Am vergangenen Freitag hat sich an den hiesigen Devisen- und Zinsmärkten Bemerkenswertes abgespielt. Wegen schlechter Konjunkturnachrichten aus der Eurozone verlor der Euro sowohl zum Dollar als auch zum Franken massiv an Wert und sank auf neue Jahrestiefstwerte ab. Man notierte zweitweise nahezu 92 Rappen pro Euro.

Doch am selben Nachmittag kam es zu einer Wende. Martin Schlegel, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), erklärte in einem Vortrag, bei Bedarf sei die SNB bereit, wieder Negativzinsen einzuführen. Das führte zu einer merklichen Erholung des Eurokurses zum Franken. 

An den Zinsmärkten war der Schaden aber schon angerichtet. Mit der Euroschwäche kamen die Renditen der zehnjährigen Bundesobligationen unter Druck, die Bemerkung von Schlegel tat das übrige. Die Rendite der zehnjährigen Bundesobligationen fiel an einem Tag um 35 Prozent von 0,31 auf 0,20 Prozent. 

Im Sog der einbrechenden Renditen für Schweizer Staatsanleihen tauchten auch die Swap-Sätze markant. Diese sind für die Preisgestaltung der Festhypotheken relevant. Der zweijährige Swap-Satz verbilligte sich gemäss Daten der Nachrichtenagentur Bloomberg um 28 Prozent auf 0,19 Prozent, der fünfjährige um 23 Prozent auf 0,25 Prozent und der zehnjährige um 26 Prozent auf 0,39 Prozent. Das ist rekordverdächtig.

Drei bis vier Zinssenkungen eingepreist

Die Verschiebung der gesamten Renditekurve nach unten hat dazu geführt, dass am Kapitalmarkt mit einem Rückgang des Leitzinses Saron in den nächsten 12 Monaten um 0,75 Prozentpunkte gerechnet wird. Drei Zinssenkungen von je 0,25 Prozentpunkte sind sicher eingepreist - vor Wochenfrist waren es erst deren zwei. 

In Anbetracht einer Inflationsrate von zuletzt 0,6 Prozent seien drei Zinssenkungen sicherlich realistisch, erklärt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, auf Anfrage von cash.ch. Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin, wird noch genauer. Er sieht schon Ende Juni 2025 einen Leitzins von 0,25 Prozent. Beide Ökonomen schliessen zudem nicht aus, dass danach oder sogar schon per Juni das Nullzinsniveau erreicht wird. Das ergäbe dann total vier Zinssenkungen um je 0,25 Prozentpunkte über die nächsten Monate. 

Die Prognose ist primär auf die Erwartung einer tiefen Inflationsrate in der Schweiz zurückzuführen. «Rechnet man die Wohnungsmieten aus dem Konsumentenpreis heraus, ist das Preisniveau gegenüber dem Vorjahr sogar rückläufig. Hinter der Preisentwicklung verbirgt sich ein starker Franken», so Gitzel. 

Michaël Nizard, Leiter Multi Asset & Overlay bei Edmond de Rothschild Asset Management in Genf, weist ebenfalls auf die eindeutig rückläufige Inflationsdynamik in der Schweiz hin: Die annualisierten Inflationsraten für drei und sechs Monate liegen gemäss den Zahlen vom Oktober bei minus 1,6 Prozent beziehungsweise null Prozent. «Deshalb deuten die Markterwartungen für Saron-Futures auf einen Tiefpunkt des Schweizer Leitzinsen von 0,10 Prozent im vierten Quartal 2025 hin. Das ist knapp an der Grenze zu negativen Zinsen», so Nizard.  

Negativzinsen vorerst nicht absehbar

Die befragten Ökonomen sehen Negativzinsen für den Moment aber als eher unwahrscheinlich an. «Die SNB möchte sicherlich negative Zinsen vermeiden, da dies ihren Handlungsspielraum einengt», erläutert Junius von J. Safra Sarasin. Er verweist zudem auf die inländische Teuerung, wo die um ein bis zwei Prozent steigenden Löhne zu einem leichten Preisdruck führen könnten. 

Vor einer möglichen Einführung negativer Leitzinsen kann die SNB alternativ bei einem weiter fallenden Euro am Devisenmarkt intervenieren. Verbal hat der SNB-Präsident das am vergangenen Freitag bereits getan. Der nächste Schritt wären dann monetäre Massnahmen am Devisenmarkt. Die SNB kauft in diesem Fall Euro gegen Schweizer Franken, um dem Kaufdruck auf den Franken entgegenzuwirken. In diesem Falle käme die Nationalbank aber unter Erklärungszwang, weil sich die bereits sehr hohe Bilanzsumme weiter aufblähen würde. 

Devisenmarktinterventionen fallen für den Chefökonom der VP Bank, Thomas Gitzel, deshalb unter die Rubrik «Notwehr». Das Mittel erster Wahl sind gegenwärtig Zinssenkungen und im Nachgang dürften dann weitere Massnahmen wie Devisenmarktinterventionen und Negativzinsen in Erwägung gezogen werden. Unrealistisch ist das allerdings nicht. «Ich würde derzeit hinsichtlich der Geldpolitik der Nationalbank kategorisch gar nichts ausschliessen wollen.»

Die Gewinner und Verlierer

Die Gewinner des Zinssenkungsreigens sind die Hypothekarschuldner und die Mieter. Erstere profitieren von tieferen Refinanzierungskosten sowohl bei Saron- und Festhypotheken, zweitere von einem mittelfristig tieferen Referenzzinssatz. Ein tieferer Referenzzinssatz führt zu fallenden Mieten.

Die Bauwirtschaft kann sich ebenfalls freuen, da die Investitionen im Immobiliensektor anziehen dürften. Je tiefer die Renditen für festverzinsliche Papiere sind, desto interessanter werden neue Bauprojekte für Immobilieninvestoren wie Pensionskassen. 

Zu den Verlierern gehören die Sparerinnen und Sparer, welche Gelder auf Bankkonti oder in festverzinslichen Säule-3a-Konten halten. Diese Zinsen dürften in den nächsten zwölf Monaten sinken, sollten die drei respektive fast vier eingepreisten Zinssenkungen durch die hiesige Währungshüter Tatsache werden. Ebenso sinkt die Attraktivität von Obligationen und Festgeldanlagen weiter ab.

Kleine und mittelgrosse Unternehmen kommen in einem beschränkten Umfang in den Genuss von den tendenziell sinkenden Zinsen auf Firmenkrediten. Bleibt der Euro zum Franken schwach, dürften der Zinsvorteil keine merkliche Verbesserung der Profitabilität bei den Firmen mit sich bringen. Dies, weil bei anhaltenden Währungsverlusten rückläufige Umsätze und Gewinne die Kosteneinsparungen bei den Zinskosten wegfressen. 

Die Lage bleibt für die Schweizer Währungshüter knifflig. Währungsstrategen und Ökonomen erwarten einen weiterhin schwachen Euro. In den letzten zwei Jahren war ein Aufbäumen des Euros gegenüber dem Franken jeweils nur von kurzfristiger Dauer. Ein Absinken des Euros zum Schweizer Franken auf 0,90 Franken ist ein realistisches Szenario aufgrund der geopolitisch unsicheren Lage und der schwachen Konjunktur in der Eurozone, namentlich Deutschland und Frankreich. 

Thomas Daniel Marti
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