Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte aus Sicht von Portugals Notenbankchef Mario Centeno die Zinsen eher früher als später senken. Dabei sollten die Währungshüter in kleinen Schritten vorgehen, sagte das EZB-Ratsmitglied in einem am Montag veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. «Wir können später und stärker oder früher und schrittweise reagieren», sagte er. «Ich befürworte vollkommen Szenarien des Gradualismus, denn wir müssen den Wirtschaftsakteuren Zeit geben, sich an unsere Entscheidungen anzupassen.» Am Finanzmarkt wird derzeit die Wahrscheinlichkeit für einen ersten Zinsschritt nach unten auf der Zinssitzung im April mit um die 80 Prozent taxiert. Für das geldpolitische Treffen im Juni gilt an der Börse eine Zinssenkung bereits als sichere Wette.

Die EZB hatte auf ihrer geldpolitischen Sitzung am Donnerstag, der ersten in diesem Jahr, wie schon im Oktober und im Dezember die Schlüsselsätze nicht verändert. Sie beliess den am Finanzmarkt massgeblichen Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Liquidität parken, bei 4,00 Prozent, den Leitzins bei 4,50 Prozent. Konkrete Hinweise auf den Zeitpunkt einer ersten Zinssenkung vermied Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde.

Es gebe «viele Anzeichen dafür, dass die Inflation nachhaltig sinkt» und sich dem mittelfristigen Ziel der EZB von 2,0 Prozent Teuerung nähere, sagte Centeno. Der Inflationsrückgang sei in letzter Zeit überraschend stark ausgefallen. Fast alle Schocks, die die Preise in die Höhe getrieben hätten, wie Energiekosten und Lieferengpässe, seien verschwunden. Der Notenbanker warnte davor, sich geldpolitisch bis zur letzten Minute bedeckt zu halten. Das sei eher typisch für Spiele als für die Geldpolitik. Centeno zufolge sind Abweichungen vom Inflationsziel von zwei Prozent nach unten hin genauso strafbar wie Abweichungen nach oben hin.

Manche Euro-Wächter hatten zuletzt vorgeschlagen, zunächst neue Lohndaten für das erste Quartal aus den Euro-Ländern abzuwarten, die der EZB voraussichtlich im Mai vorliegen werden, um zu prüfen, ob es zu Zweitrundeneffekten bei der Inflation kommt. Centeno hält dies aber für unnötig. Nach zwei Jahren genauer Beobachtung seien keine Anzeichen für derartige Effekte festgestellt worden, sagte er. Solche Zweitrundeneffekte können sich Volkswirten zufolge etwa dann einstellen, wenn die Löhne sehr kräftig steigen und damit die Inflation wieder befeuern. «Wir müssen nicht auf Lohndaten im Mai warten, um eine Vorstellung von der Inflationsentwicklung zu bekommen», sagte Centeno. 

(Reuters)