Der Lauf der US-Aktien seit Anfang 2024 war beeindruckend. Der Gesamtertrag - sprich Kursgewinne plus Dividenden - des Dow Jones Industrial Average Index belief sich auf 20,6 Prozent, beim S&P 500 Index auf 28,9 Prozent und beim Nasdaq auf 30,1 Prozent.

Es stellt sich die Frage, ob die Kursphantasie an den US-Aktienmärkten ausgereizt ist. Andrew Lapthorne, bekannter Aktienstratege von Société Générale (SG) in London, findet denn auch ein gewichtiges Haar in der Suppe, welches eine weitergehende Rally ausbremsen könnte. Er verweist in einer Kundennotiz vom letzten Freitag auf das gedämpftere Wachstum der US-Kapitalinvestitionen sowie auf den Rückgang des Cashflows für die 493 Aktien im S&P 500 Index ausserhalb der «glorreichen» sieben Aktien Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla

Zwar wurden in der noch laufenden Berichtssaison für das vierte Quartal 2024 die Gewinne der im S&P-500-Index vertretenen Unternehmen einerseits um 1,8 Prozent nach oben korrigiert. Andererseits sank die Erwartung für das erste Quartal 2025 um den gleichen Betrag: Somit stagnieren die Gewinne der US-Unternehmen seit April 2024.

Das ist kein Nährboden für Kurssteigerungen wie in der jüngsten Vergangenheit. Das zeigt auch ein Blick auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Das vorwärtsgerichtete KGV über die nächsten zwölf Monate liegt für den S&P 500 Index bei 28. Der Durchschnitt der letzten fünf Jahre steht bei 24 und der Zehn-Jahres-Durchschnitt gar bei 22, wie Daten von Factset zeigen. Das Fazit ist klar: US-Aktien sind teuer bewertet. 

Ein zentraler Punkt zur Begründung dieser hohen Bewertungen sind gemäss diversen Kommentatoren die Kapitalinvestitionen - insbesondere die möglichen Überausgaben für Künstliche Intelligenz (KI). Denn mehr Investitionen führen längerfristig zu höheren Gewinne. Das ist zumindest die Berechnung auf dem Papier. Die Lancierung der KI-App DeepSeek hat in den letzten zwei Wochen zu grundlegenden Diskussionen geführt, ob die Kapitalinvestitionen in KI nicht zu hoch sind.  

Die «glorreichen» Sieben haben ihre Kapitalinvestitionen deutlich erhöht, hält Lapthorne von Société Générale fest. «Der Dollarbetrag hat sich in den letzten vier Jahren verdoppelt und lag im vergangenen Jahr bei 40 Prozent Wachstum. Der Rest des S&P 500 verzeichnete im vergangenen Jahr jedoch nur ein Wachstum von 3,5 Prozent.»

Klammert man die Finanz-Werte und die «glorreichen» Sieben aus, so ist der sinkende operative Cashflow der Unternehmen im S&P 500 Index ein offensichtlicher Grund für das schwache Wachstum der Investitionsausgaben. Wenn man zudem die von den Unternehmen in den Raum gestellten Aktienrückkaufe, Dividendenzahlungen und Investitionsverpflichtungen zusammenrechnet, verbrauchen diese bereits jetzt 100 Prozent des operativen Cashflows, so der SG-Stratege Lapthorne. 

Dieses Ungleichgewicht bei den Investitionsausgaben und dem nicht vorhandenen Spielraum des operativen Cashflows kann die Rally an den US-Aktienmarkt über die nächsten Monate ausbremsen, auch wenn das Wirtschaftswachstum in Übersee weiter deutlich über demjenigen in Europa liegt. Zur Vorsicht mahnt auch der Umstand, dass Firmen wie Apple, AMD oder Microsoft trotz überdurchschnittlichem Gewinn- und Umsatzwachstum für das letzte Quartal 2024 an der Börse abgestraft wurden. Selbst «kleinste» Zahlenenttäuschungen wirkten sich negativ auf die Aktienkurse aus. 

Übergewichtung bei US-Aktien reduziert

Das Team um Stratege Daniel Morris von BNP Paribas Asset Management hat nach dem starken Lauf der US-Börsen das Engagement zurückgefahren. «Wir waren in Aktien übergewichtet und haben das auf taktischer Basis wieder auf neutral zurückgenommen. Langfristig sind US-Aktien immer noch eine gute Anlage. Aber die Kursentwicklung seit Anfang Jahr zeigt auch auf, dass die Stimmung bei europäischen Aktien deutlich besser wurde.»

Für ein deutliches Umschichten nach Europa gibt es aber keinen Grund. «Die neutrale Position bei US-Aktien heisst nicht, dass europäische Aktien wirklich durchstarten werden. Es ist eher die Sorge, dass die USA wegen der Zölle nicht ganz so gut abschneiden könnten», erklärt der BNP-Experte weiter. 

US-Aktien haben seit der US-Präsidentschaftswahl im Grossen und Ganzen besser abgeschnitten - so wie dies von vielen erwartet wurde. In der Zwischenzeit sind die Renditen für US-Staatsanleihen seit Anfang Dezember wieder gestiegen und europäische Aktien schnitten relativ gesehen besser ab, weil diese defensiver ausgerichtet sind, betont Morris von BNP Paribas Asset Management gegenüber cash.ch.   

Behalten die Bullen in den USA recht?

Ein Blick auf die grossen Player zeigt immer noch eine Präferenz für US-Aktien. Jean Boivin, Stratege von Blackrock, verweist in einem Kommentar vom Dienstag auf den politischen Kurswechsel in den USA und die Dynamik rund um die Künstliche Intelligenz. Dies unterstreiche die Risiken, mit denen die Märkte im Jahr 2025 konfrontiert sind. An der Markteinschätzung einer risikobereiten Positionierung und der Übergewichtung von US-Aktien hält der Vermögensverwaltungsriese fest.

Die Privatbank Pictet steht ebenfalls zu einer höheren Gewichtung bei US-Aktien. Die US-Wirtschaft wachse viel schneller als die jedes anderen Industrielandes, und US-Unternehmen profitieren weiterhin von einer starken Gewinndynamik und ihrer Führungsrolle im Bereich der Künstlichen Intelligenz. 

Ein Kurstreiber an der Wall Street sind zudem die nach wie vor steigenden Aktienrückkäufe. Dieser Wert dürfte gemäss Goldman Sachs 2025 erstmals über der Marke von einer Billion Dollar zu stehen kommen, nachdem in 2024 nach bisherigen Schätzungen für rund 880 Milliarden Dollar Aktienrückkäufe getätigt wurden.

Behält auf der anderen Seite der SG-Stratege Lapthorne mit seiner Analyse Recht, so könnte bei den Aktienrückkäufen in Übersee bald ein Plafond erreicht sein. Weiteren, deutlichen Kurssteigerungen an den US-Aktienmärkten dürfte das im Wege stehen - ebenso wie die hohen Bewertungen und das flache Gewinnwachstum im S&P 500 Index in der jüngsten Vergangenheit.

Thomas Daniel Marti
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