Der bisherige Fraktionschef Kevin McCarthy erhielt nach drei Anläufen am Dienstag und drei am Mittwoch keine ausreichende Mehrheit unter seinen Parteikollegen. Das US-Repräsentantenhaus vertagte sich auf Donnerstagmittag (Ortszeit). Der Verbündete des ehemaligen Präsidenten Donald Trump sieht sich mit entschlossenem Widerstand ultrakonservativer Republikaner konfrontiert, die weniger als zehn Prozent der Fraktion ausmachen. Die Niederlage war bereits am Vortag als historisch eingestuft worden: Seit 1923 hat kein "Speaker" mehr als eine Abstimmung benötigt.
Vor dem vierten Votum hatten sich bereits Präsident Joe Biden und dessen Amtsvorgänger Trump eingeschaltet. Die bitteren Rivalen warnten übereinstimmend, dass die Situation peinlich zu werden drohe. "Das macht keinen guten Eindruck", sagte der Demokrat Biden. "Dies sind die Vereinigten Staaten von Amerika und ich hoffe, dass sie sich zusammenreissen." Verbündete und Feinde könnten Zweifel bekommen, ob sich die Demokratie in USA von den Unruhen am 06. Januar 2021 erholt habe. Damals stürmten Trump-Anhänger das Kapitol, den Sitz des Kongresses. Trump rief seine Parteikollegen seinerseits auf seiner Medienplattform Truth Social dazu auf, McCarthy zu wählen. "Verwandelt einen grossartigen Triumph nicht in eine riesige und peinliche Niederlage", schrieb er.
Ohne einen Vorsitzenden ist die Kammer faktisch handlungsunfähig. Von den regulär 435 Abgeordneten gehen die Haushaltsgesetze für den Bund aus. Die Pattsituation warf daher auch die Frage auf, ob das Repräsentantenhaus in der Lage sein wird, seine grundlegendsten Aufgaben im Staatsgefüge zu erfüllen. Eigentlich hatten die Republikaner gehofft, nach der Rückkehr an die Macht etwa Untersuchungen gegen Biden einzuleiten oder ihre politische Prioritäten vorantreiben zu können. Gemässigte Republikaner zeigten sich vor der Abstimmung am Mittwoch entsprechend frustriert. "Unter den Mitgliedern wächst die Verärgerung, weil es ihnen schwer fällt zu verstehten, was genau die Verweigerer wollen", sagte der Abgeordnete Dusty Johnson.
Seit Jahren tobt unter den Republikanern ein Richtungsstreit zwischen jenen Mitgliedern, die wie Trump die Partei weiter nach rechts rücken wollen, und einem vergleichsweise moderaten Lager. McCarthy sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, in seiner Zeit als Minderheitsanführer nicht aggressiv genug den Demokraten unter der bisherigen Vorsitzenden Nancy Pelosi die Stirn geboten zu haben. Einige Republikaner halten ihn zudem für zu wankelmütig.
Wahlen 2024 werfen ihre Schatten voraus
Bei der Kongresswahl im November hatten die Republikaner erstmals seit vier Jahren wieder die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert. Mit 222 zu 212 Mandaten fällt diese zwar knapp aus. Dennoch sollte die Wahl des "Sprechers" - auf Deutsch meist "Präsident" genannt - des Repräsentantenhauses nur eine Formalie sein. Schliesslich geht es um den dritthöchsten Posten im Staat, nach dem Präsidenten- und dem Vizepräsidentenamt. Dem historischen Dienst des Repräsentantenhauses zufolge gab es seit 1789 nur 14 Fälle, in denen bei der Wahl des Vorsitzenden mehr als ein Wahlgang benötigt wurde. Davon waren 13 vor dem Bürgerkrieg, als die Partei-Zugehörigkeit flexibler gehandhabt wurde. In den USA gibt es keinen Fraktionszwang.
Auch wenn sich McCarthy am Ende durchsetzen sollte, würde er den Posten geschwächt antreten. Statt sich darauf konzentrieren zu können, Biden das Leben schwerzumachen, würde er die Gräben in seiner eigenen Partei überbrücken müssen. Dass er trotz der Unterstützung durch Trump am Mittwoch zunächst erneut verlor, könnte auch den Präsidentschaftsbewerber schwächen. In den USA finden November 2024 Kongress- und Präsidentschaftswahlen statt.
(Reuters)