Jedes Jahr am ersten Montag im September gedenkt Nordamerika der Arbeiterbewegung – als "Labor Day" in den USA und als "Labour Day" im Commonwealth-Land Kanada. Dieses Jahr fällt der Tag auf den 7. September.

Für die Börsen ist der Labor Day allerdings vor allem der Zeitpunkt, an dem die Herbstsaison im Aktienmarkt beginnt. Für diese sind die Vorzeichen derzeit im grünen Bereich. Die Märkte kommen schon aus einem sehr guten August heraus. Der Swiss Market Index (SMI) erreicht 2,4 Prozent Monatsperformance und hat somit seine Erholung in den vergangenen Wochen wesentlich besser fortgesetzt als im Juli, als der Schweizer Leitindex in der Kursentwicklung de facto stagnierte.

In den Schatten gestellt wird der Schweizer Markt noch von den Werten, wie sie in den USA gemessen worden sind: Den Dow Jones haben die Wall-Street-Börsianer innerhalb des August um 7,9 Prozent nach oben getrieben, während sie die Tech-Börse Nasdaq Composite zu einer Kurssteigerung von 9,1 Prozent angeschoben haben. Die Börse brummt.

Zykliker holen auf

Der direkte Vergleich USA-Schweiz hinkt aber auch etwas. Der Kursansteig des pharma- und nahrungsindustrielastigen SMI von 2,6 Prozent im August verdeutlicht eines nicht klar genug: Auch Zykliker haben wieder einen besseren Lauf. So kommt der SPI Extra, der die grössten Aktien an der Börse SIX ausklammert, im August auf ein Plus von 4,2 Prozent.

In den vergangenen vier Wochen haben mehrere Unternehmen Kurszuwächse von um die 10 bis über 15 Prozent verzeichnet, welche die Erholung seit März zunächst nicht so stark mitgemacht haben. Dazu gehören durchaus auch in teils sehr schwierigen Märkten domizilierte Schweizer Industriegruppen wie Autoneum, Dufry, Feintool, Dätwyler, Bucher Industries oder Stadler Rail.

SMI-Kurse im August (Grafik: Bloomberg).

Auch im SMI liefen Zykliker wie Adecco, Richemont und Swatch relativ gut - gemessen an der Tatsache, dass das Umfeld für diese drei konjunktursensitiven Grosskonzerne besonders unerfreulich ist.

Dass der Lauf der Börsen schnell endet, glaubt Christian Gattiker, Chef des Researchs bei Julius Bär, indessen nicht: "Wir werden in den nächsten Wochen eine lärmige Fortsetzung des bisherigen Skripts sehen." Gattiker verweist dabei auf die drei derzeitigen Hauptthemen der Börsen: Die weitere Entwicklung der Coronaviruspandemie, die Präsidentschaftswahlen in den USA und den "Blankoscheck" von Notenbanken und Regierungen in der Form einer (noch mehr) gelockerten Geldpolitik und massiven Stützprogrammen für die Wirtschaft.

Pandemie verändert sich

Zwei von drei dieser Themen sind derzeit unentschieden: Noch weiss man nicht, wer zum Präsidenten der USA gewählt wird. Der weitere Verlauf der Pandemie lässt sich ebenfalls nicht seriös prognostizieren.

Während die Börsen bei den amerikanischen Wahlen tendenziell derzeit eher Donald Trump den Vorzug geben – er steht für Steuersenkungen und den Abbau von Regularien – könnten sie wohl auch mit einem Wahlsieg des wirtschaftspolitisch mehr nach Links tendierenden Joe Biden leben. Der Tag nach der Wahl, die am 3. November durchgeführt wird, wird allein wegen des Resultats keine Trendwende an den Börsen auslösen.

