Eine neue Marke mit einem extra dafür gebauten Werk und Milliardeninvestitionen in die Software sollen den Wolfsburgern zu einem deutlichen Absatzplus und einem höheren Marktanteil verhelfen. Doch bei Finanzexperten bleiben Zweifel, ob die Pläne des Unternehmens aufgehen. Reuters hat mit ungefähr einem Dutzend Investoren und Analysten gesprochen. Bei ihnen überwiegt die Skepsis, dass VW die Formel für einen Absatzaufschwung gefunden hat. Der Marke Volkswagen, so sagen sie, fehlen eine klare Markenidentität in den USA und Produkte, die die Lust der US-Kunden auf grosse Verbrennerfahrzeuge treffen.

In der Volksrepublik war Volkswagen jahrelang Platzhirsch, nun jagen ihm heimische Rivalen im E-Auto-Geschäft Marktanteile ab. Bis 2030 will VW mehr als 30 neue Elektroautos oder Plug-In-Hybride auf den chinesischen Markt bringen und so seinen Absatz auf vier Millionen Fahrzeuge nach oben treiben, eine Million mehr Autos als derzeit. Bis dahin stellt sich das Unternehmen nach den Worten von Finanzvorstand Arno Antlitz aber auf eine Durststrecke und einen schrumpfenden Marktanteil in China ein. In Europa stagniert der Automarkt, Ziel ist es Antlitz zufolge, den Marktanteil zu halten – 2023 kam der Konzern mit den Marken VW, Skoda, Seat/Cupra, Audi und Porsche auf einen Anteil von gut einem Viertel. Damit setzt Volkswagen in puncto Wachstum auf den US-Markt: Bis 2030 wollen die Wolfsburger dort einen Marktanteil von zehn Prozent schaffen, mehr als doppelt so viel wie derzeit.

US-Chef: Haben aggressive Ziele

Immerhin muss VW in den USA nicht die Konkurrenz chinesischer Anbieter fürchten, nachdem die US-Zölle auf Elektroautos aus China im Mai auf 100 Prozent angehoben wurden – deutlich stärker als in Europa. In den vergangenen Jahren hat VW seinen Marktanteil in den USA schrittweise gesteigert. Doch um das Ziel von zehn Prozent Marktanteil zu schaffen, bleibt noch einiges zu tun. «Ich weiss, dass wir aggressive Ziele haben», gibt US-Chef Pablo di Si im Gespräch mit Reuters zu.

Rund 30 neue elektrische Modelle seien in Arbeit, erklärte Volkswagen, ohne Details zu nennen. Darunter sind auch zwei Fahrzeuge, die unter der Marke Scout 2026 auf den Markt gebracht werden sollen, ein Pickup-Truck und ein SUV. Für zwei Milliarden Dollar entsteht derzeit ein eigenes Werk für die Autos, die in ihrer Form an den Geländewagen erinnern sollen, der in den 60er und 70er Jahren unter dem Namen Scout auf dem Markt war. Anfangs werde die Kapazität auf 200.000 Autos jährlich ausgelegt, zudem sei Platz für einen späteren Ausbau vorhanden, sagt Scout-Chef Scott Keogh zu Reuters. Der ID.Buzz, der an die ersten Ausgaben des VW-Busses erinnert, soll noch 2024 kommen. Dazu kommen neue Verbrenner-Fahrzeuge und möglicherweise auch Hybridautos. «Unsere Pläne sind sehr solide», sagt di Si.

Investoren skeptisch

Doch Finanzexperten zeigen sich zurückhaltend zu diesen Ambitionen. VW hat in den USA mit gut etablierten Konkurrenten wie Toyota bei Hybriden und Ford und GM bei den grossen Fahrzeugen zu tun. Der Marktanteil der Elektroautos dümpelt in den USA bei acht Prozent und liegt damit niedriger als in Europa und China. Der ehemalige VW-Investor Jeffrey Scharf bezeichnet entsprechend das Absatzziel von VW als «hoffnungslos optimistisch»: «Wären sie bei Innovationen wie vollautomatischem Fahren oder anderem führend, könnte ich das sehen. Aber ihnen fehlt eine klare Nische.»

Volkswagen müsse beweisen, sagen die Experten, dass es mit seinen Produkten genauso viel Begeisterung auslösen kann wie in der Vergangenheit mit Fahrzeugen wie dem Käfer, dem Bulli oder dem Golf. Das derzeitige SUV-Angebot der Wolfsburger sei an den Geschmack der US-Amerikaner angepasst, es fehle aber eine klare Markenidentität, beschreibt Roger Norberg, VW-Investor und Chefanalyst bei Thrivent Financial das Manko aus seiner Sicht. Er bezeichnet das Absatzziel als «Wunschdenken». Es sei unklar, wo die Marke Volkswagen stehe. «Sind sie Premium? Nicht wirklich. Sind sie im Massenmarkt? Nicht wirklich.»

US-Chef di Si hält neue SUVs für entscheidend beim Streben nach Wachstum, Marktanteil und Gewinn. Zudem denke das Unternehmen über Plug-In-Hybride nach, die über einen Verbrenner- und einen Elektroantrieb verfügen, sagt er. Viel Erfahrung hat VW hier jedoch nicht. Die Technik galt bei VW-Vorständen einst als Brücke hin zu einer elektrischen Zukunft, doch nach dem Dieselskandal 2015 konzentrierte sich der Konzern in den USA auf den Bau von Elektroautos. Derzeit aber läuft das Geschäft mit den Hybriden gut, etwa bei Toyota und Ford. «Es wäre besser, Geld für Hybridversionen ausgewählter Modelle auszugeben als für Scout», sagt Moritz Kronenberger, Fondsmanager bei Union Investment. «Ich muss noch jemanden finden, der zu den Scout-Plänen jubelt.» 

(Reuters)