cash.ch: Für Schweizer Immobilienbesitzer haben die Finanzmarktturbulenzen Folgen, da die Schweizerische Nationalbank (SNB) wohl mit ihrer Geldpolitik darauf reagieren wird. Was erwarten Sie von der SNB nächsten Donnerstag für einen Entscheid, nachdem die EZB die Zinsen erneut kräftig angehoben hat?

Burak Er: Die EZB musste 50 Basispunkte anheben, da sie dies im Vorfeld so stark signalisiert hatte. Für die SNB wird ein ähnlicher restriktiver Schritt sehr schwierig. Die Entscheidungsträger wissen wohl selbst noch nicht, was jetzt angebracht wäre. Man schaut tageweise, wie sich die Lage entwickelt. Schlussendlich wird aber der geldpolitische Entscheid der US-Notenbank Fed vom Mittwoch richtungsweisend sein. Eine Leitzinserhöhung für die SNB von 75 Basispunkten ist am Donnerstag sicherlich vom Tisch. Die Entscheidung wird zwischen 25 und 50 Basispunkten liegen, wobei für danach keine weiteren Erhöhungen signalisiert werden dürften. 

Was macht die Entscheidung für die SNB so schwierig?

Es ist viel schwieriger als vor zwei Wochen, höhere Zinsen durchzusetzen. Die Notenbanken sind nicht mehr so besorgt über die Inflation, sondern das Systemrisiko und was man kommuniziert, stehen im Fokus. Wenn eine Notenbank vorausgeht und die Zinsen nicht mehr anhebt, signalisiert sie, dass ein Risiko besteht. Es ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Die Ankündigung von der Übernahme der CS durch die UBS hat die Märkte nicht wirklich beruhigt. Auf dem Zinsmarkt wird daher jetzt - im Unterschied noch zur letzten Woche - eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit für eine Erhöhung um mehr als 25 Basispunkten eingepreist. Viel wichtiger als die Höhe des nächsten Zinsschrittes erscheint mir aber, dass die SNB mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Pause einlegen und die Zinsen in einem Quartal nicht mehr weiter erhöhen wird.

Wird der Zinserhöhungszyklus durch die Finanzmarktturbulenzen jetzt früher beendet?

Vielleicht nicht gerade beendet, aber auf jeden Fall unterbrochen. Die Inflation löst sich jedoch nicht einfach in Luft auf. Wenn es gelingt, die Bankenprobleme zu beheben, dann rückt die Inflationsbekämpfung wieder in den Vordergrund. Aber wenn Systemrisiken bestehen und das Finanzsystem Risse zeigt, dann ist die Inflation sekundär. Aus letzterem Grund ist es momentan schwierig, den Zinserhöhungszyklus fortzusetzen, weshalb nach der Sitzung dieser Woche nun eine Zinspause erwartet werden darf. 

Inwiefern wird mit dieser geldpolitischen Unsicherheit die Hypozins-Prognose noch schwieriger?

Grundsätzlich werden die Hypothekarzinsen zusammen mit den Anleiherenditen fallen, wenn auch nicht im gleichen Ausmass. Dies ist auf den Swap-Spread und auf die Kreditmarge zurückzuführen. Banken sind wichtige Akteure am Swap-Markt und leihen sich dort untereinander Geld aus. Wenn ein grösseres Misstrauen untereinander besteht, erhöht sich die Risikomarge beziehungsweise der Swap-Spread - Aufschlag gegenüber Anleiherenditen. Banken könnten zudem aufgrund der Unsicherheiten ihre Kreditmargen erhöhen. Daher ist es aktuell schwierig abzuschätzen, wie sich diese Risikoaufschläge bewegen werden.

An was sollten sich Immobilienbesitzer orientieren, um die Markterwartung betreffend dem Leitzins zu erhalten?

In normalen Zeiten bilden Staatsanleihen und Swap-Sätze die Markterwartung am besten ab. Aktuell muss man auf alles schauen. Auch Ausfallversicherungen für Bankenanleihen werden relevant, da sich deren Anstieg auf die Swap-Sätze auswirken kann. Wer sich ein Bild bezüglich der erwarteten Leitzinsentwicklung machen möchte, sollte das kürzere Ende der Zinskurven beobachten. Die gewölbte Entwicklung deutet darauf hin, dass dieses Jahr die Zins-Spitze für den Saron erreicht wird und im Jahr 2024 erste Senkungen anstehen könnten. Für Immobilienbesitzer bietet sich eine gute Möglichkeit, die Finanzierungsstruktur neu zu evaluieren und entsprechend zu strukturieren.

Was bedeutet dieser unsichere Ausblick konkret für den Hypothekarnehmer?

Diese Unsicherheit bedeutet, dass die Anleiherenditen tief und die Aufschläge bei Swap-Sätzen hoch sind, weil sich die Banken untereinander bei der Finanzierung weniger trauen. Und dieser Aufschlag bleibt wohl auch eine längere Zeit hoch, so dass Hypothekarnehmer nicht komplett von den sinkenden Zinsen profitieren. Es kommt auch darauf an, wie sich der Hypothekaranbieter refinanziert und ob er flexibel ist, auch sinkende Swap-Sätze zeitnah weiterzugeben.