Auch bis zu diesem Zeitpunkt könnten Anleger optimistisch sein: Wie die Statistik zeigt, verläuft ein Herbst vor einem Kontest ums Weisse Haus jeweils für die Börsen meist positiv (cash berichtete). Ein "hässlicher" Wahlkampf oder gar ein Gezerre um das Wahlergebnis – etwa, wenn einer der Kandidaten das Resultat anfechten würde – brächten zwar grössere Unsicherheiten in den Markt, würden aber realistischerweise per se noch keinen Kurssturz auslösen.

Im Zuge der Pandemiekrise wiederum werden die Märkte nur dann einen erneuten Einbruch erleben, wenn grosse Volkswirtschaften erneut in einen Lockdown gehen würden. Zuletzt hat etwa Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron angesichts stark steigender Fallzahlen ein zweites Herunterfahren des öffentlichen Lebens und von Teilen der Wirtschaft angedeutet.

Allerdings zeigt die Pandemieverbreitung heute andere Charakteristika als im Februar und März: Viele Länder haben Schutzmassnahmen eingeführt, und während Fallzahlen wieder (teils deutlich) steigen, bleiben die Sterbezahlen vor allem in Europa und Asien tief. Für den Entscheid, das Wirtschaftsleben erneut einzuschränken, liegt die Schwelle um einiges höher als vor einem halben Jahr.

Auch der "Zentralbankenmonat" September wird wenig überraschendes bringen. Die grossen Notenbanken werden "more of the same" mitteilen, will heissen, dass sie bei ihren anstehenden Zins- und Geldpolitiksitzungen ihren ultralockeren Kurs nichts anderes als bestätigen werden. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird gegen Ende September kaum eine Änderung ihrer Massnahmen beschliessen. Sie hat die Franken-Front einigermassen im Griff und profitiert in ihren Bemühungen gegen eine starke Aufwertung der Währung gar noch von einem momentan höheren Investoreninteresse am Euro.

August-Performance wichtiger US-Tech-Aktien

AktiePerformance
vier Wochen
AktiePerformance
vier Wochen
Tesla+54,7 ProzentAlphabet-Google+10,2 Prozent
Nvidia+19 ProzentAmazon+10,1 Prozent
Apple+17,5 ProzentNetflix+7,2 Prozent
Facebook+16,5 ProzentMicrosoft+5 Prozent

Unmittelbare Sorgen um die Kurstreiber der Börsen sind aus heutiger Sicht übertrieben. Die Tech-Aktien, die über den Sommer sehr gut performt haben und deutlich zu den Kursrekorden an der Wall Street beigetragen haben, werden weiter im Interesse der Anleger bleiben. Die hohen Bewertungen sind nach wie vor zweitrangig: Der Siegeszug dieser Aktien lässt sich fundamental begründen, denn die Coronaviruskrise hat den Trend zur Digitalisierung verstärkt. Nebenbei schreiten der Einsatz künstlicher Intelligenz, die Verlagerung zum Online-Handel oder der Absatz von Elektroautos unablässig voran.

Allerdings stehen Investoren, die bisher nicht dort angelegt haben, vor einem Dilemma: Sie haben schlicht einen grossen Teil der Rally schon verpasst. "Für all jene, die über das Ein- und Aussteigen am Markt nachdenken: Man muss jetzt dabeisein. Es gibt nur einmal in einer Generation eine Situation, in der man nicht investiert sein soll", sagt Bär-Chefreseacher Gattiker.

Dies wirft den Blick auf traditionellere Firmen und Sektoren. Die gute Ausganglage der eingangs erwähnten zyklischen Sektoren ist für Anleger ein Grund zur Zuversicht: Geld, dass in Aktien fliessen will, gibt es genug. Interessante Alternativen zu Aktien sind immer noch rar. Die viel zitierte "Abkoppelung" der Aktienmärkte von der Realwirtschaft kann auf diese Weise erklärt werden. Das Investorenvertrauen wird für eine gute Kursentwicklung im Herbst sorgen, wenn die (objektiv gesehen beträchtlichen) Krisenfaktoren einigermassen berechenbar bleiben.