Am Sonntagmorgen erklärten die syrischen Rebellen im Fernsehen, dass sie Damaskus befreit und das Assad-Regime gestürzt hätten. Ein mit der Sache vertrauter syrischer Offizier sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die syrische Armeeführung habe Militärkommandanten über das Ende des Assad-Regimes informiert. Assad habe zuvor Damaskus mit unbekanntem Ziel verlassen, sagten zwei hochrangige Offiziere zu Reuters.
Ein syrisches Flugzeug war nach den Daten von Flightradar vom Flughafen in Damaskus zu der Zeit gestartet, als die Einnahme der Hauptstadt durch die Rebellen bekannt wurde. Das Flugzeug flog zunächst in Richtung der syrischen Küste, drehte dann aber abrupt ab und verschwand nach einigen Minuten vom Radar. Es ist unklar, wer an Bord war und was mit dem Flugzeug passierte.
Die Rebellen waren nach eigenen Angaben in Damaskus einmarschiert, ohne dass es Anzeichen für einen Einsatz der Armee gegeben habe. Tausende Menschen zu Fuss und in Autos versammelten sich auf einem zentralen Platz in Damaskus und skandierten «Freiheit», wie Zeugen berichteten. Statuen von Assads Vater und Bruder wurden in den von den Rebellen eingenommenen Städten umgestürzt, Plakate mit Assads Konterfei wurden abgerissen und die Menschen zertrampelten sie, die Bilder wurden verbrannt oder von Kugeln durchlöchert.
Syrischer Ministerpräsident plädiert für freie Wahlen
Allerdings erklärte die syrische Armee, dass sie weiter militärisch gegen «Terroristen-Gruppen» in den Gebieten um die Städte Homs, Hama und Daraa vorgehe. Das israelische Militär teilte mit, es habe Streitkräfte in der von den Vereinten Nationen überwachten Pufferzone zu Syrien in Stellung gebracht, werde aber nicht in die Ereignisse in Syrien eingreifen.
Baschar al-Assad hatte während seiner Herrschaft jegliche abweichende Meinung unterdrückt und Tausende inhaftieren lassen. «Wir feiern mit dem syrischen Volk die Nachricht von der Befreiung unserer Gefangenen und der Befreiung von ihren Ketten und verkünden das Ende der Ära der Ungerechtigkeit im Sednaja-Gefängnis», erklärten die Rebellen und bezogen sich dabei auf ein grosses Militärgefängnis am Stadtrand von Damaskus. Der syrische Ministerpräsident Mohammad al-Dschalali sagte, er sei bereit dazu, die Kontinuität der Regierung zu unterstützen und mit jeder vom syrischen Volk gewählten Führung zusammenzuarbeiten. In einem Interview mit dem Sender Al-Arabija plädierte er für freie Wahlen, damit die Menschen über die Führung des Landes entscheiden könnten.
Wendepunkt im Nahen Osten
Die Geschwindigkeit, mit der die Aufständischen Stellungen der Armee überrannten, hat für Erstaunen gesorgt. Mit dem Zusammenbruch endet ein halbes Jahrhundert der eisernen Herrschaft der Familie Assad und markiert einen Wendepunkt im Nahen Osten. Nun wird eine neue Welle der Instabilität in der Region befürchtet. International isoliert konnte Assad auf die Unterstützung Russlands, des Irans und der libanesischen Hisbollah zählen. Diese waren zuletzt aber mit eigenen Problemen beschäftigt: Russland mit dem Krieg in der Ukraine und der Iran mit den Konflikten im Nahen Osten.
Die Türkei ist in Syrien aktiv, weil sie eine Etablierung kurdischer Kräfte verhindern will, die sie als Terroristen betrachtet. Auch die USA unterstützen einzelne Gruppierungen. Rund 900 US-Soldaten sind vor allem im Nordosten Syriens stationiert, wo sie eine von syrischen Kurden geführte Allianz gegen ein Wiedererstarken des Islamischen Staates (IS) unterstützen. Das US-Präsidialamt erklärte, US-Präsident Joe Biden und sein Team beobachteten die Ereignisse in Syrien genau und stünden in Kontakt mit regionalen Partnern.
Einige Stunden vor dem Einmarsch in Damaskus hatten die Rebellengruppen erklärt, dass sie die Stadt Homs unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Tausende strömten daraufhin auf die Strassen, tanzten und skandierten «Assad ist weg, Homs ist frei» und «Lang lebe Syrien und nieder mit Baschar al-Assad».
(Reuters)