cash.ch: Herr Sigrist, die SIG Group ist ein weltweit tätiger Verpackungskonzern mit einer Kernkompetenz in Kartonverpackungen und den dazu passenden Abfüllmaschinen. Können Sie den Markt beschreiben und erläutern, was Ihre Strategie ist, um langfristig erfolgreich zu sein?

Samuel Sigrist: Wir arbeiten mit unseren Kunden zusammen, um flüssige Lebensmittel und Getränke auf sichere, nachhaltige und erschwingliche Weise zu den Menschen zu bringen. Dabei setzen wir nachhaltige Verpackungen und aseptische Technologien ein, mit denen Lebensmittel zwölf Monate lang haltbar gemacht werden können, ohne dass eine Kühlkette erforderlich ist. Trotz zahlreicher Krisen, wie dem Covid-Schock und geopolitischen Herausforderungen, sind unsere Märkte stetig gewachsen – ausser im letzten Jahr, wo die Inflation die Konsumenten belastet hat. 

Was charakterisiert das Wachstum?

Das Wachstum wird durch Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und steigendes verfügbares Einkommen angetrieben. Immer mehr Menschen können sich verpackte Lebensmittel leisten, was die Resilienz unserer Märkte unterstützt, da Basiskonsumgüter immer gefragt sind, unabhängig von der Wirtschaftslage.

Inwiefern wächst SIG Group über dem Markt?

Seit Beginn unseres Expansionskurses im Jahr 2005 haben wir stetig Marktanteile ausgebaut. Wir haben laufend neue Märkte erschlossen und gewinnen kontinuierlich Kunden hinzu. 

Letztes Jahr stellt eine Ausnahme dar?

Ja, letztes Jahr war eine Ausnahme, da die hohe Inflation die Konsumfrequenz und -menge beeinflusste. Trotzdem konnten wir weitere Marktanteile hinzugewinnen, da wir unsere Volumen halten konnten, während der Markt rückläufig war. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wuchsen wir im Geschäft mit Getränkekartons um 6,7 Prozent, während der Markt nach unseren Schätzungen nur um etwa 1 Prozent zulegte.

Inwiefern spielt beim jüngsten Wachstumsschub die zurückgehende Inflation eine Rolle?

Die Inflation geht zurück, und die Anpassung der verfügbaren Einkommen ist für uns vorteilhaft. Wir erwarten aber, dass es bis Ende 2025 dauert, bis das Endmarktwachstum vollständig zurückkehrt, insbesondere in China. Die dortigen Stimulus-Programme haben zu einem Stimmungswechsel geführt, aber es wird noch Zeit brauchen, bis sich das Wachstum normalisiert. Die Flexibilität unserer Maschinen, die es unseren Kunden erlaubt, in wenigen Minuten die Verpackungsgrösse zu ändern und dadurch wichtige Preispunkte zu halten, hat uns aber auch während der Phase mit hoher Inflation geholfen, weitere Marktanteile zu gewinnen. 

Sie sorgen sich also weniger um die konjunkturelle Lage, insbesondere in den USA und Europa?

Ja, das ist korrekt. Auch wenn wir von konjunkturellen Schwankungen nicht völlig losgelöst sind, sind diese Faktoren für uns weniger relevant. 

Angesichts der gedämpften Entwicklung im Bag-in-Box-Geschäft haben Sie die Guidance mit den Halbjahreszahlen nach unten korrigiert. Für das Gesamtjahr 2024 erwarten Sie nun ein währungsbereinigtes Wachstum von etwa 4 Prozent, +/- 50 Basispunkte, und eine EBITDA-Marge am unteren Ende der Bandbreite von 24 bis 25 Prozent. Liegen Sie im Plan?

Als wir die Guidance aktualisierten, hatten wir bereits gewisse Anhaltspunkte für das dritte Quartal und fühlten uns sicher genug, diese Prognose abzugeben. Das bleibt unser klar formuliertes Ziel.

Die übernommene Scholle IPN entwickelt sich im Vergleich zum aseptischen und gekühlten Kartongeschäft noch unterdurchschnittlich. Warum?

