Beim Chemieunternehmen Gechem kommt wegen der Krise im Roten Meer Sand ins Getriebe. «Das ist jetzt ein Drahtseilakt, den wir die nächsten Wochen und Monate gehen müssen», sagt Vorstandschefin Martina Nighswonger. Die Firma aus dem pfälzischen Kleinkarlbach mit rund 160 Mitarbeitern musste wegen Lieferproblemen infolge der Angriffe der Huthis auf Handelsschiffe im Roten Meer in Teilbereichen ihre Produktion drosseln. Es kommt zu Lieferverzögerungen vor allem bei Trinatriumcitrat, Zitronensäure und Amidosulfonsäure. Diese Stoffe werden in WC-Reinigern und Spülmaschinen-Tabs eingesetzt, die Gechem für grosse Konzerne produziert. «Im Moment steht unser Drei-Schichtbetrieb auf dem Prüfstand wegen der Probleme», beklagt Nighswonger. Die höheren Transportkosten könne Gechem nur zum Teil an die Kunden weitergeben.

Über das Rote Meer verläuft einer der weltweit wichtigsten Schifffahrtswege, der Asien und Europa verbindet. Wegen der wiederholten Angriffe der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe meiden viele Reedereien das Rote Meer und den Suezkanal, durch den etwa 15 Prozent des Welthandels gehen. Stattdessen nehmen die Schiffe die deutlich längere Route um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas.

Für die ohnehin schon krisengebeutelte Chemiebranche - Deutschlands drittgrösster Industriezweig nach der Autobranche und dem Maschinenbau - hat der Suez-Kanal grosse Bedeutung. Rund 40 Prozent der Chemie- und Pharmaexporte in Länder ausserhalb Europas gehen nach Angaben des Branchenverbands VCI nach Asien. Die Importe aus Asien machen wiederum rund ein Drittel der Einfuhren aus aussereuropäischen Ländern aus.

Lieferverzögerungen bei Vorprodukten

«Durch die Lage im Roten Meer und die damit verbundene Änderung der Schiffsrouten im Seeverkehr mit Asien treten auch in der chemisch-pharmazeutischen Industrie Lieferverzögerungen bei Vorprodukten auf», sagt VCI-Chefvolkswirt Henrik Meincke. Zwar sei dem Verband keine signifikante Beeinträchtigung des Geschäfts bekannt, dennoch belaste dies die Ertragslage der Unternehmen zusätzlich. Und die ist bei vielen Chemie-Unternehmen wegen der Krise der Branche bereits angespannt. Viele Logistiker hatten bereits über gestiegene Frachtraten berichtet. Auswirkungen seien vor allem in der der mittelständischen Fein- und Spezialchemie zu spüren, denn diese Unternehmen bezögen oft einen nicht unerheblichen Anteil ihrer Rohstoffe aus Asien, sagt Meincke. «Aber auch hier dürften Produktionsausfälle auf Einzelfälle begrenzt sein.»

Der Spezialchemiekonzern Evonik berichtet, wie andere Unternehmen auch registriere er bei der Seefracht kurzfristige Änderungen der Seewege und Verspätungen. Es gebe einzelne Frachter, die ihren Kurs drei Mal binnen weniger Tage geändert hätten. Lieferungen per See nach Asien bräuchten nun zwischen zehn und 15 Tagen länger. Der Leverkusener Kunststoffkonzern Covestro rechnet vorübergehend mit zusätzlichen Zuschlägen für Seetransporte. Diese seien jedoch im Vergleich zu den Gesamtausgaben unbedeutend, betont eine Sprecherin. Derzeit befasse sich eine interne Arbeitsgruppe mit der Situation und stelle sicher, dass alle Massnahmen für die Geschäftskontinuität getroffen würden. Entwarnung kommt vom Spezialchemiekonzern Lanxess: Das Unternehmen habe auf dieser Strecke immer einen Zeitpuffer eingeplant. «Die finanziellen Auswirkungen des längeren Transportweges sind nach wie vor vernachlässigbar.»

Auch Branchenprimus BASF sieht noch keine grundlegenden Probleme bezüglich der Rohstoffversorgung oder des weltweiten Vertriebs. «Die Entscheidung vieler Linienreedereien ihre Schiffe über das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten, kann jedoch zu verlängerten Lieferzeiten und gestiegenen Logistikkosten im Transport führen.» Der Duft- und Aromenhersteller Symrise hat Kunden darauf hingewiesen, dass es keinen Grund gebe, das Bestellverhalten zu ändern oder Lagerbestände anzulegen. Man habe aus der Vergangenheit und den Erfahrungen durch die Corona-Pandemie oder die Havarie der «Ever Given» am Suezkanal gelernt. Bisher habe das Unternehmen keine Auswirkungen auf die Lieferkette zu verzeichnen. «Die längeren Transportwege führen zudem zu einem höheren Treibstoffbedarf und können daher höhere Preise zur Folge haben», gibt indes ein Sprecher von Wacker Chemie zu bedenken.

VCI-Chefvolkswirt Meincke macht ohnehin ganz andere Probleme für die Branche aus, auch wenn sich die Situation am Roten Meer in den kommenden Wochen nicht entspannen sollte. «Die Nachfrageflaute, bürokratische Hemmnisse sowie nicht wettbewerbsfähige Energie- und Rohstoffkosten bremsen derzeit das Chemiegeschäft, so dass die Lieferverzögerungen kaum ins Gewicht fallen.»

(Reuters)