Syriens Machthaber Baschar al-Assad ist gestürzt. Islamistische Rebellen übernahmen am Sonntag die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus, ohne dass es nach ihren Angaben zu einem erkennbaren Einsatz der syrischen Armee gekommen wäre. Assad selbst soll nach Informationen aus Militärkreisen an Bord eines Flugzeugs geflohen sein. Es gab Spekulationen in syrischen Kreisen, dass eine Maschine mit Assad an Bord abgestürzt sein könnte. Assad hatte 2011 einen Aufstand gegen die jahrzehntelange Herrschaft seiner Familie niederschlagen lassen und damit den Bürgerkrieg ausgelöst, der in den vergangenen Tagen überraschend wieder aufgeflammt war: In einer Blitzoffensive eroberten Aufständische eine Stadt nach der anderen, bevor sie Damaskus erreichten.
Führend dabei war die Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die im Ausland als terroristisch eingestuft wird und in Syrien von einigen wegen ihres Islam-Fundamentalismus gefürchtet wird. Ihr Kommandeur Abu Mohammed Al-Golani kappte 2016 die HTS-Verbindungen zu einem Al-Qaida-Ableger, der Nusra-Front. Nach dem Sturz Assads gilt Al-Golani als zentral für die künftigen Machtverhältnisse in Damaskus. Ministerpräsident Mohammad Ghasi Al-Dschalali steht nach eigenen Angaben mit ihm in Kontakt. Al-Dschalali selbst rief zu freien Wahlen auf.
Am Sonntagmorgen erklärten Rebellen im syrischen Fernsehen, dass sie Damaskus befreit und das Assad-Regime gestürzt hätten. Im Zentrum der Hauptstadt feierten Tausende den Sturz des Machthabers. Die Menschenmenge skandierte «Freiheit». Auch in Homs wurde gefeiert: Statuen von Assads Vater und Bruder wurden umgestürzt. Plakate mit Assads Konterfei wurden abgerissen, zertrampelt, verbrannt oder von Kugeln durchlöchert.
Der 59-Jährige hatte die Herrschaft über Syrien vor fast einem Vierteljahrhundert von seinem Vater übernommen und lange mit eiserner Hand jeden Widerstand in dem Vielvölkerstaat unterdrückt. Mit der Niederschlagung des Aufstands gegen ihn im Jahr 2011 wurde der Bürgerkrieg ausgelöst, der Hunderttausende Menschen das Leben kostete und Millionen weitere in die Flucht trieb. Assad wurde lange vom Iran und Russland gestützt, die zuletzt aber durch den Gaza- und den Ukraine-Krieg einen anderen Fokus hatten. Der Zusammenbruch von Assads Herrschaft bedeutet einen schweren Schlag für ihren Einfluss in der Region.
In den vergangenen Tagen gab es Spekulationen, dass Assad angesichts der auf Damaskus vorrückenden Rebellen im Iran oder in Russland Schutz suchen könnte. Doch über den Verbleib von Assad und seiner Familie gab es am Sonntag zunächst keine bestätigten Informationen. Assad habe Damaskus mit unbekanntem Ziel verlassen, sagten zwei hochrangige Offiziere der Nachrichtenagentur Reuters.
Ein syrisches Flugzeug war nach den Daten von Flightradar vom Flughafen in Damaskus zu der Zeit gestartet, als die Einnahme der Hauptstadt durch die Rebellen bekannt wurde. Das Flugzeug flog zunächst in Richtung der syrischen Küste, einer Hochburg von Assads alawitischer Minderheit. Die Maschine drehte dann aber abrupt um und verschwand nach einigen Minuten vom Radar. Es ist unklar, wer an Bord war und was mit dem Flugzeug passierte. In syrischen Kreisen galt es als möglich, dass die Maschine abgeschossen wurde. Assad hatte sich seit Beginn der Überraschungsoffensive in der vorvergangenen Woche nicht mehr öffentlich geäussert. Noch am Samstag meldeten staatliche Medien, er gehe in Damaskus seinen Staatsgeschäften nach. Seitdem gab es keine amtlichen Berichte zu Assads Aufenthaltsort mehr.
Wendepunkt im Nahen Osten
Die Geschwindigkeit, mit der die Aufständischen Stellungen der Armee überrannten, hat für Erstaunen gesorgt. Der Sturz Assads markiert einen Wendepunkt im Nahen Osten. Befürchtet wird aber auch eine neue Welle der Instabilität in der Region. Neben dem Iran und Russland ist auch die Türkei in Syrien aktiv, weil sie eine Etablierung kurdischer Kräfte an ihrer Grenze verhindern will.
Auch die USA unterstützen in Syrien einzelne Gruppierungen, rund 900 US-Soldaten sind vor allem im Nordosten Syriens stationiert. Die USA wollen diese Präsenz aufrechterhalten und verhindern, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) wieder an Einfluss gewinnt, sagte der Beauftragte des US-Verteidigungsministeriums für den Nahen Osten, Daniel Shapiro. Unter dem designierten Präsidenten Donald Trump könnte es allerdings zu einem Kurswechsel kommen.
Das israelische Militär teilte mit, es habe Streitkräfte in der von den Vereinten Nationen überwachten Pufferzone zu Syrien in Stellung gebracht, werde aber nicht in die Ereignisse in Syrien eingreifen. In Damaskus stürmten syrische Rebellen dem englischsprachigen iranischen Sender Press TV zufolge die Botschaft des Iran. Die irakische staatliche Nachrichtenagentur berichtete, die Botschaft des Irak werde evakuiert und das Personal in den Libanon verlegt.
Aussenministerin Annalena Baerbock bezeichnete den Sturz des syrischen Regimes als «erstes grosses Aufatmen», warnte aber zugleich vor einer erneuten Eskalation. «Das Land darf jetzt nicht in die Hände anderer Radikaler fallen - egal in welchem Gewand.» Sie rief die Konfliktparteien auf, den «umfassenden Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten wie Kurden, Alawiten oder Christen» zu sichern und einen Ausgleich zwischen den Gruppen anzustreben. «Wenn die zentralen Akteure von innen und aussen nun endlich im Sinne der Menschen in Syrien handeln, könnte der seit Jahren ersehnte und zugleich so schwierige Weg zum Frieden beginnen.»
(Reuters)