Patientenbefragungen liefern allerdings tatsächlich Hinweise darauf, dass die Medikamente nicht nur den Appetit auf Lebensmittel dämpfen, sondern womöglich auch den Durst auf alkoholische Getränke oder gar das Verlangen nach Tabak. Manche der Befragten gaben an, sie hätten nach der Einnahme der Mittel ihren Alkoholkonsum reduziert oder gar komplett eingestellt.
Die weltweit tätigen Bierbrauer Anheuser-Busch InBev und Carlsberg zeigen sich allerdings gelassen: InBev-Konzernchef Michel Doukeris etwa zieht einen Vergleich zum abgeflauten Cannabis-Boom. Einige Marktbeobachter hatten befürchtet, dass dadurch verschiedene Sektoren in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. «Zwei Jahre später ist diese Diskussion vom Tisch», sagt er. Vielmehr liessen die Prognosen einen Anstieg des Bierkonsums erwarten. Zwar beobachte der weltgrösste Brauereikonzern die Forschungsergebnisse sorgfältig, doch sie seien diese noch zu begrenzt, um daraus Schlüsse zu ziehen.
Auch Carlsberg-Chef Jacob Aarup-Andersen sieht bislang keine wesentlichen Veränderungen wegen der Adipositas-Medikamente. Auch die Einzelhändler hätten keine Auswirkungen erwähnt. «Es ist noch zu früh und wir können uns irren, aber wir sehen die Sache gelassen», sagt er.
Die Bierbrauer haben nach Angaben der beiden Konzernlenker bedeutende Märkte, in denen Fettleibigkeit und damit die neuen Medikamente kein grosses Thema seien. Zudem hätten sie auch kalorien- und kohlenhydratarme Biere im Angebot. So habe eine Flasche Budweiser von InBev etwa 116 Kalorien, während eine Dose der alkoholfreien Version nur 46 Kalorien enthält.
Mehr Gegenwind als durch die Appetitzügler haben die Grossbrauereien aus Richtung der Regulierungsbehörden zu fürchten. Diese arbeiten in vielen Ländern daran, den Konsum mit höheren Steuern und Gesundheitswarnungen einzuschränken. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge verursacht Alkoholkonsum mehr als 200 Krankheiten und Gesundheitsprobleme.
Glas halb voll oder halb leer?
Medikamente wie die Abnehmspritze Wegovy des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk wurden ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt. Neben dem Blutzuckerspiegel beeinflussen sie die Hungersignale an das Gehirn und verlangsamen die Verdauungsgeschwindigkeit. Ein Mensch fühlt sich somit länger satt.
In einigen klinischen Studien mit Nagetieren stellten Forscher fest, dass die Behandlung mit diesen Mitteln unter anderem den Alkoholkonsum verringert und die Symptome des Alkoholentzugs lindert. Ähnliche Studien mit Menschen sind hingegen begrenzt und zielen hauptsächlich auf Personen mit Alkoholproblemen ab. Eine Untersuchung auf den allgemeinen Alkoholkonsum bei Menschen zeigte gemischte Ergebnisse, während eine Reihe weiterer Studien noch läuft.
Anders als die Bierbrauer zeigen sich einige Investoren über die möglichen Auswirkungen der neuen Schlankheitsmittel besorgt und fürchten, diese könnten den Gesamtkonsum verringern. «Man muss etwas trinken, aber man muss nicht unbedingt Bier trinken», sagt Moritz Kronenberger, Portfoliomanager bei der deutschen Union Investment. Er wünsche sich von den Brauereien eine proaktivere Kommunikation zu diesem Thema und mehr Daten. Portfoliomanager Tom O'Hara von Janus Henderson schlägt vor, dass die Brauereien ihre Beziehungen zu den grossen Einzelhändlern nutzen, um Zugang zu den Daten zu erhalten.
Regionales Ungleichgewicht
Weltweit gelten der WHO zufolge mehr als 650 Millionen Erwachsene als fettleibig, weitere 1,3 Milliarden werden als übergewichtig eingestuft. Derzeit arbeiten mehr als ein halbes Dutzend grosser und kleiner Arzneimittelhersteller an ähnlichen Produkten wie Wegovy. In den USA ist die Abnehmspritze von Novo Nordisk seit ihrer Markteinführung 2021 ein Verkaufsschlager. Das Unternehmen kommt angesichts der explodierenden Nachfrage kaum mit der Produktion hinterher. Die USA sind ein Riesenmarkt - 40 Prozent der Bevölkerung gelten dort als fettleibig.
Zwar hat Bierbrauer InBev ein grosses US-Geschäft, erzielt aber in der Region Mittelamerika mehr Umsatz. Auch in Ländern wie Brasilien hat der Konzern eine grosse Präsenz. Für Carlsberg ist Asien und dort vor allem China einer der grössten Märkte - in den USA verkauft die weltweite Nummer Drei hinter Anheuser und Heineken überhaupt kein Bier. In aufstrebenden Märkten wie Asien oder Zentralamerika ist die Fettleibigkeitsrate oft niedriger, während Medikamente zur Gewichtsreduzierung dort in nächster Zeit womöglich nicht verfügbar oder erschwinglich sein werden.
(Reuters)