Institutionelle Investoren dürften in den letzten zwei Wochen vor lauter Umschichten kaum noch gewusst haben, wo oben und unten ist. In den Wochen vor den US-Wahlen hiess es am Markt, bloss raus aus dem Tech-Bereich, rein in Value - schliesslich kommt die "blaue Welle" und demzufolge ein riesiges Hilfspaket.
Nach den Wahlen, bei der eine blaue Welle ausblieb, lautete die Devise wiederum: Vergesst Value, alles wieder rein in Tech. Und dann platze am Montag die Nachricht von positiven Studiendaten von Biontech und Pfizer zu einem Covid-19-Impfstoff in den Markt. Die Reaktion an der Börse: Tech und Growth schmierten ab, Value und Zykliker schossen in die Höhe - auch für Privatanleger keine einfache Zeit. Doch was gilt jetzt?
Für Philipp Bärtschi, CIO von J. Safra Sarasin, deutet sich in diesen Tagen durchaus eine "gewisse Rotation hin zu zyklischen Value-Titeln an", wie er gegenüber cash.ch sagt. "Wir sehen für das Jahr 2021 vor allem bei Industriewerten und teilweise auch bei Finanzwerten gute Voraussetzungen." Bei den grossen Technologiewerten ist Bärtschi für das nächste Jahr eher vorsichtig. Das gelte auch für die US-Big-Techs. Bei den Chip- und Halbleiter-Werten sieht er bessere Chancen für Kurssteigerungen. "Insgesamt sollte aber Value im nächsten Jahr Growth outperformen", sagt Bärtschi.
«Impfstoff und steigende Zinskurve sprechen für Value»
Auch Matthias Geissbühler, CIO von Raiffeisen Schweiz, sieht Value-Titel im nächsten Jahr gegenüber Growth-Aktien vorne. "Die Impfstoff-Resultate von Biontech und Pfizer waren doch überraschend positiv", sagt Geissbühler zu cash.ch. Dass der Impfstoff auf der sogenannten mRNA-Basis funktioniere, sei ein Game Changer und öffne viele Türen.
"Moderna forscht ja an einen Impfstoff, der ähnlich funktioniert. Das gibt dem Markt Hoffnung." Zudem spreche die derzeit steigende Zinskurve für Value. Das heisst, für länger laufende Anleihen werden höhere Zinsen bezahlt. "Bei steigenden Zinsen schlagen Value-Titel in der Regel die Wachstumswerte", sagt Geissbühler.
Aber ist die Freude über den Corona-Impfstoff nicht etwas verfrüht? Schliesslich dürfte es noch einige Zeit dauern, bis genug Impfstoff-Dosen verfügbar sind. Zudem befinden wir uns in einem Jahresschlussquartal, dessen Zahlen wegen vieler (Teil-)Lockdowns schlecht ausfallen dürfte. "Wie wir alle wissen, schaut der Markt in die Zukunft", sagt Geissbühler. Der Lockdown werde im vierten Quartal zwar nochmals zu erheblichen Rückschlagen führen, "aber das interessiert die Märkte jetzt schon nicht mehr".
«Der langfristige Trend spricht weiterhin für Technologie»
Christian Gattiker, Head of Research bei der Bank Julius Bär, geht bei der jüngst vielerorts ausgerufenen Aufholjagd der Value-Aktien und Zykliker gegenüber Growth-Titeln nicht mit. "Seit dem Corona-Ausbruch haben wir bereits fünf Mal eine solche Gegenbewegung am Markt gesehen." Dabei sei immer wieder fälschlicherweise angenommen worden, dass in der Corona-Krise das Schlimmste vorüber wäre, warnt Gattiker gegenüber cash.ch. Die jetzige Gegenbewegung sei aber stärker als sonst und biete kurzfristig durchaus noch Gelegenheiten.
Gattiker rät Schweizer Anlegern als Königsweg aus dem Dilemma, vermehrt auf die zweite Garde zu setzen, also den SMIM – dem Schweizer Index für Midcaps - oder den SPI ohne die Blue Chips. Hier seien mehr Zykliker am Werk als im SMI, zudem habe der Index im Vergleich langfristig deutlich besser abgeschnitten. "Ich denke hier vor allem an Titel wie Georg Fischer, Helvetia, Lindt & Sprüngli und Mobimo."
Die langfristigen Trends sprechen aber noch immer für den Technologie-Bereich in den USA und China: Daran solle man weiter festhalten, sagt Gattiker. Bis die grosse Trendwende vollzogen sei, dürfte es noch eine Weile dauern. "Es schadet aber nicht, ein paar Köder auszuwerfen, um die kurzfristige Gegenbewegung mitzumachen."
«Titel mit hohen Free Cashflows bevorzugen»
Remo Rosenau, Head of Research bei der Helvetischen Bank, rät Anlegern, sich nicht von kurzfristigen Stimmungsschwankungen am Markt verrückt machen zu lassen. "Natürlich profitieren all die abgestraften Titel jetzt kurzfristig von der Impfstoff-Nachricht. Aber das ist Tagesgeschäft", sagt Rosenau im Gespräch.
Er rät Anlegern, sich auf Aktien von Unternehmen zu konzentrieren, die schon über einen längeren Zeitraum bewiesen haben, "auch in schlechten Zeiten stabile Erträge und schnell wieder Wachstum generieren zu können". Dieser Rat galt schon vor der Covid-Krise, gelte immer noch und werde auch nach der Pandemie noch gelten, so Rosenau.
Solche Unternehmen zeichneten sich meist durch einen hohen Free Cashflow aus, welches weiteres Wachstum ermögliche, sagt Rosenau. "Gute Beispiele wären hier etwa Sika, Geberit, Straumann, Schindler, SGS, Givaudan, Ems Chemie, Interroll oder Belimo." Diese Titel hätten zwar allesamt eine hohe Bewertung. Doch hohe Kapitalrenditen, die auch in Krisenzeiten erwirtschaftet würden, ein stabiles Wachstum und hohe Preismacht würden diese rechtfertigen, sagt Rosenau.
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