In der Schweiz liegt der Fokus im Pharmabereich entweder auf Roche oder Novartis. Aktuell hat das Pendel in Richtung Novartis umgeschlagen. Dies zeigt sich in der Kursbilanz seit Jahresbeginn: Während die Novartis-Aktien 3 Prozent höher stehen, haben die Roche-Genussscheine 18 Prozent verloren. Vom Allzeithoch bei über 400 Franken im April 2022 sackten die "Bons" von Roche bis März dieses Jahres sogar kurz auf 256 Franken ab - ein Niveau, das der Titel zuletzt im April 2019 erreicht hatte.

"Über Jahre hat Roche immer gute klinische Studien publiziert und dann lief man 2022 in eine Vollbremsung hinein", erklärt Vontobel-Analyst Stefan Schneider gegenüber cash.ch den Absturz. Dass in den letzten Monaten dank den Erfolgen bei der Künstlichen Intelligenz vor allem bei den Tech-Aktien wieder ein Momentum bestand, sei für beide defensiven Titeln gleichermassen ein Nachteil.

Drei von drei Schlüsselstudien liefen letztes Jahr bei Roche schief: Gantenerumab für Alzheimer, Tiragolumab als Krebs-Therapeutikum und Giredestrant für Brustkrebs. "Hätte Tiragolumab in der Kombination mit dem bestehenden Tecentriq funktioniert, hätte man sich mit besseren Ergebnissen wieder vor Merck und Bristol Myers Squibb stellen können. Es wäre wie das Alzheimer-Medikament ein grosses Produkt geworden", fügt Schneider an.

Studien entscheidend

Es ist eine goldene Regel bei Pharmatiteln: Wenn Studien erfolgreich sind, geht der Kurs hoch. Wenn nichts funktioniert, leiden das Momentum und die Anlagerendite. So hat sich im Gegensatz zu Roche die Konkurrentin Novartis in die richtige Richtung bewegt. Das neue Organisationsmodell, eine Verbesserung der Marge und die angekündigte Ausgliederung von Sandoz wurden an der Börse positiv aufgenommen. Vor allem aber hat die positive Natalee-Studie mit dem Krebsmedikament Kisqali im frühen Brustkrebs gut funktioniert und den Aktienkurs befeuert.

Anlegerinnen und Anleger fragen sich nun, ob sich ein Kauf bei Roche auf dem gegenwärtigen Kursniveau auszahlen könnte. Kurzfristig ist die Antwort wohl eher nein. "Die rapportierten Zahlen zum Geschäftsverlauf sind dieses Jahr optisch nicht sehr attraktiv", sagt Schneider und bezieht sich dabei auf den angekündigten Umsatzrückgang von 5 Milliarden Franken. Es findet der Wash-out der Pandemieumsätze statt, die "verständlicherweise" nicht aufrechterhalten werden können, denn es werden zurzeit ja kaum noch Covid-Test mehr gebraucht. 

Als Konsequenz werden bei den Quartalszahlen die Medienberichte wohl im Grundtenor negativ sein, obwohl die Erwartungen wahrscheinlich erfüllt werden und der Rückgang beim Umsatz schon angekündigt wurde. Dieses negative Sentiment besteht, obwohl im Grundgeschäft ein gutes Wachstum besteht. 

Vor den Quartalszahlen bei Roche - oder Novartis - auf grosse Kursbewegungen zu setzen, lohnt sich wegen der meist guten Guidance zudem nicht. Die defensiven Geschäftsmodelle zeichnen sich dadurch aus, dass sie eher weniger für Überraschungen bei den Quartalsergebnissen führen.

Neben den Studienrückschlägen und dem Einbruch bei den Coronatestumsätzen in der Diagnostik-Sparte muss Roche grosse personelle Rochaden an der Spitze und die Konkurrenz durch Nachahmerprodukte bei wichtigen Umsatzträgern - den Krebsmedikamenten Avastin, Herceptin und Mabthera - verkraften. Doch Roche hatte in seiner langen Erfolgsgeschichte immer wieder solche Übergangsphasen. Und die Dividendenrendite ist mit 3,6 Prozent so gut wie schon lange nicht mehr. 

Kurzfristig Novartis, langfristig Roche

"Roche ist zu günstig, aber es braucht positive News, damit der Titel wieder höher geht", fügt Schneider an. Immerhin gibt es zwei bedeutende klinische Studien, die im zweiten Halbjahr veröffentlicht werden. Dazu gehören die Gesamtüberlebensrate für das Krebs-Therapeutikum Tiragolumab und eine Studie zu einer einlizensierten Gentherapie. Beides sind potenziell Katalysatoren, von denen Roche an der Börse profitieren könnte.

Kurzfristig dürfte Novartis daher noch gegenüber der Konkurrentin Oberwasser haben. Auf längere Frist sieht Vontobel bei Roche mehr Potenzial als bei Novartis.

Denn spätestens 2024 sehen dann auch die rapportierten Geschäftszahlen wieder positiv aus. Und auch die Pipeline von Roche scheint weiterhin stark. Die Bewertung der Roche-Genussscheine ist für Schneider zurzeit attraktiv.

Für langfristige Unsicherheit im Pharmasektor sorgen hingegen die Auswirkungen des "Inflation Reduction Act" ab 2026: Die US-Regierung wird die Befugnis haben, einen "fairen" Höchstpreis für jene Medikamente festzulegen, für die Medicare - die öffentliche und bundesstaatliche Krankenversicherung - das meiste Geld ausgibt. Ausserdem müssen Pharmaunternehmen Rabatte an Medicare zahlen, wenn ihre Preise schneller steigen als die Inflation.

Selbst konservative Schätzungen gehen davon aus, dass die Massnahmen die Pharmaunternehmen 2 Prozent der Umsätze kosten werden. Andere gehen von Einbussen bis zu 5 Prozent aus. 

Trotzdem: Jetzt, da der Kurs zurückgekommen ist, die Stimmung für den Titel sich eingetrübt hat und sich die Perspektiven nicht grundsätzlich verschlechterten, bleibt Roche für Anlegerinnen und Anleger mit einem langen Atem ein Kauf. Denn kein anderes Pharmaunternehmen lässt sich seine Forschung und Entwicklung (F&E) so viel kosten wie Roche. Zukünftige Erfolge bei Studien sind so zwar nicht garantiert, aber zumindest wahrscheinlicher als anderswo.

ManuelBoeck
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