US-Aussenminister Antony Blinken sprach sich am Mittwoch gegen eine erneute israelische Besetzung aus. Israel könne den Küstenstreifen nicht wieder dauerhaft verwalten, aber es könne eine Übergangszeit nach dem Ende des Gaza-Kriegs geben, sagte Blinken am Mittwoch nach einem G7-Aussenministertreffen in Tokio. Angesichts der dramatischen Lage der Zivilbevölkerung forderten die sieben führenden demokratischen Industriestaaten zudem von den Kriegsparteien, Hilfslieferungen in dem dicht besiedelten Gazastreifen zuzulassen. Dazu müsse es auch Kampfpausen geben. Bei den Kämpfen am Boden fokussierte sich das israelische Militär inzwischen nach eigenen Angaben auf das ausgedehnte Tunnelsystem der Hamas. Zudem sei bei neuen Luftangriffen ein führender Waffenbauer der radikal-islamischen Palästinenser-Gruppe getötet worden.

«Der Gazastreifen kann nicht weiter von der Hamas regiert werden. Das lädt nur dazu ein, den 7. Oktober zu wiederholen», sagte Blinken mit Verweis auf den Überfall der Hamas auf Israel. Es sei aber auch klar, dass Israel den Gazastreifen nicht wieder besetzen könne. Was er von der israelischen Führung gehört habe, sei, dass sie auch nicht die Absicht dazu habe. Die Realität sehe aber so aus, «dass es nach dem Ende des Konflikts eine Übergangszeit geben könnte», sagte Blinken nach den Beratungen der sieben führenden demokratischen Industrienationen (G7), zu denen die USA, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Kanada und Japan zählen.

Die israelische Regierung hat sich bisher nur vage über ihre langfristigen Pläne nach einem Sieg über die Hamas geäussert. In einer der ersten öffentlichen Äusserungen dazu sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Dienstag, Israel werde nach dem Krieg für unbestimmte Zeit die Sicherheitsverantwortung für den Gazastreifen übernehmen. Aus seiner Regierung hiess es aber auch, Israel sei nicht daran interessiert, das Gebiet zu regieren. Verteidigungsminister Joaw Galant sagte, nach dem Krieg würden es weder Israel noch die Hamas regieren.

Israel hatte seine Truppen und Siedler 2005 aus dem Gazastreifen abgezogen und das Gebiet den Palästinensern überlassen. Die Hamas übernahm zwei Jahre später die Kontrolle, nachdem sie die Palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas entmachtet hatte. Die Autonomiebehörde regiert seitdem eingeschränkt im Westjordanland, das teilweise von Israel besetzt ist und wo Israel seine Siedlungen trotz internationaler Kritik ausgebaut hat.

Mit Sprengsätzen gegen die Hamas-Tunnel

Bei seinem Vormarsch im Norden des Gazastreifens konzentrierte sich das israelische Militär nach eigenen Angaben darauf, das sich über Hunderte Kilometer unter dem Gazastreifen erstreckende Tunnelnetz der Hamas zu zerstören. Spezialeinheiten setzten dazu Sprengsätze ein, erläuterte Militärsprecher Daniel Hagari. Israel habe «ein Ziel - die Hamas-Terroristen in Gaza, ihre Infrastruktur, ihre Kommandeure, Bunker, Kommunikationsräume», sagte Verteidigungsminister Galant. Damit begann die nächste Phase der israelischen Offensive. Einen Monat nach dem Überfall der Hamas war Israel nach eigenen Angaben am Dienstag mit Bodentruppen ins Zentrum von Gaza-Stadt vorgedrungen. Gaza-Stadt, die wichtigste Hochburg der Hamas in dem Küstengebiet ist eingekreist, der Gazastreifen faktisch in eine Nord- und eine Südhälfte geteilt.

Israels Militär teilte zudem mit, dass bei Luftangriffen der führende Hamas-Waffenkonstrukteur Mahsein Abu Sina sowie mehrere weitere militante Extremisten getötet worden seien. Palästinensische Medien berichten zudem von Kämpfen militanter Palästinenser und israelischen Truppen in der Nähe des Flüchtlingslagers Al-Schati in Gaza-Stadt. Von Hamas-Seite hiess es, ihre Kämpfer hätten den israelischen Truppen schwere Verluste zugefügt. Israelische Panzer seien auf starken Widerstand von Hamas-Kämpfern gestossen, die das Tunnelnetz für Angriffe aus dem Hinterhalt nutzten.

Die Hamas feuerte zudem am Dienstagabend wieder Raketen auf Israel ab. Sie hatte Israel am 7. Oktober überfallen und dabei 1400 Menschen, zumeist Zivilisten, getötet und etwa 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel hat danach die Hamas zunächst aus der Luft und dann auch mit Bodentruppen angegriffen. Dabei wurden seither nach Hamas-Angaben mehr als 10.500 Palästinenser getötet, darunter 4324 Kinder.

G7: Hilfslieferungen ermöglichen

Die G7-Aussenminister forderten, der Zugang für Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen müsse ungehindert möglich sein. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, müsse dabei aber das Völkerrecht einhalten. «Der Kampf gilt der Hamas und nicht der palästinensischen Zivilbevölkerung», sagte Bundesaussenministerin Annalena Baerbock. Das sei allerdings ein Dilemma, weil die Hamas die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde missbrauche. Fast zwei Drittel der 2,3 Millionen Einwohner des Gazastreifens sind nach Angaben der Vereinten Nationen Binnenvertriebene, von denen Tausende Zuflucht in Krankenhäusern oder in behelfsmässigen Zeltunterkünften auf deren Parkplätzen suchen.

(Reuters)