Deutschland altert, Afrika wächst: Während Industriestaaten weltweit händeringend nach Arbeitskräften suchen, um ihre Wirtschaft am Laufen zu halten, wittern afrikanische Länder ihre Chance. «Wir haben eine sehr wertvolle Ressource, die Ressource Mensch», sagt der kenianische Arbeitsminister Alfred Mutua. Was Demografen seit Jahren voraussagen, könnte nun beiden Seiten helfen. Deutschland sucht jährlich bis zu 400'000 Fachkräfte. Kenia will in den kommenden drei Jahren jährlich eine Million seiner Bürger in Jobs im Ausland vermitteln. Ein im September geschlossenes Abkommen zwischen beiden Ländern soll es deutschen Arbeitgebern leichter machen, kenianische Fachkräfte einzustellen.

In Kenia boomt mittlerweile das Geschäft mit der Arbeitsmigration. Bei staatlich geförderten Jobmessen stehen Hunderte Interessenten an - von Menschen mit wenigen Jahren Schulbildung bis zum Akademiker. «Es gibt keine Arbeit für uns. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als ausserhalb Kenias zu suchen», sagt die 27-jährige Psychologin Lydia Mukii auf einer Messe im südkenianischen Machakos. Angepriesen werden auf Hochglanz-Flyern Jobs in deutschen Kindergärten oder in der dänischen Landwirtschaft.

Wachsender Fachkräftemangel

«Die deutsche Wirtschaft steht aufgrund des demografischen Wandels und des Ausscheidens der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt vor einem zunehmenden Arbeits- und Fachkräftemangel», warnte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Januar. Die Berechnungen der Ökonomen zeigen: Deutschland benötigt bis 2029 insgesamt eine Nettozuwanderung - also Zuzüge minus Wegzüge - von 1,5 Millionen Menschen.

In manchen Branchen ist die Lage bereits kritisch. Es gebe Restaurants und Hotels in Deutschland, die tage- oder wochenweise schliessen müssten, weil es keine Kellner, Köche oder Hotelfachkräfte gebe, sagt der deutsche Botschafter in Kenia, Sebastian Groth. Auch Deutschlands Nachbarn suchen händeringend nach Arbeitskräften. Selbst Italiens rechte Regierungschefin Giorgia Meloni erhöhte - trotz Anti-Migrationswahlkampf - die Zahl der Arbeitsvisa für Nicht-EU-Bürger.

Die demografischen Entwicklungen könnten kaum gegensätzlicher sein: UN-Prognosen sagen für den afrikanischen Arbeitsmarkt bis 2100 ein Wachstum von 1,5 Milliarden Menschen voraus. Wegen des Überangebotes von Arbeitskräften und fehlender Stellen findet in Kenia nur jeder Fünfte eine reguläre Beschäftigung im eigenen Land. «Wir können unsere Arbeit exportieren und damit viel Geld verdienen», betont Arbeitsminister Mutua. Denn viele Kenianer verdienen im Ausland mehr und schicken Geld an ihre Familien in der Heimat.

Auch andere afrikanische Länder setzen zunehmend auf Arbeitsexport: Äthiopien will in diesem Haushaltsjahr 700'000 Arbeitskräfte entsenden. Tansania plant Abkommen mit acht Ländern. Das Kalkül: Weniger Arbeitskräfte bedeuten weniger Arbeitslosigkeit und weniger soziale Spannungen.

Damit möglichst viele Menschen profitieren können, unterstützt die kenianische Regierung Arbeitssuchende aktiv: Sie hilft etwa bei Passformalitäten oder mit Bankkrediten für Reisekosten.

Kompetenzverlust in Afrika?

In Asien ist die gezielte Entsendung von Arbeitskräften ins Ausland gängige Praxis. Länder wie die Philippinen und Bangladesch praktizieren dies seit Jahrzehnten erfolgreich.

Im Afrika südlich der Sahara stösst diese Strategie dagegen auch auf Widerstand. Kritiker sehen darin nicht nur ein Versagen der betroffenen Staaten bei der Schaffung heimischer Arbeitsplätze, sondern warnen auch vor einem gefährlichen Kompetenzverlust.

Das Gesundheitswesen zeigt das Problem exemplarisch: Mit weniger als einem Drittel der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen 44,5 Gesundheitsfachkräften pro 10'000 Einwohner ist Kenia bereits unterversorgt. Die Regierung sieht in der Abwanderung kein Problem. Man könne ohnehin nicht alle ausgebildeten Mediziner beschäftigen, argumentiert Arbeitsminister Mutua. Die Ärztegewerkschaft hingegen schlägt Alarm. Die besten und erfahrensten Ärzte gingen ins Ausland und kämen nicht wieder, warnt Vizegeneralsekretär Dennis Miskellah. Dem Nachwuchs fehlten dann die Ausbilder.

Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Kenia gab es bereits vor dem Abkommen. Ian Kiprono kam im April über eine Kooperation der Fachhochschule Koblenz mit der Mount Kenya University nach Deutschland, um den Pflegeberuf zu erlernen. Auch damit soll bis 2030 der Mangel von 500'000 Pflegekräften ausgeglichen werden. «Deutschland ist ein schöner Ort. Die Leute sind freundlicher als es immer heisst», sagt Kiprono. Nur zwei Dinge machen ihm zu schaffen: die schwierige deutsche Sprache und das kühle Klima.

Nicht nur Zustimmung in Deutschland

Doch auch in Deutschland gibt es Widerstand. Umfragen zufolge nimmt die Ablehnung von Migration zu. Im Fokus stehen vor allem illegale Migration und Asylbewerber, aber auch Fachkräfte-Migration wird zum Thema. 2023 stimmten Union und AfD gegen ein Gesetz für mehr Fachkräfte-Einwanderung. Ihr Hauptkritikpunkt: Die Definition einer Fachkraft sei zu weitgefasst. Der kenianische Arbeitsminister Mutua bleibt angesichts der deutschen Debatte und der bevorstehenden Bundestagswahl gelassen: Fachkräfte werde Deutschland immer brauchen.

Der Experte Michael Clemens von der George Mason University in den USA sieht in formellen Arbeitsabkommen ohnehin die bessere Alternative zu irregulärer Migration: «Was ist die Alternative? Glauben wir wirklich, dass wir in eine Welt steuern, in der Migration ohne solche Abkommen nicht stattfinden wird?»

(Reuters/cash)