Weltweit sind eine Milliarde Menschen fettleibig, so besagen es Schätzungen. Ein grosser Teil dieser Menschen lebt in den USA, und zwar 100 bis 120 Millionen, je nach Quelle. Entsprechend gross ist der Markt für Arzneien gegen Adipositas.

Eine Hausnummer dazu liefert die Bank Vontobel in einem kürzlich veröffentlichten Report. Die Experten gehen von derzeit zwei Millionen Amerikanern aus, die GLP-1-Medikamente («Glucagon-like Peptide 1») zur Gewichtsreduktion einnehmen.

Steigt diese Zahl auf 15 Millionen Personen, so resultiert ein Markt in der Grösse von über 110 Milliarden US-Dollar. Der relevante Markt hängt allerdings von der Verfügbarkeit der Medikamente, der Kosten, der Anzahl Anwender und dem Versicherungsschutz ab.

Pharmaunternehmen haben das Potenzial längst erkannt und sind mit ihren Produkten in den Adipositas-Markt vorgedrungen. Positioniert haben sich insbesondere Eli Lilly und Novo Nordisk. Bei Roche weisen Studiendaten zu den Wirkstoffen CT-388 und CT-996 zwar Wirksamkeit, doch auch Nebenwirkungen nach. 

Laut einigen Analysten können die Roche-Medikamente dereinst aber durchaus mit den Erzeugnissen der Konkurrenz mithalten. CT-388 könne sogar besser werden als Wegovy von Novo Nordisk, schreibt der zuständige Experte der Zürcher Kantonalbank in einem Kommentar von Mitte September. Und weiter heisst es: «CT-996 könnte sich durchaus zu einem führenden Preisbrecher entwickeln.»

Experten sehen «einen grossen positiven Einfluss auf Ypsomed»

Die Bewegung auf dem Markt für Adipositas-Gegenmittel zieht jedoch Kreise, die über den Pharmasektor hinausreichen. Bemerkbar machen dürften sie sich bei Versicherern und Pharmazulieferern. Der Vontobel-Studie zufolge werden speziell der Rückversicherer Swiss Re und der Medizinaltechniker Ypsomed betroffen sein. Für die Aktien beider Unternehmen sprechen die Analysten eine Kaufempfehlung aus.

Ypsomed hat mit Novo Nordisk bereits im September 2023 einen langfristigen Liefervertrag für «grosse Mengen von Autoinjektoren» abgeschlossen, wie das Unternehmen aus Burgdorf damals mitteilte. Es erwartete, dass die Vereinbarung ab dem Geschäftsjahr 2025/26 zum kommerziellen Umsatz beitragen wird.

Inzwischen legte CEO Simon Michel nach: «In den nächsten 10 Jahren wird Novo Nordisk etwa ein Drittel des Gesamtvolumens von Ypsomed abnehmen, während es beim Umsatz etwas weniger als ein Viertel sein wird», sagte er im cash-Interview vom vergangenen Juni. Im selben Gespräch sah er Ypsomed am Ende des Jahrzehnts als «Ten-Billion-Dollar-Company».

Selbstvertrauen schöpft der Yspomed-CEO wohl auch aus der Aktienkursentwicklung. Die Papiere sind von unter 130 Franken im Sommer 2022 auf über 420 Franken avanciert. Die Reise dürfte noch nicht zu Ende sein, zumindest wenn es nach den Experten der Bank Vontobel geht. Sie veranschlagen das Kursziel für Ypsomed bei 470 Franken. Es bedeutet ein Aufwärtspotenzial von gut zehn Prozent gegenüber dem aktuellen Kurs.

«Wir glauben, dass Adipositas-Medikamente mittel- bis langfristig einen grossen positiven Einfluss auf Ypsomed haben werden», schreiben die Vontobel-Experten. Die Märkte für Autoinjektoren wüchsen aufgrund der Nachfrage nach GLP-1-Arzneien schnell. Ypsomed werde voraussichtlich ein Umsatzwachstum von über 40 Prozent pro Jahr im Zeitraum bis 2028 verzeichnen. Als speziell ausschlaggebend dafür erachtet Vontobel eine Kapazitätsausweitung, doch auch der Vertrag mit Novo Nordisk werde das Wachstum unterstützen.

Rückversicherer Swiss Re dürfte unter dem Strich profitieren

Unter den Favoriten der Bank Vontobel befindet sich auch Swiss Re. Bei kaum einem anderen Schweizer Versicherungsunternehmen dürften sich die Entwicklungen im Markt für Adipositas-Gegenmittel so stark bemerkbar machen wie beim Rückversicherer.

Dieser Einfluss funktioniert so: Das Unternehmen mit Hauptsitz in Zürich ist weltweit führend im Geschäft mit Lebens- und Krankenrückversicherungen. Es versichert weltweit rund 250 Millionen Menschen, und es wird geschätzt, dass etwa die Hälfte dieser Menschen in den USA lebt - dem relevantesten Markt für Adipositas-Gegenmittel.

Laut Vontobel könnte von diesem Markt mittel- bis langfristig erhebliche Auswirkungen auf das Lebensrückversicherungsgeschäft von Swiss Re ausgehen: «Sollten sich die Sterblichkeitsraten in den USA deutlich verbessern, könnte dies in einigen Jahren erhebliche Auswirkungen auf Umsatz und Gewinn haben», schreiben die Experten. Indes sei es zu früh für ein zuverlässiges Beziffern der Effekte.

Mit gewissem Gegenwind ist allerdings zu rechnen, und zwar wegen Haftungsfragen aufgrund von Nebenwirkungen - inbesondere in einem prozessfreudigen Land wie den USA. Die Analysten sehen hier Schwierigkeiten für Unfallversicherer. Schliesslich dürfte auch Swiss Re von Haftpflichtproblemen betroffen sein. Die Gewinne im Lebens- und Krankenversicherungsgeschäft können so auf lange Sicht teilweise geschmälert werden. 

Neben der Kaufempfehlung rufen die Experten ein Kursziel von 140 Franken für die Aktien von Swiss Re aus. Es bedeutet ein Aufwärtspotenzial von etwas über zwanzig Prozent gegenüber dem aktuellen Kurs von 115 Franken. Unter den 21 von Bloomberg erfassten Analysten ist lediglich noch der Experte der US-Grossbank JP Morgan gleich zuversichtlich für den Schweizer Rückversicherer wie Vontobel. Auch er veranschlagt das Kursziel bei 140 Franken.

 

 

Reto Zanettin
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