Bei den ersten Anbietern ist die Hypozinskurve invers geworden. Was sind Ihre Beobachtungen?

Bei der Hypozinskurve ist tatsächlich eine inverse Entwicklung zu beobachten. Der Hypothekarmarkt spiegelt grundsätzlich die Entwicklungen auf dem Obligationen- und Swap-Markt wider, wobei die Hypozinskurve viel glatter verläuft. Dies ist auf den Spielraum bei der Festlegung der Kreditmargen zurückzuführen. Die Marktbewegungen deuten darauf hin, dass es in den nächsten zwölf bis 24 Monaten zu Zinssenkungen kommen wird und sich die Inflationsdynamik in der mittleren bis langen Frist abschwächen wird. Entsprechend adjustieren sich auch die Hypothekarzinsen.

Wenn jemand seine Hypothek jetzt neu abschliessen oder refinanzieren will: Auf was muss man in der aktuellen Lage achten?

Momentan ist Flexibilität wichtig. Zudem sollte man nicht in Panik verfallen. Eine Festhypothek für zehn Jahre kostet zurzeit nicht viel mehr als im Sommer 2022, als die SNB den Leitzins zum ersten Mal angehoben hatte. Überstürztes Handeln wurde nicht wirklich belohnt. Wenn, wie jetzt innerhalb einer Woche, die Zinsen um etwa 50 Basispunkte fallen, ist man froh, eine Saron-Hypothek zu haben. Dann kann man die Gelegenheit nutzen und einen Teil langfristig absichern.

Schlussendlich geht es für Hypothekarnehmer langfristig gesehen auch um die Frage, ob die Ära der Niedrigzinsen definitiv der Vergangenheit angehört. Was denken Sie?

Dass wieder Negativzinsen zurückkommen, ist auf absehbare Zeit sicherlich unrealistisch. Wichtig ist es aber, sich vor Augen zu führen, dass die Zinsen nicht wegen eines anziehenden Wirtschaftswachstums, sondern wegen der Inflation hochgegangen sind. Wenn das Inflationsproblem daher langfristig behoben ist, werden die Zinsen wieder herunterkommen. Als Hypothekarnehmer sollte man darauf achten, dass man sich während steigenden Leitzinsen nicht vollumfänglich zu einer Festfinanzierung verpflichtet. Stattdessen sollte man bei der Finanzierungsstruktur eine gewisse Flexibilität einräumen, um auf solche Situationen wie jetzt entsprechend reagieren zu können.

Aber das Inflationsthema wird nicht so schnell verschwinden?

Für den Markt ist die aktuelle Bankenkrise noch nicht ausgestanden und er preist unter anderem aktuell einen Wirtschaftseinbruch ein. Mit dem damit einhergehenden Nachfrageeinbruch würde auch die Inflation zurückgebunden werden. Wenn sich die Probleme am Finanzmarkt hingegen lösen lassen, wird aber das Inflationsthema weiter relevant sein. Dann kann man wieder erwarten, dass die Zinsen hochgehen. Deshalb sollte man solche Situationen zur günstigen Refinanzierung taktisch nutzen.

Die Preise für Wohneigentum steigen nur noch schwach. Wie haben sich das Angebot und die Nachfrage auf dem Markt für Wohnimmobilien in den letzten Monaten angesichts steigender Zinsen entwickelt?

Das Angebot wurde immer noch knapper, während die Nachfrage stabil blieb. Dieses Ungleichgewicht führte dazu, dass die Preise stagniert haben und nicht gesunken sind.

Was unterscheidet die Situation in der Schweiz von derjenigen in Schweden oder Deutschland?

Den Immobilienmarkt zwischen Ländern zu vergleichen ist ein schwieriges Unterfangen, da viele Faktoren hineinspielen. Nur weil in Schweden aufgrund steigender Zinsen die Preise sinken, muss das in der Schweiz nicht passieren. Es spielt auch das regulatorische Umfeld oder die Angebotsstruktur eine Rolle. So sieht man in den europäischen Ländern, wo Preise zurückgehen, dass die Regelung zur Belehnung teilweise viel zu lasch war. Und gleichzeitig hat man eine höhere Inflation und höhere Zinsen. Und wenn ein grösserer Teil der Immobilienbesitzer sich variabel finanziert hat, besteht somit ein Problem. Die Refinanzierung wird schwierig und zwingt den einen oder anderen dazu, die Liegenschaft zu veräussern. Und mit der Angebotsausweitung gibt es einen Preiseinbruch. Während dem Tiefzinsumfeld gab es oft kritische Stimmen, welche die strenge Regulierung bezüglich der Tragbarkeit in der Schweiz, insbesondere den kalkulatorischen Zinssatz, kritisierten. Diese strengen Richtlinien sind genau für solche Zeiten wie jetzt gedacht und zahlen sich nun entsprechend aus.

Was zeichnet das Angebot an Wohneigentum in der Schweiz aus?

