Sergei Magnitski war ein russischer Steuerberater, der 2009 im Gefängnis starb, nachdem er die Korruption russischer Beamten aufgedeckt hatte. Nach ihm sind eine Reihe von Gesetzen benannt, auf Basis dessen der US-Finanzminister in Absprache mit dem Aussenminister und dem Generalstaatsanwalt Finanzsanktionen und Einreisesperren gegen ausländische Personen und Organisationen im Zusammenhang mit schweren Menschenrechtsverletzungen oder Korruption verhängen kann. Seit 2017 hat die US-Regierung mehr als 600 Personen und Organisationen in 41 Ländern sanktioniert.

Der Fonds Hermitage Capital Management des US-Investors Bill Browder erstattet 2011 in der Schweiz Strafanzeige wegen des Verdachts auf Geldwäsche in einem Fall von russischem Steuerbetrug in Höhe von 230 Millionen Dollar. Magnitski, Steuerberater des Fonds, hatte den Fall dokumentiert, was zu seiner Verhaftung und schliesslich seinem Tod führte. Laut Hermitage wurde der Fonds dazu missbraucht, 18 Millionen Franken der insgesamt 230 Millionen Dollar in die Schweiz zu überweisen. Sie flossen offenbar auf Konten bei der UBS und der Credit Suisse.

Die Schweizer Bundesanwaltschaft beschlagnahmte die Summe, stellte den Fall jedoch aufgrund mangelnder Beweise nach zehnjähriger Ermittlung ein. "Gestützt auf ihre umfangreichen Ermittlungen stellt die BA fest, dass kein erhärteter Tatverdacht vorliegt, der eine Anklage in der Schweiz rechtfertigen würde", heisst es in der Pressemitteilung. Lediglich für vier Millionen der 18 Millionen Franken könne ein Zusammenhang zu den Verbrechen in Russland nachgewiesen werden.

Drei in den Betrug verwickelte russische Staatsbürgern sollten 14 Millionen der 18 Millionen Franken zurückerhalten. Zwei der drei russischen Staatsbürger, Vladlen Stepanov und Dmitry Klyuev, sind in den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern mit Sanktionen belegt; der dritte, Denis Katsyv, hat Medienberichten zufolge einen Vergleich mit dem US-Justizministerium geschlossen.

Sonderberichterstatter: «Keine stichhaltige Begründung für Verfahrens-Einstellung»

Da die Bundesanwaltschaft Hermitage nicht als geschädigte Partei in dem Steuerbetrugsfall betrachtet, wurden Hermitage und Browder nicht mehr als Privatkläger zugelassen. Hermitage konnte daher keine Berufung gegen die Entscheidung zur Geldrückgabe einlegen.

Neben den USA kritisiert auch der Europarat den Umgang der Schweizer Justiz mit dem Fall Magnitski. Sonderberichterstatter Andreas Gross zeigte sich in einem Interview mit "Swissinfo" 2021 entsetzt über die Einstellung des Verfahrens: "Es gibt keine stichhaltige Begründung dafür. Noch schlimmer ist die Erfahrung, dass sich kaum jemand daran stört. Die wenigen Parlamentarier, die nachhaken, werden abgespeist mit nichtssagenden Antworten. Der Bundesrat scheint das Gebaren zu dulden."

Anfang 2023 bestätigte das Bundesstrafgericht in Bellinzona die Rückgabe eines grössten Teils der Gelder an Stepanov, Klyuev und Katsyv.

Noch offen ist allerdings der Ausgang eine Beschwerde beim Bundesgericht gegen die Entscheidung des Bundesstrafgerichts, welche den Entscheid stützte, dass Hermitage nicht mehr als Privatklägerin zugelassen wird. Auf Anfrage teilt die Bundesanwaltschaft mit, keine weiteren Schritte unternehmen beziehungsweise das Strafverfahren nicht wieder aufnehmen zu können, solange dieses Verfahren beim Bundesgericht noch pendent ist.

Zentrale Schweizer Personen im Fall Magnitski

Michael Lauber
Bundesanwalt von 2012 bis zu seinem Rücktritt 2020 (im Zuge der Fifa-Affäre). Ihm wird vorgeworfen, mehrere für den Kreml verfängliche Korruptions- und Bestechungsaffären mit Verbindungen zur Schweiz – darunter der Schweizer Magnitski-Fall – fallen gelassen oder nur schleppend untersucht zu haben.

Vinzenz Schnell
Vinzenz Schnell war der ranghöchste Russland-Experte der Bundeskriminalpolizei, arbeitete als persönlicher Berater von Michael Lauber und mit Patrick Lamon im Fall Magnitski. Er unterhielt enge Beziehungen zu russischen Beamten und Oligarchen. und liess sich unter anderem vom russischen Generalstaatsanwalt auf eine Bärenjagd einladen. 2019 wurde er vom Bundesstrafgericht wegen Vorteilsnahme verurteilt.

Patrick Lamon
Bis zu seinem Ruhestand der für Geldwäscherei – und damit den Magnitski-Fall – zuständige Bundesstaatsanwalt, der mit Schnell und Lauber mehrfach nach Russland reiste. Ihm wurde von Hermitage Befangenheit vorgeworfen, weil er sich bei den Ermittlungen im Fall Magnitiski vor allem auf den umstrittenen Bundespolizisten Schnell verlassen und die Ermittlungen vorzeitig aufgegeben haben soll. Das Bundesstrafgericht hat diese Anschuldigungen zwei Mal zurückgewiesen.

Diane Kohler
Folgte im Magnitski-Fall als zuständige Bundesstaatsanwältin auf Patrick Lamon und stellte das durch Hermitage ausgelöste Strafverfahren 2021 aufgrund der Beweislage ein. Lediglich für vier Millionen Franken sei "ein Zusammenhang zwischen (...) der in der Schweiz beschlagnahmten Vermögenswerte und der in Russland begangenen Straftat" nachweisbar. Sie sprach Hermitage die Stellung als Privatklägerin ab, wodurch der Fonds keine Berufung einlegen konnte.

Stefan Blättler
Seit 2022 Bundesanwalt – also erst seit nach der Einstellung des Strafverfahrens. Er hat den Magnitski-Fall bisher nicht wieder eröffnet.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Handelszeitung.ch unter dem Titel: "Was Sie über den Magnitski-Fall wissen müssen".

Fabienne Kinzelmann
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