Die Brüsseler Institutionen einigten sich nach wochenlangen Verhandlungen auf einen Kompromiss, wie die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, am Mittwoch mitteilte. Danach sollen künftig beschleunigte Verfahren an den EU-Aussengrenzen möglich sein. Menschen mit Schutzstatus sollen dann fairer auf die Mitgliedstaaten der Union verteilt werden. Die Bundesregierung begrüsste den Durchbruch.

«Ein ganz wichtiger Beschluss: Europa hat sich nach langen Diskussionen endlich auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem geeinigt», schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Plattform X. «Damit begrenzen wir die irreguläre Migration und entlasten die Staaten, die besonders stark betroffen sind - auch Deutschland.» Metsola erklärte: «Die EU hat sich auf ein wegweisendes Abkommen verständigt, um Migration und Asyl zu regeln.» Sie sei «sehr stolz, dass wir mit dem Migrations- und Asylpakt Lösungen geliefert und gebracht haben.» EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer «historischen Einigung».

Der Beschluss wurde von Unterhändlern des Parlaments, des Rats der 27 Mitgliedstaaten und der EU-Kommission erzielt. Im Juni hatten sich die EU-Mitgliedstaaten nach jahrelangem Streit auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verständigt. Beschleunigte Asylverfahren sollen demnach für solche Menschen greifen, deren Aussichten auf Asyl in der EU als eher gering eingeschätzt werden. Gegen diese sogenannten Grenzverfahren hatten vor allem die Grünen in Deutschland Protest eingelegt, sich dann aber auf ihrem Parteitag im November mehrheitlich dafür ausgesprochen. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stimmte dem Vorgehen zuvor bereits zu und stellte sich an die Seite von Innenministerin Nancy Faeser (SPD).

Auch Kinder müssen in Grenzverfahren

«Die Einigung auf ein neues Gemeinsames Europäisches Asylsystem war dringend notwendig und längst überfällig», erklärte Baerbock am Mittwoch. «In unserem gemeinsamen Europa, in dem Freizügigkeit eine der grössten Errungenschaften ist, braucht es für alle verlässliche Regeln für Migration und Asyl.» Humanität und Ordnung seien dafür die Leitplanken. In den Verhandlungen seien nun Verbesserungen erreicht worden, «so dass zum Beispiel auch im Ausnahmefall der Krise humanitäre Standards erhalten bleiben», erklärte die Grünen-Politikerin, betonte aber: «Zur Wahrheit gehört: Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss.» Nicht durchsetzen konnte sich die Bundesregierung demnach mit der Forderung, Familien mit Kindern generell von den Grenzverfahren auszunehmen.

Faeser erklärte, die Einigung sei «von grösster Bedeutung». Die EU handele «in der humanitären Verantwortung für Menschen, die wir vor Folter, Krieg und Terror schützen müssen». Das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei der Schlüssel, «um Migration insgesamt zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu schützen und die irreguläre Migration zu begrenzen». Wenn das Europa der offenen Grenzen bewahrt werden solle, «müssen wir die Aussengrenzen schützen und funktionierende Verfahren erreichen», betonte die SPD-Politikerin.

«Katastrophaler Tag»

Vorgesehen ist künftig auch ein sogenannter Solidaritätsmechanismus, mit dem die ankommenden Menschen in der EU gerechter auf die Mitgliedstaaten verteilt werden sollen. Dagegen hatten sich vor allem Polen und Ungarn gewehrt. «Erstmals werden nun die EU-Mitgliedstaaten zu Solidarität verpflichtet», betonte Baerbock. «Damit steigen wir endlich in eine europäische Verteilung ein.» Staaten, die keine Menschen aufnehmen wollen, müssen nach dem Beschluss Kompensationszahlungen leisten.

Auch die konservative Europäische Volkspartei (EVP) begrüsste den Durchbruch. «Endlich wird die europäische Asyl- und Migrationspolitik auf neue Füsse gestellt», erklärte der Fraktions- und Parteivorsitzende, der CSU-Politiker Manfred Weber. «Jetzt muss die Ampel-Regierung schnellstmöglich nachziehen und ihren Teil zur Begrenzung und Steuerung der Migration leisten», sagte er mit Blick auf die Bundesregierung.

Kritik kam von Ärzte ohne Grenzen. «Heute ist ein katastrophaler Tag für die Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen», erklärte Felix Braunsdorf, Experte für Flucht und Migration bei der Organisation. «Die Europäische Union setzt mit ihrer Asylreform auf Internierungslager, Zäune und Abschiebungen in unsichere Drittstaaten. Das ist ein Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte.» Formell muss der Beschluss jetzt noch einmal von Parlament und Rat der Mitgliedstaaten bestätigt werden. Dies gilt aber als Formsache.

(Reuters)