«Der Bundeskanzler verurteilte den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und forderte Präsident Putin auf, diesen zu beenden und Truppen zurückzuziehen», teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit. Scholz habe auf Verhandlungen mit der Ukraine mit dem Ziel eines gerechten Friedens gedrängt. Es gebe eine unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich alarmiert. Mit dem Telefonat öffne der Kanzler eine Büchse der Pandora. Bemühungen, Putin international zu isolieren, würden untergraben. «Jetzt könnte es weitere Gespräche, weitere Anrufe geben. Einfach viele Worte. Und genau das hat Putin schon lange gewollt: Es ist für ihn äusserst wichtig, sich aus seiner Isolation zu lösen», sagte Selenskyj in seiner regelmässigen abendlichen Ansprache. Er erklärte, ein neues Minsker Abkommen werde es nicht geben. Das 2015 mit deutscher Vermittlung zustande gekommene Abkommen sollte den damals auf den Osten der Ukraine beschränkten Krieg zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischer Armee beenden. Die Kämpfe wurden jedoch fortgesetzt.
Der Kreml teilte seinerseits mit, Putin habe erklärt, dass der Krieg beendet werden könne, wenn Kiew auf eine Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis Nato verzichte und vier Regionen vollständig aufgebe, die Russland für sich beansprucht. Die Ukraine hat diese Bedingungen stets als gleichbedeutend mit einer Kapitulation zurückgewiesen. Putin habe dem Kanzler erneut Energiegeschäfte mit seinem Land angeboten. Dabei ging es um die Nutzung der teils zerstörten und teils stillgelegten Nord Stream-Gaspipeline durch die Ostsee. Scholz ging auf den Vorschlag nicht ein. In der Erklärung der russischen Regierung heisst es weiter, dass es tiefe Differenzen gegeben habe, aber das Telefonat an sich ein positives Signal sei.
Scholz stimmt sich mit Kiew ab
Der Bundeskanzler hatte im Vorfeld mit Selenskyj telefoniert und werde dies auch im Nachgang zu dem Gespräch mit Putin erneut tun, hiess es. Um den Eindruck eines diplomatischen Alleingangs zu vermeiden, hiess es in Regierungskreisen in Berlin, dass Scholz auch andere Alliierte in EU und Nato unterrichten werde. Das Telefonat sei eng im G7-Kreis und mit den Partnern USA, Frankreich und Grossbritannien abgesprochen gewesen. Der Kontakt zwischen Scholz und Putin sei auch mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt, hiess es im deutschen Aussenministerium. Es sei deutsche Position, dass man nicht über die Köpfe der Ukraine verhandeln dürfe.
Der Kanzler hatte vor wenigen Tagen angekündigt, dass ein Gespräch «demnächst» stattfinden könnte. Der SPD-Politiker hatte auch mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump gesprochen, von dem eine Änderung der amerikanischen Ukraine-Politik erwartet wird. Die Ukraine-Politik wird im aufkommenden Bundestags-Wahlkampf eine grosse Rolle spielen. Auch auf dem G20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Rio de Janeiro ab Montag wird das Thema Ukraine angesprochen. Russland wird dort aber durch Aussenminister Sergej Lawrow vertreten werden.
Das Gespräch zwischen dem Kanzler und Putin dauerte nach Reuters-Informationen eine Stunde. Der Bundeskanzler habe insbesondere die russischen Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur kritisiert, hiess es in Regierungskreisen. Er habe klar gemacht, dass mit der Entsendung nordkoreanischer Soldaten für Kampfeinsätze eine gravierende Eskalation verbunden sei. Scholz habe Putin darauf hingewiesen, dass dieser keines der russischen Kriegsziele erreicht habe. Russland sollte deshalb bereit zu ernsthaften Verhandlungen sein. Scholz habe Putin gewarnt, dass die deutsche und westliche Hilfe langfristig sei und Putin nicht damit rechnen könne, dass die Zeit auf seiner Seite stehe.
Putin lockt mit Energie
Putin sprach in dem Telefonat nach Angaben des Kreml von einer beispiellosen Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Verantwortlich dafür sei Deutschland. Der Präsident habe betont, dass Russland seine Verpflichtungen im Energiesektor immer strikt erfüllt hat und zu einer für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit bereit gewesen sei. Dies könne auch wieder der Fall werden.
Die Bundesregierung hat früher wiederholt darauf verwiesen, dass es nach dem russischen Überfall zunächst keine EU-Gassanktionen gegen Russland gegeben habe. Russland selbst habe die Lieferungen eingestellt. Die Bundesregierung hat innerhalb eines halben Jahres den Import russischen Gases fast völlig durch andere Quellen ersetzt.
Russland hatte die Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen, seither sind mehrere hunderttausend Menschen bei den Kämpfen und den russischen Luftangriffen auch auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine gestorben. Deutschland ist nach den USA der grösste Unterstützer der Regierung in Kiew.
(Reuters)