Auf der Angebotsseite wirkt sich der tiefe Leerstand und die zurückgegangene Bauaktivität aus. Man hatte einen Hype in den Jahren 2017 und 2018, wo man überall gebaut hat und der Leerstand dementsprechend anstieg. Dies drückte auf die Rentabilität. Daher hat man, noch bevor die Zinsen und Preise gestiegen sind, die Bauaktivitäten reduziert. Auch wenn mehr Leute ihre Liegenschaft veräussern müssten, hat man auf der Angebotsseite einen Puffer, der die Preise gegen unten absichert. 

Die Nachfrage nach Wohneigentum ist in der Schweiz nachhaltig. Warum zeichnet sich trotz steigender Zinsen keine Abschwächung ab?

Die Zuwanderung von einkommensstarken Personen hat einen grossen Einfluss auf die robuste Nachfrage. Und neueste SNB-Daten zeigen, dass der Medianlohn bei neu vergebenen Hypotheken nicht besonders angestiegen ist. Es können sich daher nicht nur sehr einkommensstarke Personen eine Immobilie leisten. Auch die Belehnung ist nicht massiv gestiegen. Die Leute müssen nicht viel mehr Kredit aufnehmen, um eine Liegenschaft zu kaufen. 

Wie werden sich die Preise für Wohnimmobilien entwickeln?

Die Preise werden stagnieren. Es gibt nur wenige Argumente, die für steigende Preise wie in den letzten fünf bis zehn Jahren sprechen. In dieser Zeit sind viele institutionelle Anleger in den Markt gekommen, da es nicht wirklich ein alternatives Investment gab. Diese Ausgangslage hat sich mit den steigenden Zinsen verändert.

Was spricht gegen sinkende Preise?

Die Schweizer Immobilienwirtschaft ist stabil. Wenn ich eine Million Franken besässe, würde ich auch jetzt eine Liegenschaft kaufen und diese vermieten. Damit nehme ich auch in Kauf, dass diese im Preis 10 bis 15 Prozent fallen könnte, da ich gleichzeitig über stabile Einnahmen und in der mittleren bis langen Frist über einen Inflationsschutz verfüge. Es gibt genügend Leute, die gerne investieren möchten und nur darauf warten, dass die Preise fallen. Die Nachfrage ist daher nachhaltig und nach einer Phase der Stagnation werden die Preise wieder ansteigen. Denn die Schweizer Wirtschaft wird sich auch in der Zukunft weiter robust verhalten.

Die Diskussion um einen Preiseinbruch in der Schweiz ist Schwarzmalerei?

Ja, eindeutig. Regional kann es zu einem Preiseinbruch kommen, aber Gesamtschweizerisch nicht.

Mieten ist günstiger als Kaufen, liest man seit einem halben Jahr überall. Stimmt das wirklich?

Das war nur eine Momentaufnahme. Die Mieten werden weiter steigen. Der Referenzzinssatz wirkt verzögert. Jetzt ist er noch nicht gestiegen, da viele Hypotheken zu einer Zeit tiefer Zinsen abgeschlossen worden sind. Auch wenn die Zinsen in einem Jahr tatsächlich fallen, steigt der Referenzzinssatz daher noch darüber hinaus weiter an. Dieser Umstand ist aber auch ein regulatorischer Vorteil, da Mieterinnen und Mieter Zeit haben, sich auf steigende Mietkosten vorzubereiten.

Welchen grossen Trend sollten Anleger im Immobilienmarkt auf dem Radar haben?

Der ESG-Trend findet jetzt auch im Immobilienbereich und im Hypothekarmarkt Eingang. Mit den Klimazielen 2050 will die Schweiz klimaneutral werden. Bis zu 25 Prozent aller Emissionen kommen von Immobilien, wobei dieser Fussabdruck durch marktbasierte Selbstregulierung reduziert werden soll. Die Bankiervereinigung hat ihre Mitglieder verpflichtet, dass diese Hypothekarnehmer in den Bemühungen unterstützen, ihre Liegenschaft grüner zu machen. Das Ziel liegt darin, die Sanierungsquote zu erhöhen.

Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Preise für Wohneigentum aus?

In der Tendenz führt dies zu höheren Preisen. Aber wenn man eine Liegenschaft hat, die nicht sanierungsfähig ist und nicht klimatauglich werden kann, könnte es zu einem späteren Zeitpunkt heissen, dass diese abgerissen werden muss. Für Besitzer einer solchen Liegenschaft hat dies einen negativen Einfluss auf den Wert.

Inwiefern ändert sich damit die Vergabe von Hypotheken?

Für Hypothekarnehmer heisst dies vermutlich in der Zukunft, dass man mit einer Zertifizierung eine günstigere Finanzierung erhält. Wenn sich der Immobilienmarkt nicht auf eine solche Weise selbst reguliert, wird wohl früher oder später der Gesetzgeber mit weitergehenden Regulierungen eingreifen, um die Klimaziele zu erreichen.

Burak Er, CFA und Absolvent der Universität Zürich, ist seit 2022 Leiter Research bei der Avobis Group, wo er sich auf die Analyse von Immobilien und geldpolitischen Themen spezialisiert hat.

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