Das Ergebnis der Bundestagswahl hat nur eine realistische Koalitionsoption ergeben: CDU/CSU und SPD könnten zusammen eine Regierung bilden und hätten mit 328 Sitzen eine knappe Mehrheit im Bundestag. Folgende Szenarien sind denkbar:
Szenario 1: Schnelle Regierungsbildung
CDU-Chef Friedrich Merz machte als Wahlsieger seinen Wunsch schon am Sonntagabend klar: Er will eine Regierungsbildung bis Ostern und verweist auf internationale Krisen. CDU-Vizechefin Karin Prien deutete schon am Montagmorgen an, dass es bereits deutliche Signale aus der SPD gebe, dass man eine Regierung bilden wolle.
Voraussetzung dafür wären nach Einschätzung aus beiden Lagern zwei Entwicklungen: Die CDU - und vor allem die CSU mit ihrer Blockademacht - müssen der SPD ein Angebot machen, wo sie überall von ihren Forderungen einer Wende in der Migrations-, Wirtschafts- und Sozialpolitik abrücken wollen. Denn ab jetzt zählen keine Prozentzahlen mehr - die Union ist von der Zustimmung der SPD abhängig.
In der Wirtschaftspolitik gilt eine Einigung als unproblematisch, weil sich die Union vor allem an Wirtschaftsminister Robert Habeck und den Grünen abgearbeitet hatte. CDU-Ministerpräsidenten wie Michael Kretschmer hatten zudem schon klargemacht, dass sie an der Bundesförderung von Grossprojekten wie der Chipindustrie festhalten wollen. Beim Bürgergeld hat auch die SPD Reformbereitschaft signalisiert, ist aber überzeugt, dass sich die Union zu grosse Hoffnungen auf mögliche Einsparungen macht. Auch die Aussenpolitik gilt nicht als Stolperstein.
Problematisch könnte es vor allem bei den Themen Migration und Finanzen werden. Zwar rückte Merz schon vor der Wahl von zentralen Punkten ab: Er will nicht mehr den ganzen Grenzverlauf überwachen und auch nur noch gefährliche Personen in Abschiebegewahrsam nehmen. Aber die Union hält an der Zurückweisung aller Flüchtlinge fest. Die SPD sieht darin einen Verstoss gegen Grundgesetz und EU-Recht.
Bei den Finanzen wirft die SPD der Union nicht nur ungedeckte Schecks bei den Wahlversprechen vor. Fast noch wichtiger ist die Frage, wie der riesige Finanzierungsbedarf bei Investitionen und Verteidigung gedeckt werden soll. Die SPD pocht auf eine Reform der Schuldenbremse oder neue Sondervermögen für beide Bereiche. Die Union lehnte dies bisher ab: Wegen der nötigen Zweidrittelmehrheit müsste man im neuen Bundestag die Zustimmung entweder der Linkspartei oder der AfD bekommen.
Szenario 2: Langsame Regierungsbildung
Verhaken sich Union und SPD etwa an solchen Themen, könnte die Regierungsbildung länger dauern. Dafür würde auch sprechen, dass die SPD Merz zeigen will, wie abhängig er von den Sozialdemokraten ist - Wahlergebnis hin oder her. Intern verweist die SPD zudem darauf, dass sie am Ende auch die Zustimmung der Basis einholen muss. Dort ist die Skepsis gerade gegenüber Merz wegen der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD sehr gross.
Während die Union eher einen schlanken, schnellen Koalitionsvertrag will, könnte die SPD darauf pochen, die gemeinsame Arbeit minutiös festzuschreiben. Denn Merz hat betont, dass er seine Richtlinienkompetenz als Kanzler einsetzen wolle. Ein Koalitionspartner muss also Sorge haben, dass mangelnde Festlegung im Koalitionsvertrag dazu führt, dass ein Kanzler Merz dann selbst entscheiden könnte.
Zudem sind die Verhandlungen wie kommunizierende Röhren: Macht die Union zu grosse Zugeständnisse an die SPD, wird Merz dafür Ärger in den eigenen Reihen bekommen. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, pocht gerade mit Blick auf die AfD darauf, dass ein echter Politikwechsel sichtbar werden müsse. Ein anderer führender CDU-Politiker warnt: «Sonst ist das Regieren sinnlos.»
Szenario 3: SPD will nicht in die Regierung
Auch wenn es niemand öffentlich sagt: Es gibt in der SPD Stimmen, dass die Sozialdemokraten nicht in eine Regierung eintreten, sondern sich lieber in der Opposition regenerieren sollten. Am ehesten sind diese Stimmen bei den Jusos zu finden, die eine Koalition vor allem mit Merz kritisch sehen. Die nötige Zustimmung der SPD-Basis ist zudem ein Risiko für die Parteiführung, selbst wenn sie einen Koalitionsvertrag ausgehandelt haben sollte. «Nein, das kann ich mir nicht vorstellen», sagte der CDU-Politiker Frei auf die Frage, ob sich die SPD am Ende verweigern könnte. «Die SPD ist eine alte Partei, die in der Vergangenheit grosse Verantwortung für unser Land schon übernommen hat.» SPD-Granden betonen dagegen, dass es keinen Automatismus gebe.
Die Folgen eines Scheiterns wären vielfältig: Zum einen wäre Olaf Scholz noch länger amtierender Kanzler. Er ist nach den Regeln im Amt, bis ein neuer Kanzler vereidigt wird. Zum anderen stünde Merz nach quälenden und am Ende gescheiterten Koalitionsverhandlungen vor der Frage, ob er nicht doch mit der AfD koalieren sollte, was er strikt ablehnt.
Eine Minderheitsregierung hatte Merz vor der Wahl ausgeschlossen. Denn die Gefahr wäre gross, dass er mit den Stimmen der AfD zum Kanzler gewählt werden könnte. Dies wäre allerdings auch der Fall, wenn die SPD einen Kandidaten aufstellen würde, um mit Grünen und Linken eine Minderheitsregierung zu bilden. Deshalb schliessen beide Lager diesen Weg kategorisch aus.
Die einzige Alternative wären Neuwahlen. Diese bergen aus Sicht von Union und SPD das Risiko, dass die AfD noch stärker werden könnte. Ein möglicher Vorteil für die SPD: Sie würde mit einem frischen Kandidaten antreten - etwa mit Co-Parteichef Lars Klingbeil oder Verteidigungsminister Boris Pistorius.
(Reuters)