Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in Deutschland bezeichnet das E-Rezept ein halbes Jahr nach seiner Einführung als Erfolgsmodell. Allerdings lässt der Aktienkurs von DocMorris mit einem Minus von 19 Prozent seit Jahresbeginn wohl viele Investoren daran zweifeln. «Meiner Meinung nach sind vor allem pessimistische Broker-Meinungen zum Potenzial der Online-Einlösungen von elektronischen Rezepten und Gewinnmitnahmen seit Ostern dafür verantwortlich», sagt Gian Marco Werro, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank, auf Anfrage von cash.ch.

Kursentwicklung der Aktien von DocMorris.

Es ist auch Fakt, dass die Aktie äusserst volatil ist und eine Phase hoher Kursgewinne hatte. Von 37 Franken Ende November stieg sie Mitte Februar fast auf 100 Franken. Kursrückgänge wurden teilweise durch Analystenkommentare, wie zum Beispiel von der UBS, ausgelöst, die sehr kritisch waren. Zudem wurde erwartet, dass sich die Einführung des E-Rezepts schneller positiv auf die Versandapotheken auswirken würde.

Dennoch brachten die Zahlen des niederländischen Konkurrenten Redcare in Deutschland jüngst neue Hoffnungen für DocMorris im Zusammenhang mit elektronischen Rezepten. In Deutschland erzielt DocMorris den Grossteil seines Umsatzes. Dies ist mit ein Grund, dass der Titel in den letzten fünf Handelstagen um 12 Prozent angezogen hat

Risikobereitschaft für ein Investment notwendig

«Im ersten Quartal ist sogar der Umsatz bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten zurückgegangen. Und für das zweite Quartal erwarte ich kein signifikantes Wachstum», sagt Urs Kunz, Analyst bei Research Partners, gegenüber cash.ch. Zusätzlich gibt es Zwischentöne von den Apothekern, die ihre schwierige Situation an die Politik und Regierung herantragen. In Bezug auf die Kursziele gibt es eine grosse Bandbreite, von 29 Franken bei der UBS bis hin zu 130 Franken bei Hauck Aufhäuser Lampe. «Das ist schon eine extreme Beurteilung der Analysten», meint Kunz. 

Mit der Einführung des E-Rezepts in Deutschland sind sicherlich viele Unsicherheiten beseitigt worden, es ist heute zum Standard geworden. «Dies wurde lange von DocMorris ersehnt und war eine grosse Risikoreduktion für das Unternehmen – entsprechend ist der Aktienkursrückgang auf ein Level von vor E-Rezepteinführung für uns fundamental nicht nachvollziehbar und der Grund für ein Wechsel auf eine Kaufempfehlung», sagt Werro von der ZKB.

Um bei DocMorris erfolgreich zu sein, sollte man eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen und mit grossen Aufs und Abs über längere Zeiträume rechnen. Auch Kunz ist dieser Meinung: «Es dauert eine gewisse Zeit, bis man wirklich erkennen kann, dass es in die richtige Richtung geht.» Der Markt bietet sicherlich ein enormes Potenzial.

Der direkte Konkurrent Redcare ist in den letzten Quartalen deutlich stärker gewachsen als DocMorris. Nach anfänglichem starkem Wachstum hat sich DocMorris durch Zukäufe übernommen und geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Man musste entsprechend Anpassungen vornehmen, um in absehbarer Zeit den Break-even zu erreichen. Trotz des derzeitigen Rückstands erwartet Kunz, dass DocMorris und Redcare etwa gleich gross werden.

Kursentwicklung der Aktien von Redcare.

Der aktuelle Vergleich zeigt noch Vorteile für Redcare: Während DocMorris laut Bloomberg-Konsens in diesem Jahr einen Umsatzanstieg von 21,5 Prozent und im nächsten Jahr von 33,2 Prozent verzeichnen sollte, wird das Wachstum bei Redcare in diesem Jahr um 32,5 Prozent und im nächsten Jahr um 22,5 Prozent fortgesetzt. Redcare soll bis 2025 einen Nettogewinn erzielen, während es bei DocMorris wohl noch länger dauern wird. Der vorläufige Umsatz für das erste Halbjahr wird nächsten Donnerstag veröffentlicht und die endgültigen Zahlen für den Berichtszeitraum am 20. August.

Keine Revolution

Man muss weiterhin geduldig sein. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das E-Rezept eingeführt wurde. Und die Umstellung auf dieses Rezept wird ein evolutionärer, kein revolutionärer Prozess sein. Kunz ist der Meinung, dass die Wachstumsprognose von DocMorris zu aggressiv ist, nämlich dass der Anteil des Versandhandels innerhalb von drei Jahren, also im Jahr 2027, 10 Prozent erreichen wird. Andere Märkte wie Schweden oder England zeigen ähnliche Entwicklungen.

Der Clou dabei ist, dass bei diesen 10 Prozent des Marktes für DocMorris ein Marktanteil von 50 Prozent angenommen wird. Kunz hält dies eher für unrealistisch und sieht den Marktanteil eher bei 30 Prozent. Dennoch erkennt er auch mit diesen konservativen Annahmen viel Potenzial für die Aktie, sein Kursziel liegt bei 105 Franken.

Die ZKB ist in dieser Hinsicht optimistischer eingestellt: «10 Prozent Onlineeinlösungen und ein Marktanteil im Onlinekanal von 40 Prozent könnte eine Verdopplung der Umsätze in den nächsten 2 Jahren mit sich bringen. Ich sehe damit und mit dem Erreichen von Break-even verbunden auch das Potenzial für eine zeitnahe Verdopplung des Aktienkurses», sagt Werro. Zudem sieht er auch grosses Potenzial bei der noch kleinen Videosprechstunden-Plattform TeleClinic.

Regulator und Amazon als bleibende Gefahren

Die Risiken für DocMorris bleiben derweil die gleichen: «Enttäuschende Entwicklungen im Hinblick auf online eingelöste E-Rezepte. Zudem könnten unerwartete regulatorische Änderungen in Deutschland auftreten», so Werro.

Und es bleibt auch die Gefahr durch Amazon, die zwar nicht wirklich realistisch, aber nicht ausgeschlossen werden kann. Für Amazon wäre es wohl notwendig, DocMorris oder Redcare zu übernehmen, da es sich um einen komplexen Markt handelt. Man kann nicht einfach verschreibungspflichtige Medikamente neben Turnschuhen in irgendeinem Warenhaus verkaufen. Es wäre ein eigenständiges Lagerhaus erforderlich. Zudem muss gelegentlich eine Verbindung mit einem Arzt hergestellt werden, um zu überprüfen, ob das vorgelegte Rezept gültig ist.

ManuelBoeck
Manuel BoeckMehr erfahren