Anlegerinnen und Anleger lieben besonders zwei Dinge: Tiefe Aktienpreise für einen Zukauf, und besonders erfolgreiche Firmen. Bei den US-Tech-Giganten bekommt man zwar Letzteres. Aber nicht die günstigen Einstiegspreise.
Seit Anfang Jahr hat die Aktie von Amazon sage und schreibe 71 Prozent an Wert gewonnen. Der Netflix-Kurs ist um die Hälfte angestiegen, bei Apple sind es 45 Prozent. Bei Facebook hat sich der Kurs um ein Viertel erhöht. Die Halbjahresergebnisse wurden ausser von Netflix von allen FAANG-Aktien vergangene Woche vorgestellt. Sie trieben die Kurse weiter nach oben, ausser bei Alphabet-Google. Dort beträgt das Jahresplus "nur" noch 11 Prozent.
Die FAANG-Konzerne haben von der Krise eindeutig profitiert. Im Corona-Lockdown wurden Soziale Medien, Onlinehandel, Cloud-Dienste und Streamingfernsehen für Menschen noch wichtiger. Die Haltung der Börse resümieren Qie Zhang und Ken Murphy von Aberdeen Standard Investments so: "In Zeiten erhöhter wirtschaftlicher Unschärfe bevorzugt der Markt Unternehmen, bei denen die Nachfrage besonders stabil ist."
Amazon ist sehr stark
Dennoch: Bei so stark gestiegenen, hoch bewerteten Aktien ist guter Rat für Börsianer nicht einfach. Die Angst vor einer Korrektur ist allgegenwärtig. Es ist allerdings ausgerechnet die dieses Jahr am besten gelaufene Aktie, die besonders viel Zuspruch bekommt: Amazon. Neun von zehn Analysten raten zum Kauf respektive Übergewichten. Im Onlinehandel und in der Cloud kann das Unternehmen seinen "Burggraben" bei einer breit akzeptierten Technologie, bei weiter grossem Entwicklungspotential noch ausbauen, wie Barclays urteilt. Die jetzt 3164 Dollar teure Aktie steigt im Bestfall-Szenario der britischen Grossbank leicht auf 4000 Dollar.
Warum Analysten so positiv urteilen: Für den Moment scheint Amazon die Traumstufe der Unangreifbarkeit erreicht zu haben. Zu allem Überfluss läuft auch noch das TV-Streaming mit Amazon Prime gut. Auch Apple profitiert davon, dass die iPhone-Verkäufe im zweiten Quartal besser liefen als gedacht. Statt 21 Milliarden Dollar wie prognostiziert nahm der kalifornische Konzern 26 Milliarden Dollar mit dem ikonenhaften Smartphone ein.
Sébastien Galy, Anlagestratege bei Nordea Asset Management, stellt allerdings die Risiken ins Zentrum: Die Tech-Titel hätten vom Missmanagement der Coronaviruskrise in den USA und von der Wirtschaftsabschwächung profitiert und würden die Gunst von Anlegern verlieren, wenn sich die Konjunkturlage verbessere oder gar ein Impfstoff gegen das Coronavirus in Greifnähe rücke.
Die wichtigsten Geschäftsfelder der FAANG Amazon: Onlinehandel, Supermärkte, Cloud-Dienste, Streamingdienste, künstliche Intelligenz |
Zu hohe Erwartungen an Gewinnwachstum sind gefährlich. "Die Kursdynamik wird in einem Meer klatschender Hände in sich zusammenfallen. Wir empfehlen, bei Wachstumsaktien Gewinne mitzunehmen, nachdem sie über die vergangenen zwei Wochen gestiegen sind", schreibt Galy auf Anfrage von cash.ch.
Zu bedenken ist auch: Im zweiten Quartal glänzte trotz übertroffener Erwartungen nicht alles. Google spürte sinkende Werbeeinnahmen, bei Facebock trübt die Diskussion um weitere Werbeboykotte wegen niederträchtigen und politisch heiklen Kommentaren auf der Plattform die gute Laune. Zu stark gewichten sollte man den Facebook-Boykott zwar nicht. Aber auch hier muss man sehen, das er Teil von gesellschaftlichen Veränderungen ist, die ein Konzern schnell weniger gut kontrollieren kann als gedacht.
Netflix hat korrigiert
Wer jetzt speziell bei Apple oder Amazon noch zukaufen will, springt unbestreitbar auf einen fahrenden Zug auf. Wenn es eine "Einstiegsaktie" bei den FAANG gibt, dann eher Netflix. Innerhalb der vergangenen zweieinhalb Wochen hat der Kurs von 575 auf 488 Dollar korrigiert.
