Der am 20. Januar bevorstehende Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident wirft in der Ukraine-Politik seine Schatten voraus: Trump kritisierte in einem am Donnerstag veröffentlichten Time-Interview den Einsatz von gelieferten US-Raketen für ukrainische Angriffe auf militärische Ziele tief in Russland. Er stellte damit die von US-Präsident Joe Biden gerade gegebene Erlaubnis infrage und verstärkte Sorgen in der Ukraine und Europa, dass er die militärische Unterstützung der Ukraine nach Amtsantritt beenden könnte. In Warschau berieten der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über die Ukraine-Politik. In Berlin warnte Kanzler Olaf Scholz davor, dass Entscheidungen über den Kopf der Ukrainer hinweg getroffen werden könnten.

«Ich lehne es vehement ab, Raketen Hunderte von Kilometern nach Russland zu schicken», erklärte Trump in dem Interview. «Warum tun wir das? Wir eskalieren diesen Krieg nur und machen ihn noch schlimmer. Das hätte man nicht zulassen dürfen.» Biden hatte das Verbot für die Ukraine im vergangenen Monat aufgehoben, nachdem Russland den Einsatz von bis zu 15'000 nordkoreanischen Soldaten im Krieg gegen die Ukraine bekanntgegeben hatte. Am 21. November feuerte Russland zudem erstmals eine ballistische Hyperschallrakete auf die ukrainische Stadt Dnipro ab.

Unklarheit über Trumps Politik

Trump hatte bereits im Wahlkampf erklärt, dass er den fast drei Jahre alten Krieg gerne schnell beenden wolle, sich aber zu den Einzelheiten bedeckt gehalten. Auf die Frage, ob er die Ukraine aufgeben würde, sagte Trump: «Ich möchte eine Einigung erreichen, und der einzige Weg, eine Einigung zu erreichen, ist, nicht aufzugeben.» Er sagte, der Einzug nordkoreanischer Truppen sei ein «sehr komplizierender Faktor». Am Samstag hatte er in Paris sowohl Macron als auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kurz getroffen. In Kiew gibt es die Sorge, dass Trump mit Russland einen Waffenstillstand zulasten der überfallenen Ukraine aushandeln könnte. Selenskyj hatte nach dem Treffen gemahnt, dass ein Waffenstillstand ohne Sicherheitsgarantien der Ukraine sehr schaden würde.

Die Europäer beraten ihrerseits seit Tagen, wie sie sich auf Trump vorbereiten und der Ukraine helfen können. Scholz hatte unter anderem vergangene Woche Kiew besucht, am Montag folgte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. In Warschau berieten am Donnerstag nicht nur Macron und Tusk, sondern auch die Finanzminister aus Polen, Frankreich und Deutschland. In Berlin wiederum empfing Aussenministerin Annalena Baerbock die Aussenminister Polens, Frankreichs, Grossbritanniens, Spaniens und Italiens sowie die neue EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas.

Bei den Beratungen der westlichen Alliierten der Ukraine wurde deutlich, dass zwar Planungen für eine Friedenssicherung nach einem Waffenstillstand im Gang, aber weit von konkreten Verabredungen entfernt sind. In Warschau betonte Tusk, dass sein Land nicht plane, für Sicherheitsgarantien nach einem Waffenstillstand Truppen in die Ukraine zu entsenden. Diese Idee hatte Macron aufgebracht. «Es gibt keine Sicherheit in Europa ohne die Europäer», sagte er nach dem Treffen in Warschau.

Nach den Worten von Baerbock braucht die Ukraine «harte Sicherheitsgarantien» und «langfristige militärische und finanzielle Unterstützung». Es gehe jetzt darum, «die unterschiedlichsten Elemente des Friedens vertraulich miteinander besprechen können», fügte sie hinzu, ohne Details zu nennen. In Regierungskreisen hiess es, dass Scholz die Entsendung von Soldaten im Krieg in die Ukraine definitiv ablehne. Für eine Diskussion über die Entsendung europäischer Soldaten für spätere Sicherheitsgarantien sei es zu früh. Dies hatte auch Merz betont.

Unterdessen unterstützte Russland eine Initiative von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban zu einer Feuerpause an Weihnachten und einem Gefangenenaustausch mit der Ukraine. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, der Vorschlag zum Austausch von Kriegsgefangenen anlässlich der Weihnachtszeit sei der Ukraine übermittelt worden, diese scheine aber abzulehnen. Laut Peskow unterbreitete Orban seine Idee kürzlich in einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Die EU-Staaten und auch die Bundesregierung hatten in den vergangenen Monaten klar gemacht, dass Ungarn nur für sich spreche, auch wenn das Land bis Jahresende die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft innehat. Orban gilt als Moskau-nah und deshalb isoliert im Kreis der 27 EU-Regierungen. 

(Reuters)