Gleich um 13,5 Prozent rauschte der Börsenkurs von Dormakaba in die Tiefe, als am 29. November der Abgang von Sabrina Soussan nach nur acht Monaten als CEO verkündet wurde – ein ziemlich einmaliger Vorgang in der Schweizer Börsengeschichte.
"Ich bedaure, dass sie geht. Aus meiner Sicht hat sie eine sehr wertvolle Strategie definiert, sie hatte Mut zu verändern. Das wollten wir", sagt VR-Präsident Riet Cadonau. Offiziell begründet wurde der Abgang mit der "bedeutenden beruflichen Gelegenheit" für Soussan, CEO des dreimal grösseren Versorgungskonzerns Suez in ihrer Heimat Frankreich zu werden.
Der lange Schatten von Cadonau
Intern freilich hört man anderes. Soussan sei mit der kurzen Leine von Cadonau nicht zurechtgekommen, heisst es aus ihrem Umfeld (sie selber wollte sich auf Anfrage nicht äussern). Cadonau war in seiner Doppelrolle als CEO und VR-Präsident jahrelang der unumstrittene starke Mann im Konzern. Soussan arbeitete eine neue Strategie, neue Prozesse und neue Strukturen aus.
Cadonau begleitete den Prozess als «Sparringspartner», wie er sagt: mit 14-tägigen Jours fixes und zahlreichen Telefonaten dazwischen. Atmosphärisch habe es keine Spannungen gegeben, «bei Sachthemen hatten wir Diskussionen, da haben wir immer zielführende Lösungen gefunden», sagt er.
Weiter zerpflückt wurden Soussans Ideen in einer Arbeitsgruppe für Strategie, bestehend aus Cadonau und den beiden Verwaltungsräten John Heppner und John Liu. Am Schluss hat sich auch noch das Gesamtboard mit dem Programm «intensiv befasst und es konstruktiv hinterfragt», so nennt es Cadonau.
Nicht weniger als drei VR-Sitzungen, eine davon mehrtägig, brauchte es, bis Soussan ihre Vorschläge durchbrachte. Dass die Autozulieferindustrie, aus der sie stammt, deutlich schneller tickt als die Gebäudetechnik, dass die Rolle des Aufsichtsrats in ihrer langjährigen Wahlheimat Deutschland eine ganz andere ist als die eines Schweizer VR, mag auch mitgespielt haben dabei, dass beide Seiten nicht zusammenfanden.
Und vielleicht auch das Ego: Am Capital Markets Day im November legte Soussan die Schwächen von Dormakaba schonungslos offen. Zu verantworten hatte diese ihr Vorgänger Cadonau. Dem eilt der Ruf voraus, wenig kritikfähig zu sein.
Investoren bleiben skeptisch
Am 5. Oktober, nach den ersten Gerüchten über einen Abgang, nahm der VR Soussan noch ein Treuegelübde ab. Doch die Umsetzung der Strategie, etwa der Abbau der konzernweit 70 (!) ERP-Systeme auf die üblichen ein bis zwei oder die Reduktion der 25'000 Zulieferer (das sind pro Mitarbeiter 1,7 Lieferanten!), hätte noch mehr Diskussionen und Energie erfordert.
Diesen Schnauf wollte Marathonläuferin Soussan nicht mehr aufbringen. Hätte sie erst in ein, zwei Jahren zermürbt aufgegeben, würde sie als gescheitert gelten. So zog sie jetzt die Reissleine. Die Umsetzung liegt nun am designierten CEO Jim-Heng Lee. Er war 2020 Soussans interner Gegenkandidat für den Chefposten. Dass die Investoren dem Singapurer diese Rolle nicht zutrauen, zeigt die Börsenreaktion.
Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: "Dormakaba: Warum Sabrina Soussan die Reissleine zog"