Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) haben am Sonntagabend im ersten TV-Duell vor der Bundestagswahl Meinungsunterschiede in zentralen Politikfeldern wie der Steuer-, Wirtschafts- und Migrationspolitik deutlich gemacht. Die von wenigen Ausnahmen sachlich geführte Debatte in ARD und ZDF endete mit einem Handschlag, den Scholz Merz anbot. Beide zeigten sich am Ende überzeugt, dass ihre Parteien bei der Wahl siegen würde. Merz betonte, dass er auch keine Probleme für Koalitionsverhandlungen mit den Grünen oder der SPD erwarte. Aktuell liegt die Union in Umfragen deutlich vorn.

Das ZDF berichtete kurz nach der Sendung unter Berufung auf Ergebnisse der Forschungsgruppe Wahlen, Scholz habe das Duell einer Blitz-Umfrage zufolge knapp gewonnen. Auf die Frage, wer sich besser geschlagen habe, hätten 37 Prozent der Befragten den Kanzler genannt und 34 Prozent Merz. 29 Prozent seien unentschieden gewesen.

Die 90-minütige Diskussion war mit Spannung erwartet worden, weil Scholz und Merz in den vergangenen Wochen mehrfach heftig in Debatten aneinandergeraten waren. Scholz warf Merz auch im TV-Duell vor, dass man dessen Zusage nicht mehr trauen könne, keine Politik zusammen mit der rechtspopulistischen AfD zu machen. Seit der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD bei Migrationsthemen im Bundestag sei das Vertrauen weg. «Das ist ein Wort- und Tabubruch. Deshalb kann ich mir leider nicht mehr sicher sein», sagte Scholz. Merz widersprach vehement. «Es wird diese Zusammenarbeit (mit der AfD) nicht geben.» Die Union und die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingeschätzte AfD trennten «Welten».

Streit über Migrationspolitik

In der Migrationspolitik warfen sich Scholz und Merz vor, die Realität falsch wahrzunehmen. Scholz pochte darauf, dass seine Regierung so weitreichende Massnahmen zu Begrenzungen der irregulären Migration erreicht habe wie keine Unions-geführte Regierung zuvor. «Warum soll man so doof sein?», fragte er zudem mit Blick auf den von der Union geforderten nationalen Alleingang bei der Schliessung der Grenzen für alle Flüchtlinge. Dies setze in der EU aufs Spiel, was Deutschland mit der europäischen Asylreform gerade erreicht habe - und dies für eine Politik, die ohnehin wieder vom Europäischen Gerichtshof und von den Verwaltungsgerichten kassiert werde.

Merz sagte, Scholz unterschlage, dass die Zurückweisung auch von Asylbewerbern laut Grundgesetz möglich sei. Er bekomme für seine Politik im übrigen sehr viel Zustimmung. Es habe «Hunderte neue Eintritte» in die CDU gegeben. Auch SPD und Grüne hatten von massenhaften Eintritten in ihre Parteien berichtet.

Streit um Wirtschafts- und Steuerpolitik

Die Debatte kreiste auch um die unterschiedlichen Konzepte in der Wirtschafts- und Steuerpolitik. Scholz warf Merz vor, vor allem Besserverdienenden entlasten zu wollen. Er plädierte für eine Reform der Schuldenbremse, weil anders die hohen Ausgaben für Investitionen und Verteidigung in den kommenden Jahren nicht zu leisten seien. Sollte der Verteidigungsetat wirklich deutlich über zwei Prozent angehoben werden, sei dies nur über den Weg der Steuererhöhungen wie in anderen europäischen Nachbarstaaten möglich. Er warf der Union vor, den Bürger nicht die Wahrheit über den Finanzbedarf sagen zu wollen.

Merz betonte dagegen, dass die SPD den klassischen Weg über höhere Schulden und Steuern gehen wolle, um Aufgaben zu bewältigen. Allein durch die Reform des Bürgergelds liessen sich sechs Milliarden Euro im Haushalt einsparen, wenn man nur 400.000 Menschen aus dem Bezug in die Arbeit bekomme.

Beide warfen sich vor, die falschen Anreize für Unternehmen zu setzen: Merz verteidigte die Unions-Forderung, alle Unternehmenssteuern auf durchschnittlich 25 Prozent zu senken. Scholz plädierte dafür für eine «Made-in-Germany»-Steuerprämie, die alle Investitionen in Deutschland fordern soll. Der Kanzler lehnte den Union-Plan einer Trennung von Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn ab.

In der Debatte um die Erhöhung des Mindestlohns warf Merz Scholz Wortbruch vor. Dieser habe versprochen, dass die Politik nur einmal in die Festsetzung des Mindestlohns eingreifen werden, fordere nun aber eine Erhöhung auf 15 Euro pro Stunde. Scholz sagt, wenn sich die Mindestlohnkommission einvernehmlich auf eine Erhöhung einige, werde er sich daran halten.

In der Aussenpolitik zeigten sich Übereinstimmungen. Beide plädierten für eine entschlossene europäische Antwort, sollte US-Präsident Donald Trump die EU mit Strafzöllen überziehen wollen. «Wir können in einer Stunde handeln», sagte der Kanzler. Beide bekannten sich zu einer anhaltenden Unterstützung für die Ukraine und betonten, dass eine Nato-Mitgliedschaft des Landes derzeit nicht auf der Agenda stehe.

Auftakt zu einer Serie von Diskussionen

In den kommenden Tagen bis zur Bundestagswahl am 23. Februar wird es noch mehrere TV-Termine geben, in denen Scholz und Merz aufeinandertreffen. Kommenden Sonntag etwa gibt es eine Debatte bei RTL zwischen Scholz, Merz sowie den Kanzlerkandidaten von Grünen (Robert Habeck) und AfD (Alice Weidel).

Debattiert wurde am Sonntag auch über mögliche Koalitionen. FDP-Chef Christian Lindner kündigte auf einem Parteitag an, dass seine Partei keine Koalition mit den Grünen eingehen werde. Linke-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek sagte in der ARD auf die Frage zu einer Zusammenarbeit mit SPD, dies sei Kaffeesatzleserei. Eine Kooperation mit der Union sehe sie aber nicht, zumal diese einen «Unvereinbarkeitsbeschluss» für Koalitionen mit AfD und Linken hat. Hintergrund ist, dass die Linken in allen Umfragen derzeit über der Fünfprozenthürde stehen und damit in den Bundestag einziehen würden. 

(Reuters)