Rund zwei Jahre nach dem Rückzug aus dieser Region hätten russische Truppen am Freitagmorgen die ukrainische Grenzstadt Wowtschansk angegriffen, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Die örtlichen Behörden halfen nach eigenen Angaben Zivilisten, die unter schwerem Beschuss stehende Stadt zu verlassen.

Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von schweren Kämpfen. Der ukrainische Generalstab erklärte, Russland ziehe auch Truppen gegenüber den weiter nordwestlich gelegenen Regionen Sumy und Tschernihiw zusammen. Regierung und Militär in Moskau äusserten sich bis zum Abend nicht dazu. Neben fortwährenden Luftangriffen auf alle Teile der Ukraine hatte sich Russland am Boden bisher auf den Osten der Ukraine konzentriert.

Charkiw ist die Hauptstadt der gleichnamigen Region und war zuletzt 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrösste ukrainische Stadt nach Kiew. Unklar blieb zunächst, ob Russland eine erneute Offensive auf die Regionalhauptstadt plant. Nach Angaben eines hochrangigen ukrainischen Militärs stiessen die Russen rund einen Kilometer in Richtung Wowtschansk vor. Ihr Ziel sei es, eine zehn Kilometer tiefe Pufferzone einzurichten.

Die russischen Truppen waren bereits kurz nach dem Beginn ihrer Invasion im Februar 2022 in die Region Charkiw eingerückt, wurden aber später von ukrainischen Truppen zurückgedrängt. Seit März macht sich die Regierung in Kiew verstärkt Sorgen um Charkiw, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin zur Errichtung einer Pufferzone auf ukrainischem Boden aufrief. Ein ukrainischer Militärsprecher äusserte die Annahme, Russland wolle mit der Eröffnung der zusätzlichen Front ukrainische Kräfte binden.

«Gegen 05.00 Uhr morgens gab es einen Versuch des Feindes, unter dem Schutz gepanzerter Fahrzeuge unsere Verteidigungslinien zu durchbrechen», teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit. «Bisher sind diese Angriffe abgewehrt worden.» Kämpfe unterschiedlicher Intensität hätten noch am Abend angedauert. Nach Angaben des Gouverneurs der Region Charkiw, Oleh Synehubow, versuchten russische Truppen, die Grenze zu durchbrechen.

Sie hätten den Beschuss von Wowtschansk verstärkt, erklärte Synehubow auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Die ukrainischen Streitkräfte hätten «selbstbewusst ihre Stellungen gehalten und keinen einzigen Meter verloren». Russland habe nicht die Mittel, um auf die Stadt Charkiw vorzurücken. Die Zeitung «Ukrainska Prawda» berichtete hingegen unter Berufung auf einen ungenannten Militär, die Russen hätten vier ukrainische Dörfer an der Grenze eingenommen.

«Es ist durchaus möglich, dass die Russen sich auf einen grösseren Angriff auf Charkiw vorbereiten», sagte ein Sprecher von US-Präsident Joe Biden. Es sei auch möglich, dass Russland in den kommenden Wochen militärische Fortschritte mache. Man erwarte jedoch keinen grösseren Durchbruch russischer Truppen. Die USA arbeiteten eng mit der Ukraine zusammen und setzten ihre Militärhilfen fort.

(Reuters)