Die Kosten für chemische Düngemittel - Stickstoff, Phosphor und Kalium - steigen seit 2021: Wegen steigender Erdgaspreise - einem wichtigen Rohstoff für Stickstoffdünger -, wegen Sommerstürmen an der US-Golfküste, wegen Sanktionen gegen Belaruskali und wegen zunehmendem Ressourcennationalismus in Ländern wie China, dem grössten Phosphatproduzenten.
All das passierte bereits, bevor Russland die Ukraine überfiel, einem wichtigen Exporteur von Nährstoffen für Pflanzen. Hersteller profitieren von den steigenden Preisen. In Deutschland hat sich in den letzten 12 Monaten kein grosses Unternehmen besser entwickelt als Kaliproduzent K+S. Am Mittwoch hob der Kasseler Hersteller seinen Gewinnausblick kräftig an. Bei vielen Wettbewerbern sieht es ähnlich aus:
Wie bei vielen anderen Rohstoffen auch hat sich die Welt bei Dünger in den letzten Jahren zunehmend auf Russland verlassen: 8 Prozent der weltweiten Stickstoffproduktion kamen 2019 aus Russland, so Daten von der International Fertilizer Association (IFA) und Green Markets, einem Unternehmen von Bloomberg. Bei Stickstoff war es fast 10 Prozent, bei Kali 20 Prozent.
Düngerschock
Seit Beginn des Krieges liefern einige Hersteller aus Russland als Reaktion auf die westlichen Sanktionen gar nicht mehr. Wo Mengen verfügbar sind, wollen viele Reedereien die russischen Erzeugnisse nicht transportieren. Engpässe unter anderem in Brasilien, dem wichtigsten Abnehmer russischer Exporte, könnten zu niedrigeren Ernten und höheren Preisen führen.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen warnte letzten Monat, dass die Preise für Lebens- und Futtermittel 2022/23 aufgrund des Kriegs in der Ukraine um bis zu 22 Prozent steigen könnten. Unterernährung und sogar Hungersnöte könnten folgen. Vielleicht hat die Entwicklung am Ende jedoch auch etwas Gutes: Der Düngerschock von 2022 könnte sich am Ende ähnlich positiv auswirken wie die Ölkrisen der 1970er Jahre. Damals waren umfangreiche Energiesparprogramme die Folge.
«Mit weniger mehr produzieren»
Viele Innovationen führten in Summe dazu, dass die Weltwirtschaft heute viel weniger abhängig von Öl ist als früher. 1973 brauchte man fast ein Barrel Öl, um 1000 Dollar Bruttoinlandsprodukt zu generieren. 2019 war es weniger als halb so viel. Effizientere Nutzung von Dünger könnte grosse Vorteile mit sich bringen. Die heute praktizierte Herstellung von Stickstoffdünger setzt grosse Mengen Kohlendioxid frei. Mikroben im Boden zersetzen den ausgebrachten Dünger und erzeugen dabei Lachgas, welches im Vergleich zu CO₂ eine 300-mal stärkere Erwärmung des Planeten bewirkt.
Synthetischer Stickstoff bedroht die Artenvielfalt, gelangt in Flüsse, Seen und Ozeane, wo er Algenblüten auslöst, die sauerstoffarme, tote Zonen schaffen. "Mit weniger mehr produzieren", so formuliert Patrick Heffer, stellvertretender Generaldirektor der IFA, die heutige Herausforderung für Landwirte. In vielen Ländern wird mit der so genannten Präzisionslandwirtschaft experimentiert. Dem Boden soll dabei in der jeweiligen Wachstumssaison genau soviel Nährstoff zugeführt werden, wie er benötigt - und kein Deut mehr. Kontrollierte Düngerabgabe über winzige Kapseln, die sich bei Kontakt mit Feuchtigkeit allmählich auflösen, ist ein weiterer Ansatz.
Schulung für 21 Millionen Kleinbauern
Auch Bildung ist wichtig. In China führte ein zehnjähriges Pilotprojekt zur Schulung von 21 Millionen Kleinbauern zu einer durchschnittlichen Ertragssteigerung von mehr als 10 Prozent bei gleichzeitiger Reduktion des Stickstoffdünger-Verbrauchs um bis zu 18 Prozent. Da Agrarsubventionen beträchtliche Summen ausmachen, hat auch die Politik einen Anreiz, Veränderungen anzustossen.
Im November stimmte das Europäische Parlament für eine "Farm to Fork"-Strategie, die bis 2030 eine Reduzierung von Dünger um 20 Prozent erreichen soll. Überstürzen darf man es jedoch nicht: In Sri Lanka, wo die Regierung vor einem Jahr ein Verbot synthetischer Dünger erliess, um das Land zügig auf ökologischen Anbau umzustellen, gab es Proteste und steigende Lebensmittelpreise, wonach der Schritt wieder zurückgenommen wurde. Die Reis- und Teeproduktion in der laufenden Saison dürften dennoch um bis zu 30 Prozent sinken.
«Wir müssen uns neu erfinden»
In Brasilien stellen sich viele Landwirte auf eine nervenzehrende Saison des Ausprobierens ein. Napoleão Rutilli, der 4200 Hektar in Diamantino bewirtschaftet, will nach dem Einbringen seines Wintergetreides im Juni seine Böden testen und dann entscheidet, wie viel Dünger er für die nächste Sojapflanzung braucht. Gekauft hat er noch keinen. "Ich werde meine Arbeitsweise ändern", sagt der Landwirt. "Wir müssen uns neu erfinden."
(Bloomberg)