollenden können».

«Ich nehme wahr, dass viel über soziale Medien kommuniziert wird und weniger direkt in den Betrieben«, sagt Matthias Dürbaum, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des Energiekonzerns RWE AG. Damit spielt er auf den schwindenden Einfluss der Gewerkschaften auf die politische Zugehörigkeit an.

Die AfD hat mit ihrer Forderung nach einer »Abschiebungsoffensive» und einem EU-Austritt Deutschlands für Aufsehen gesorgt. Nach ausländerfeindlichen Äusserungen und verbotenen Nazi-Parolen durch ihre Führungsriege wurden drei Landesverbände im Osten als rechtsextrem eingestuft und vom Verfassungsschutz überwacht.

Das Rathaus in Düren (NRW).

Das Rathaus von Düren: Der Bürgermeister bleibt zuversichtlich.

Quelle: IMAGO/Richard Wareham

In Düren versuchen Ernst Müller und seine Frau Yvonne, junge Menschen davon abzuhalten, in den ethnischen Nationalismus abzurutschen. Der ehemalige Europameister im Mittelgewicht betreibt einen Boxverein und trainiert einige Dutzend Jugendliche unterschiedlicher Herkunft. Seine Frau und er wollen ihnen Mut machen und das Gefühl geben, wichtig zu sein.

Müller sitzt in seinem Büro, das voller Fotos und Erinnerungsstücke aus der Blütezeit seiner Karriere Ende der 1970er-Jahre ist. Stolz zeigt er auf eine Auszeichnung für seine Verdienste um die Integration nichtdeutscher Jugendlicher in die Gemeinschaft. Deutschland müsse sich zusammenschliessen, um aus der Krise zu kommen, sagt Müller.

«Wir sind hier wie eine Familie«, sagt seine Frau Yvonne und betont, dass sich ihr Club anders als einige andere Kampfsportclubs in Europa und den USA gegen die rechtsextremen Einflüsse stellt. »Wir passen aufeinander auf und helfen uns gegenseitig durch schwierige Zeiten. Wir sind sehr stolz auf das, was diese Kinder und Jugendlichen später einmal erreichen werden.»

Vertrauen gerät ins Wanken

Im Dürener Rathaus versucht Bürgermeister Frank Peter Ullrich Trost in der Vergangenheit zu finden. Im Büro des Sozialdemokraten zeigt ein Wandteppich verheerende Ereignisse vom Dreissigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg — als vorrückende alliierte Truppen die Stadt dem Erdboden gleichmachten, um blutige Häuserkämpfe zu vermeiden. Die Region erholte sich jedes Mal.

Auch wenn die Lage heute weniger dramatisch sei, hätten die verspäteten Hilfen für den Kohleausstieg die Skepsis in der Bevölkerung noch verstärkt, so Ullrich. Zuvor waren bereits Orte geräumt und Teile des 12'000 Jahre alten Hambacher Forsts gerodet worden, um Kohle als Brennstoff für lokale Unternehmen zu gewinnen.

«Die Menschen haben ihre Heimat und ihre Häuser aufgegeben», sagte Ullrich in Bezug auf Dörfer, die für die Erweiterung des Tagebaus zerstört wurden. «Der Gegenwert waren immer sichere Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung. Dieses Vertrauen gerät ins Wanken.»

(Bloomberg)