Zwischen Mitte 2022, als wir den Deal abgeschlossen haben, bis zum Ende des ersten Quartals 2023 wuchs unser Geschäft mit Bag-in-Box-Verpackungen im hohen Zehnerbereich. Dieses Wachstum war hauptsächlich auf einen Covid-Rebound-Effekt zurückzuführen, insbesondere im Bereich der Schnellrestaurants in den USA. Für das gesamte Jahr 2023 betrug das Wachstum 5,6 Prozent. Im ersten Halbjahr 2024 hingegen erlebten wir einen Rückgang von 12 Prozent. Dies lag an der starken Vergleichsbasis aus dem Vorjahr, aber auch daran, dass im für dieses Geschäft wichtigsten Markt, den USA, aufgrund der starken Inflation und den damit verbundenen Preissteigerungen in Schnellrestaurants wie McDonald's die Nachfrage zurückging. Und zudem kam es bei der Verlegung eines Werks von Kanada in die USA zu Schwierigkeiten, die zu Kapazitätsengpässen führten. Diese sind aber jetzt adressiert.

Was ist die aktuelle Dynamik im Bag-in-Box-Geschäft?

Das Bag-in-Box-Geschäft ist hauptsächlich auf die USA (60 Prozent), gefolgt von Europa (20 Prozent) und dem Rest der Welt (20 Prozent) konzentriert. Die jüngste Entwicklung war gedämpft, da sich dieser Geschäftsbereich in einem Übergang befindet. Wir sind jedoch überzeugt, dass diese Märkte langfristig das Potenzial haben, ähnlich erfolgreich zu sein wie unser bisheriges Kerngeschäft.

Können Sie erläutern, wie Sie es schaffen möchten, hier Wachstum zu generieren und welche Herausforderungen dabei bestehen?

Unser Ziel ist es, das Bag-in-Box-Geschäft durch Innovation und den Einsatz aseptischer Technologien zu revitalisieren. Wir möchten die neuen Substrate verstärkt auch in aufstrebende Märkte einführen und den Anteil an aseptischen Lösungen und Innovationen erhöhen. Dies sollte uns mittelfristig nicht nur zu einem Wachstum von 4 bis 6 Prozent, sondern auf 5 bis 6 Prozent verhelfen. Diese Transformation basiert auf einer soliden Grundlage, erfordert jedoch zusätzliche Technologie, innovative Ansätze und eine wertorientierte Vertriebsstrategie.

Rohstoffpreisschwankungen, insbesondere bei Aluminium, sorgten im Frühjahr noch für negative Analystenkommentare. Hat sich die Lage inzwischen entspannt?

Ja, die Situation hat sich etwas entspannt. Unsere Inputkosten lassen sich über ein Jahr hinweg relativ gut einschätzen, da ein Grossteil auf Papier entfällt und wir langfristige Lieferverträge mit stabilen Preisanpassungen im niedrigen einstelligen Prozentbereich haben. Während Aluminium- und Polymerpreise schwanken, sichern wir 50 bis 80 Prozent unserer Rohstoffe durch Hedging ab, sodass nur ein kleiner Teil zu Spot-Preisen gekauft wird. Die Aluminiumpreise sind im ersten Halbjahr gestiegen, haben sich aber inzwischen wieder normalisiert. Insgesamt haben wir bis jetzt in diesem Jahr eine positive Entwicklung bei den Rohmaterialkosten gesehen, was im Vergleich zum Vorjahr von Vorteil ist.

Inwiefern beeinflusst der Schweizer Franken Ihr Geschäft?

Trotz unserer tiefen Verwurzelung seit 171 Jahren in der Schweiz spielt der Schweizer Franken für uns keine bedeutende Rolle. Wir haben unsere gesamte Wertschöpfung vor Ort und sind kein primärer Exporteur aus der Schweiz. 

Aseptische Kartonverpackungen sind ein zentraler Bestandteil Ihres Geschäfts. Können Sie erläutern, was dieses Segment auszeichnet und wie Sie sich von der Konkurrenz abgrenzen?

Aseptische Kartonverpackungen sind äusserst attraktiv, da sie in einem wachsenden Markt eingesetzt werden und hohe Eintrittsbarrieren bieten. Die Fähigkeit, Aseptik zu gewährleisten, ist anspruchsvoll und verschafft uns einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Denn unsere Anlagen sind integraler Bestandteil der Produktionsprozesse der Kunden. Ein Beispiel dafür ist die neue Anlage der Hochwald-Molkerei in Deutschland, wo unsere Maschinen das Herzstück der Produktion bilden. 

Wie funktioniert eine solche Maschine?

