Die Weltwirtschaft steuert dank der nachlassenden Inflation mit unerwartetem Rückenwind auf das Jahresende zu — eine weiche Landung scheint nicht mehr unmöglich. Politische Hürden bleiben hingegen bestehen.

Wie es wirtschaftlich global weitergeht, hängt zum einen stark vom Ausgang der US-Wahlen ab. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Gefahrenquellen: steigende Staatsverschuldung, der eskalierende Konflikt im Nahen Osten, der Krieg zwischen Russland und der Ukraine und die Spannungen um Taiwan. Vor diesem schwierigen Hintergrund treffen sich diese Woche die Finanzminister und Notenbankchefs in Washington zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.

“Erwarten Sie keine Siegesfeiern“, sagte die geschäftsführende Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, am Donnerstag vorab zu den Sitzungen. “Meine Erwartung ist, dass die Menschen etwas ermutigt und etwas ängstlicher von hier weggehen werden — hoffentlich so ängstlich, dass es sie zum Handeln bewegt.“

Die Arbeitslosigkeit in den Industrienationen ist nach Angaben der OECD auf dem Stand von 2022, als die Zentralbanken damit begannen, die Zinsen so schnell wie seit Jahrzehnten nicht mehr anzuheben.

Laut Bloomberg Economics wird das globale BIP in diesem Jahr um 3 Prozent wachsen, was zwar unter dem Tempo von 3,3 Prozent im Jahr 2023 liegt, aber deutlich über den pessimistischen Prognosen vom Jahresanfang.

Die amerikanischen Verbraucher geben weiterhin Geld aus und die Unternehmen stellen fortlaufend ein. Und obwohl die Nachfrage in Europa nachlässt, dürfte die Wirtschaft weiter wachsen.

Zoll-Schockwellen bei Trump-Wahl

In China werden derweil zügig neue Konjunkturprogramme aufgelegt, um den Immobiliensektor zu stützen. Die Massnahmen mögen vielleicht manche Aktienhändler enttäuscht haben, aber sie dürften ausreichen, um die Wirtschaft näher an das diesjährige Wachstumsziel von etwa 5 Prozent zu bringen. Wie widerstandsfähig die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt tatsächlich sind, dürfte bald auf die Probe gestellt werden.

Während US-Vizepräsidentin Kamala Harris weitgehend die Gangart der Regierung von Präsident Joe Biden weiterführen dürfte, hat ihr Rivale Donald Trump wirtschaftspolitische Massnahmen skizziert, die Schockwellen im Welthandel auslösen würden.

Der Republikaner hat damit gedroht, Zölle von mindestens 10 Prozent auf alle importierten Waren und 60 Prozent — oder mehr — auf Waren aus China zu erheben. Dies würde “Chaos für die Wirtschaft“ bedeuten, so die gemeinsame Analyse von Wendy Edelberg von der Brookings Institution und Maurice Obstfeld vom Peterson Institute for International Economics.

Trump sieht das nicht so. “Je höher der Zoll, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Unternehmen in die Vereinigten Staaten kommt und eine Fabrik in den Vereinigten Staaten baut, damit es den Zoll nicht zahlen muss“, sagte der ehemalige Präsident in einem Interview am 15. Oktober im Economic Club of Chicago gegenüber John Micklethwait, dem Chefredakteur von Bloomberg News.

Wirtschaftliche Prognosen zeigen jedoch, dass die USA am meisten zu verlieren haben. Wenn China Vergeltungsmassnahmen gegen die von Trump vorgeschlagenen Zölle ergreift, könnte das US-BIP laut Bloomberg Economics bis zu den Wahlen im Jahr 2028 um 0,8 Prozent niedriger sein. Der Schaden für die chinesische Wirtschaft wäre etwa halb so gross und für die EU und Japan noch geringer.

Sanfte Landung in Europa?

Europa steht durch die chinesische Konkurrenz unter Druck, gleichzeitig lahmt die Nachfrage auf dem heimischen Markt. Die Investitionen haben sich nach der Pandemie nie vollständig erholt und sind seit Ende letzten Jahres zurückgegangen. Und auch private Ausgaben gewinnen trotz starker Lohnerhöhungen, nachlassendem Inflationsdruck und einem bislang soliden Arbeitsmarkt nicht wirklich an Fahrt.

Am Donnerstag senkte die EZB zum dritten Mal seit Juni die Zinssätze, deutete an, dass die Inflation früher als bisher angenommen wieder auf das Ziel von 2 Prozent zurückkehren werde, und zeigte sich zuversichtlich, dass eine Rezession vermieden werden könne.

“Wir streben nach wie vor eine sanfte Landung an”, sagte Präsidentin Christine Lagarde nach der Entscheidung und fügte hinzu, dass ein neuer Handelskrieg ein solches Ergebnis gefährden würde.

“Jede Einschränkung, jede Unsicherheit, jedes Handelshemmnis, ist für eine Wirtschaft wie die europäische, die sehr offen ist, von Bedeutung“, sagte sie.

Kriege und Schulden

Das Gespenst eines Handelskrieges lauert, während gleichzeitig echte Kämpfe in der Ukraine und im Nahen Osten toben.

Ein ausgewachsener Krieg im Nahen Osten hätte Folgen, die weit über die Region hinausgehen. Bloomberg Economics schätzt, dass ein Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel und eine Risikoscheu an den Finanzmärkten das globale Wachstum in den nächsten vier Quartalen um einen halben Prozentpunkt senken und die Inflation um 0,6 Punkte ansteigen lassen würden.

Schulden sind ein weiteres Risiko. Wenn es zu einer erneuten Abschwächung kommt, werden Regierungen weniger Möglichkeiten haben, darauf zu reagieren. Der IWF hat errechnet, dass die globale Staatsverschuldung bis Ende dieses Jahres 100 Billionen Dollar oder 93 Prozent des globalen BIP erreichen wird. Er warnt, dass Regierungen schwierige Entscheidungen  treffen müssen, um die Kreditaufnahme zu stabilisieren.

Das US-Finanzministerium berichtete am Freitag vor einer Woche, dass die Zinslast für die Schulden Washingtons auf ein 28-Jahres-Hoch gestiegen ist, was auf eine Kombination aus massiven Haushaltsdefiziten und höheren Zinssätzen zurückzuführen ist.

Suboptimale Entscheidungen

“Ich bin sehr besorgt über den fehlenden finanzpolitischen Spielraum und auch darüber, ob Sorgen über die Inflation zu suboptimalen Entscheidungen über die finanzpolitische Reaktion auf einen grossen Schock führen könnten“, sagte Karen Dynan, Professorin an der Harvard Kennedy School und ehemalige Fed- Ökonomin. “Die Geldpolitik wird vor schwierigen Abwägungen stehen.“

Deshalb rangieren sowohl die Geopolitik als auch die Verschuldung ganz oben auf der Tagesordnung der in Washington versammelten politischen Entscheidungsträger.

“Wie kann man in einer Welt, die auseinanderfällt, eine sanfte Landung hinlegen? Ich glaube nicht, dass die USA oder irgendeine andere Volkswirtschaft in der aktuellen Situation eine sanfte Landung hinlegen kann“, sagte Peter Praet, ehemaliger Chefökonom der EZB. “Es wird Schocks geben.“

(Bloomberg)