Es ist ein frostiger Empfang für den neuen Nestlé-Chef Laurent Freixe. Gerade einmal zwei Wochen im Amt, treffen aus Analystenkreisen erste Herunterstufungen für die Aktie des Nahrungsmittelherstellers aus Vevey ein. Nur wenige Tage, nachdem die britische Barclays ihr Anlageurteil von «Overweight» auf «Equal Weight» senkte, trifft gleich noch eine kritische Unternehmensstudie aus London ein. Die Aktie reagiert mit einem Minus von 0,7 Prozent. Sie sinkt im frühen Handel unter die 87-Franken-Marke.
Erwartungen an die Jahre 2025 und 2026 sind zu hoch
Absender der jüngsten Studie ist die amerikanische Bank Morgan Stanley. Darin gehen die Autoren sogar noch einen Schritt weiter und stufen die Nestlé-Aktie von «Equal-weight» auf «Underweight» herunter. Das Kursziel wird neuerdings noch mit 84 (zuvor 97) Franken angegeben - was einem Sechs-Jahres-Tief gleichkommt. Das nächsttiefere Kursziel stammt von der US-Investmentbank Jefferies und liegt bei 87 Franken.
Die für Morgan Stanley tätigen Analysten räumen zwar ein, dass bei Nestlé in den letzten sieben Jahren unter dem Firmenchef Mark Schneider gleich in mehrfacher Hinsicht eine Grundlage geschaffen wurde, um auf den Wachstumskurs zurückzufinden. Allerdings dürfte diese Belebung wohl erst nach 2026 einsetzen.
In Erwartung hoher Investitionen unter dem neuen Firmenchef ins Marketing sowie in die Forschung und Entwicklung passen die Analysten ihre Gewinnschätzungen für 2025 und 2026 nach unten an. Mit ihren neuen Annahmen liegen sie um bis zu 9 Prozent unter den durchschnittlichen Schätzungen ihrer Berufskollegen bei anderen Banken.
Geht es nach den Studienautoren, dann hat die Nestlé-Aktie auf längere Sicht einen Bewertungsaufschlag gegenüber vielen anderen Nahrungsmittelwerten verdient. Auf die bankeigenen Gewinnschätzungen abgestützt nehme die momentane Bewertung einen Turnaround jedoch bereits vorweg, wie es weiter heisst.
Nestlé zweitschwächste SMI-Aktie in diesem Jahr
Mit der vorliegenden Verkaufsempfehlung steht Morgan Stanley allein auf weiter Flur. Ein Gros der Banken und ihren Analysten preisen die Aktie von Nestlé noch immer zum Kauf an, wobei die Kursziele bis gegen 110 Franken reichen. Umso mehr sehen Börsenbeobachter in der Herunterstufung so etwas wie einen Tabubruch. Nachdem die Nestlé-Finanzchefin Anna Manz erst kürzlich an einer Investorenkonferenz Zurückhaltung in Bezug auf die Entwicklung des Tagesgeschäfts signalisiert hat (cash berichtete), könnten weitere Analysten ihre Gewinnerwartungen für den Nahrungsmittelhersteller unter negativen Vorzeichen überarbeiten. Für gewöhnlich bleibt das nicht ohne Folgen für den Aktienkurs.
Mit einem Minus von gut 10 Prozent seit Januar findet sich Nestlé in der ungewohnten Rolle der zweitschwächsten Aktie aus dem Swiss Market Index (SMI) in diesem Jahr wieder. Nur jene von Kühne+Nagel schneidet mit einem Minus von 14 Prozent noch schlechter ab.
1 Kommentar
So falsch ist das Rating von Morgan Stanley nicht. Nestlé hat nicht nur einfach Probleme, die höheren Produktionskosten infolge der Inflation weiterzugeben resp. trotz steigener Preise den Umsatz mengenmässig zu halten. Nestlé hat sowohl ein Strategie- (grundsätzliche Postionierung und nachgelagert das Sortiment) als auch im Image-Problem (insb. die ganzen Wasser-"Geschichten"). Hinzukommt, dass Nestlé schwerfällig geworden ist, was mitunter ein Resultat der Kostensenkungsinitiative ist, in deren Zug Funktionen der einzelnen Marken zusammengelegt wurden. Das befördert eine eher träge Kultur.
Mich erinnert die Situation von Nestlé etwas an die BBC der 80er Jahre. Ein monolithisch-zentralistischer Koloss, der unsteuerbar, träge, ineffizient wurde und so langsam niederging obwohl er innovativ war. Eine Reaktion damals war, die BBC in eine Vielzahl von kleineren Unternehmen mit eigenständigen Strukturen aufzusplitten, in der Hoffnung, dass sich diese auf dem Markt besser positionieren können und unternehmerischer handeln. Was bei einigen sehr gut funktioniert hat. Unter dem Strich war der Schritt richtig aber zu spät. Mit der Fusion mit ASEA und der sich daraus ergebenden neuen Strategie und neuen Struktur, die über viele Jahre Stück für Stück umgesetzt wurde, hat sich eine erhebliche Neuausrichtung der ABB ergeben, die heute wieder sehr erfolgreich ist. Ich denke, Nestlé steht ebenfalls ein solcher fundamentaler, langjähriger Prozess bevor. Ich zweilfe aber, ob dies bei Nestlé bereits verstanden wurde.