Wir schaffen in unseren Anlagen einen keimfreien Bereich, in dem das Produkt, beispielsweise Milch, nach dem UHT-Prozess steril eingefüllt wird. Der Karton wird ebenfalls sterilisiert und das Produkt unter sterilen Bedingungen versiegelt. Unsere Verpackungen bieten eine starke Barrierefunktion zum Schutz vor Licht, Sauerstoff und Fremdaromen, die das Produkt schützt und eine Haltbarkeit von bis zu zwölf Monaten ohne Kühlung und Konservierungsstoffe ermöglicht. Dieser Prozess ist komplex, und es gibt in diesem Bereich nur wenige global tätige Systemanbieter.  

Was hebt Sie von der Konkurrenz ab?

In unserem System wird der vorgefertigte Packungsmantel zuerst am Boden gefaltet und versiegelt, dann befüllt und anschliessend oben verschlossen. Im Vergleich mit anderen Systemen ermöglicht diese Technologie, auch stückhaltige oder dickflüssige Produkte abzufüllen. Sie erlaubt es den Kunden auch, die Kartongrösse innerhalb von Minuten zu wechseln, während bei anderen Systemen längere Anpassungen notwendig sind. Aus der Zuverlässigkeit, der Geschwindigkeit und der Flexibilität ergibt sich für die Kunden ein deutlicher Vorteil bei den Gesamtkosten des Verpackungssystems.

Getränkekarton stellen auch ein Entsorgungsproblem dar. Inwiefern spielt für Sie Nachhaltigkeit eine Rolle?

Nachhaltigkeit hat für uns seit langem sehr hohe Priorität und wir gehören in unserer Branche zu den Pionieren in diesem Bereich. Dabei spielen verschiedene Bereiche eine Rolle. Beispielsweise verwenden wir eine Aluminiumfolie, die sieben Mal dünner ist als ein menschliches Haar, um Sauerstoff-, Licht- und Aromabarrieren zu schaffen. Diese Folie kann durch einen Barrierefilm ersetzt werden, der die gleichen Schutzeigenschaften bietet, jedoch einen deutlich geringeren CO2-Fussabdruck aufweist. Der Getränkekarton hat bereits den niedrigsten CO2-Fussabdruck im Vergleich zu anderen Verpackungsformen, und wir können diesen durch die Elimination der Alufolie.nochmals um weitere um 30-40 Prozent reduzieren.

Wohin entwickelt sich die Technologie bei den Verpackungen?

Obwohl sich die äussere Form der Kartons für die Endverbraucher seit Jahren nicht wesentlich verändert hat, haben wir kontinuierlich bedeutende Fortschritte erzielt. Wir haben den Plastikanteil reduziert und die Dicke der Aluminiumfolie von 9 auf 6 Mikrometer verringert, was den CO2-Fussabdruck unserer Verpackungen weiter reduziert hat. Zukünftig planen wir, die Aluminiumfolie in unserem gesamten Portfolio durch alternative Materialien mit gleichen Barriereeigenschaften zu ersetzen, um den CO2-Fussabdruck weiter zu senken. Zudem wollen wir die Recyclingfähigkeit durch die Reduzierung von drei auf zwei Verbundmaterialien weiter erhöhen, und bis 2030 einen aseptischen Getränkekarton mit einem Papieranteil von mindestens 90 Prozent entwickeln, der im Papierrecylingstrom verwertet werden kann.

Wie sieht es bei der Wiederverwertung der Rohstoffe aus?

100 Prozent unserer Getränkekartons sind bereits für das Recycling konzipiert; jedoch möchten wir sicherstellen, dass sie auch tatsächlich recycelt werden. Die nachhaltige Entwicklung unserer Verpackungen basiert auf drei zentralen Faktoren: CO2-Fussabdruck, Recyclingfähigkeit und praktische Anwendbarkeit. In all diesen Bereichen haben wir bereits Fortschritte erzielt und werden weiterhin daran arbeiten, die Umweltauswirkungen zu minimieren und den Anforderungen unserer Kunden gerecht zu werden.

Am Schluss muss dies aber auch bezahlbar sein…

Ja, absolut. Unser Ziel ist es, unsere aluminiumfreien Alternativen zur Preisparität mit herkömmlichen Verpackungen zu bringen, damit sie überall verfügbar und bezahlbar sind. Nachhaltigkeit muss wirtschaftlich tragfähig sein. Unsere Innovation zielt darauf ab, sowohl die Verpackungen als auch die Maschinen effizienter und stabiler zu machen. 

Wie machen Sie die Maschinen effizienter?

