"Politisch motivierte Eingriffe in die Geldpolitik und die dadurch ausgelösten Wechselkursschwankungen bereiten den Unternehmen zunehmend Sorgen", hiess es am Montag beim Verband der Chemischen Industrie (VCI). "Die Schwankungen der türkischen Lira sind für die Unternehmen im Exportgeschäft eine grosse Herausforderung", sagte der Leiter der Aussenwirtschaft beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Ulrich Ackermann. Zwar hätten die Kunden des Maschinenbaus gelernt, damit umzugehen. "Auch hier gilt jedoch, dass ein Wechselkurs, der sich in ruhigen Bahnen bewegt, für Investitionen und Exporte hilfreich wäre", sagte Ackermann. Die deutsche Wirtschaft verkaufte 2020 Waren im Wert von mehr als 21 Milliarden Euro in die Türkei, die damit Platz 16 in der Rangliste der wichtigsten Kunden einnimmt.

Notenbankchef ausgewechselt

Dollar und Euro werten jeweils mehr als zehn Prozent auf 8,1745 beziehungsweise 9,5407 Lira auf, so stark wie zuletzt vor knapp 20 Jahren. Hintergrund für den Absturz ist die Absetzung des Notenbankchefs Naci Agbal, der noch am Donnerstag die Zinsen in der Türkei im Kampf gegen die hohe Inflation deutlich angehoben hatte. Daraufhin hatte Erdogan als erklärter Gegner hoher Zinsen den Notenbankchef am Wochenende ausgewechselt und mit Sahap Kavcioglu, einem Ex-Abgeordneten der Regierungspartei, einen erklärten Gegner einer straffen Geldpolitik auf den Posten gesetzt. Es war das dritte Mal seit Mitte 2019, dass Erdogan den Notenbankchef entliess. Agbal war erst seit knapp fünf Monaten im Amt.

Der Absturz der Lira löste auch einen Crash der dortigen Börse aus. Der Istanbuler Leitindex und der Bankenindex brechen um jeweils knapp zehn Prozent ein. Ihnen droht der grösste Tagesverlust seit fast acht Jahren. Der Ausverkauf am Anleihemarkt trieb die Rendite der zehnjährigen türkischen Bonds um fast sieben Prozentpunkte auf ein Zwei-Jahres-Hoch. Das ist der stärkste Anstieg ihrer Geschichte.

Währungsschwäche ein akutes Problem

"Das Vertrauen in die türkische Geldpolitik und deren Unabhängigkeit nahm mit dem Beschluss des Staatsoberhauptes bitterlichen Schaden", kommentierte Thomas Gitzel, Chefökonomen der VP Bank, die Turbulenzen. Da das Land unter einem grossen Berg von Fremdwährungskrediten leide, werde die Währungsschwäche zu einem akuten Problem. Durch den Lira-Absturz wird es teurer, die Darlehen zu bedienen.

"Das in weiten Teilen auf Konsum, finanziert durch Kapitalimport, ausgelegte Wachstumsmodell funktioniert bereits seit 2014 nicht mehr", sagte auch BayernLB-Ökonom Manuel Schimm. Anstelle wirtschaftspolitischer Reformen - von der Stärkung der Industrie bis hin zu Investitionen in Bildung sowie Forschung und Entwicklung - habe sich die politische Führung dafür entschieden, das ausgediente Wachstumsmodell durch geld- und kreditpolitische Lockerung und viel zu hoher Inflation bis zum Ende auszureizen. "In Kombination mit steigender gesellschaftspolitischer Repression, Verwicklung in kriegerische Auseinandersetzungen und Streitigkeiten mit dem grössten Handelspartner (EU) und den USA hat das Vertrauen von externen Geldgebern und Investoren stark und nachhaltig gelitten", betonte Schimm.

(Reuters)