Das Management hat bei der Ergebnispräsentation Mitte Juli ein schwächeres zweites Halbjahr in Aussicht gestellt, weil der massenhafte Konsum von Filmen und Serien auf Netflix wie in Lockdown und damit einhergehend, ein massives Wachstum an Abonnenten, nicht mehr wiederkehren dürfte. Die Börse goutierte die Progonse nicht. Tech-Aktien-Beobachter mutmassen schon, die Latte sei absichtlich so tief gelegt worden, damit der Kurs von späteren positiven Überraschungen profitieren zu können.
Der Kursverlauf bei Netflix seit Anfang Jahr (Grafik: Bloomberg).
Diese könnten sich schnell einstellen. Netflix kann vor allem noch in weniger hart umkämpften Märkten ausserhalb der USA wachsen. Auch die übrigen FAANG-Aktien haben zumindest für längerfristig orientierte Anleger bis auf weiteres ein massives Plus: Sie dominieren wichtige Teile der Wirtschaft und des Alltagslebens von hunderten Millionen Menschen, und sie haben auch die Position, aus der sie die traditionelle Wirtschaft verändern können. Das gibt diesen Wachstumstiteln weiteres Potential.
Wären diese Titel nur nicht so teuer. Die hohen Bewertungen bei den FAANG-Titeln kann man nicht wegdiskutieren, aber diese müssen relativ gesehen werden. Die Coronaviruskrise hat eine an den Märkten seit langem beobachtete Tatsache nur unterbrochen: Geld fliesst weiterhin vor allem in Aktien. Anleger gewichten bei Wachstums- und Qualitätsaktien ein Kurs-Gewinn-Verhältnis derzeit eher tief.
So schreibt Anton du Plooy, Aktienanalyst bei der Londoner Anlagegesellschaft Ninety One, zu den FAANG-Bewertungen: "Man kann sogar argumentieren, dass die steigende relative Prämie gerechtfertigt ist, wenn wir uns irgendwann dem Ende der Pandemie nähern." Er begründet dies mit langanhaltenden Veränderungen im Konsumverhalten und einer über die Zeit noch höheren strukturellen Wettbewerbsfähigkeit von "Big Tech".
Risiko US-Wahlen
Die den Alltag so durchdringende Stellung der Tech-Giganten führt allerdings auch zu gesellschaftlichem und politischem Misstrauen. Einen Frisson über die Schultern der Tech-Anleger könnte noch die amerikanische Präsidentenwahl Anfang November legen. Analysten rechnen mit der Möglichkeit, dass der amtierende Präsident Donald Trump irgendeinen "Schock" auslösen könnte, um seine Wiederwahlchancen zu verbessern.
Wird dennoch Joe Biden gewählt, steht das Gespenst einer verschärften Regulierung im Raum. Die Chefs einiger der Tech-Konzerne, die in den USA mit den "Eisenbahn-Baronen" des 19. Jahrhunderts verglichen werden, müssen wegen ihrer Machtfülle jetzt schon vor Kongressausschüssen in Washington Rede und Antwort stehen.
Google staff discussed the “proliferating threat” of competing websites like vertical search engines, House Antitrust Subcommittee Chair David Cicilline said based on the panel’s investigation.
— CNBC (@CNBC) July 29, 2020
Follow along with live updates from the Big Tech hearing: https://t.co/MEVqdZ22cR
Die Demokraten sind kritischer gegenüber Grosskonzernen als die Republikaner. Aber dann: Einen solch gewaltigen Einfluss auf die Aktienkurse der Techfirmen haben Politikwechsel auch wieder nicht. Und schlachten würde auch ein Präsident Biden ein Huhn nicht, das goldene Eier legt. Zudem stehen die Demokraten und Tech sich nahe. Beide sind selbsterklärte progressive Kräfte.
Das Fazit: Amazon, Apple und wohl auch Netflix haben an der Börse noch einen guten Lauf. Etwas vorsichtiger müssen Anleger bei Facebook und noch mehr Google sein. Wer vor den klar hohen Risiken in diesen teuren Wachstumstiteln Respekt hat, kann sich bei den heutigen Kursständen eine teilweise Gewinnmitnahme überlegen und vielleicht später wieder zukaufen. Längerfristig sind die FAANG-Aktien immer noch attraktive Investments.