Indem wir unsere Wettbewerbsvorteile, wie der sehr tiefe Ausschuss und die sehr hohe Geschwindigkeit, weiter verbessern. 

Sie wachsen vor allem in Asien. Glauben Sie, dass diese Dynamik weiter anhalten wird und Asien der führende Markt für Ihr Wachstum bleibt?

Unser Ziel ist es, stets schneller als der Markt zu wachsen. Dabei verzeichnen wir Wachstum in allen Regionen, einschliesslich Europa, obwohl der Markt dort insgesamt weniger dynamisch ist. In Europa gewinnen wir weiterhin Marktanteile, insbesondere in spezialisierten Kategorien wie Kuhmilch-Alternativen. Asien wird voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren der am schnellsten wachsende Markt bleiben, mit einem erwarteten Wachstum von 6 bis 7 Prozent. In Indien haben wir innerhalb von fünf bis sechs Jahren eine starke Marktposition erreicht und verzeichnen dort ein zweistelliges Wachstum. Der Mittlere Osten und Afrika könnten um 5,5 bis 6 Prozent und Nord- und Südamerika um 3 bis 4 Prozent wachsen. 

Planen Sie weiterhin Akquisitionen?

Unsere Wachstumsprognosen basieren rein auf organischem Wachstum von 4 bis 6 Prozent. Unsere jüngste Akquisition hat unsere Führungsposition gestärkt, indem wir das gesamte Spektrum für unsere Kunden abdecken können. Jetzt müssen wir dieses Potenzial ausschöpfen.

Auf Jahressicht hat die Aktie von SIG Group 17 Prozent verloren, seit Jahresbeginn steht das Minus bei knapp 2 Prozent. Wie zufrieden sind Sie mit der Kursentwicklung?

Seit dem Börsengang bei 11,25 Franken hat sich der Kurs für unsere Aktionäre stark gesteigert. Wir haben langfristige Investoren, hauptsächlich grosse Asset-Manager und Pensionskassen, die einen entsprechenden Anlagehorizont haben. 

Aber die jüngste Entwicklung kann Sie nicht zufrieden stimmen…

Die Entwicklung des neu akquirierten Geschäfts hat die Investoren etwas verunsichert. Doch unser bisheriges Kerngeschäft wächst nach wie vor überdurchschnittlich, und die Profitabilität in diesem Geschäft ist seit der Übernahme weiter gestiegen. Obwohl die Akquisition zu einer temporären Verwässerung führte, erwarten wir daraus langfristig positive Effekte.

Was bedeutet dies?

Unser Fokus liegt darauf, basierend auf unseren Kernkompetenzen und unserer einzigartigen Aseptiktechnologie mit unseren Kunden weiter zu wachsen. Dazu gehört, dass wir ihnen neue Verpackungssubstrate für verschiedene Verwendungszwecke anbieten und ihnen auch helfen, ihre geografische Reichweite zu erhöhen und neue Märkte zu erschliessen. 

Von 2018 bis 2023 hat SIG Group jährlich durchschnittlich 0,42 Franken pro Namenaktie ausgeschüttet. Analysten erwarten für das laufende Jahr eine Dividende von 0,48 Franken. Ist diese Annahme mit Ihrer angestrebten Ausschüttungsquote von 50 bis 60 Prozent realistisch?

Unser Geschäftsmodell generiert einen stabilen Cashflow, was es uns ermöglicht, sowohl Wachstum zu liefern als auch attraktive Dividenden auszuschütten. Unsere Dividendenpolitik sieht eine Ausschüttung von 50-60 Prozent des bereinigten Nettoeinkommens und eine jährlich steigende Dividende vor.  

Samuel Sigrist ist Schweizer Staatsbürger und war seit 2017 als Finanzchef und Chairman des Middle East Joint Ventures tätig. Mit Wirkung zum 1. Januar 2021 wurde er CEO des SIG-Konzerns. Samuel Sigrist trat 2005 in das Unternehmen ein und war in verschiedenen Funktionen im Bereich Finanzen und Unternehmensentwicklung tätig, unter anderem als Director of Group Controlling & Reporting, Head of Finance/CFO of Europe und Head of Group Projects. Von 2013 bis 2017 war er President & General Manager Europe und arbeitete zuvor als Berater. Sigrist hat einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, einen MBA von der Universität Toronto und einen Global Executive MBA von der Universität St. Gallen. Zudem ist er eidgenössisch diplomierter Wirtschaftsprüfer.

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