Jeder Hype erfährt früher oder später mal eine Korrektur. Anlegerinnen und Anleger von Wasserstoff-Aktien bekamen zuletzt zu spüren, was es heisst, in eine Boom-Industrie zu investieren. Der Branchen-Index "Solactive E-Mobilität Wasserstoff Index" büsste im Februar innert weniger Wochen um über 25 Prozent ein. In den zwölf Monaten zuvor hatte der Index um bis zu 400 Prozent zugelegt. Ein Blick auf einzelne Werte zeigt, welch starke Nerven Anleger in diesem Segment brauchen.
So hat die Aktie des US-Brennstoffzellen-Herstellers Plug Power seit Anfang 2020 eine Kursperformance von sage und schreibe 2000 Prozent hingelegt – und brach im Februar um bis 40 Prozent ein. Doch jetzt scheint der Abverkauf der Wasserstoff-Titel einen Boden gefunden zu haben. In den letzten beiden Handelstagen geht es sogar wieder deutlich aufwärts. Durch die massiven Kursrücksetzer hat sich in diesen Tagen und Wochen ein seltenes "Window of opportunity" geöffnet – insbesondere für jene Anleger, die die Rally im letzten Jahr verpasst haben.
Entwicklung des Solactive E-Mobilität Wasserstoff Index seit Juli 2019, Quelle: Solactive
Wasserstoff-Industrie: Marktvolumen von einer Billion Dollar?
Die Zukunftsträchtigkeit der Branche ist kaum bestritten – Hype hin oder her. Schliesslich treibt weltweit die Politik die Energiewende voran. Fossile Energieträger wie Erdöl oder Kohle werden auf absehbare Zeit abgelöst. Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral sein, ebenso die USA, wie US-Präsident Joe Biden jüngst ankündigte. Um das zu erreichen, wird es die Wasserstoff-Industrie brauchen. Die britische Grossbank HSBC rechnet mit einem Marktvolumen von fast einer Billionen Dollar im Jahr 2050. Zu einem ähnlichen Schluss kam bereits im letzten Jahr Barclays.
Die Wasserstoff-Branche ist ein weites Feld mit vielen Untersegmenten. Die Spanne reicht – in groben Zügen umschrieben – von den Wasserstoff-Erzeugern über Transporteure bis hin zu Brennstoff-Herstellern. Insbesondere Aktien von Unternehmen, die der ersten und letzten Gruppe angehören, haben im letzten Jahr fulminante Kursanstiege verzeichnen können.
Unter den Wasserstoff-Erzeugern stach zuletzt vor allem die norwegische Nel ASA heraus. Anders als viele andere Player im Geschäft hat das Unternehmen eine lange Tradition im Wasserstoff-Geschäft und gilt als Spezialist für die Herstellung, Speicherung und Verteilung von Wasserstoff. Die Aktie geriet im Februar ebenfalls in den Strudel des allgemeinen Abverkaufs, dürfte jetzt aber vor einer Aufwärtsphase stehen.
Wasserstoff-Überraschung Thyssenkrupp
Ein Name, den man in diesem Bereich zuletzt nicht unbedingt auf dem Zettel hatte, ist Thyssenkrupp. Das deutsche Stahl-Urgestein erlebt in den letzten Monaten ein beachtliches Comeback an der Börse. Nach jahrelanger Talfahrt konnte die Aktie seit Oktober 2020 um fast 200 Prozent zulegen. Ein Grund dürfte die Ankündigung von CEO Martina Merz sein, dass die Firma gross in das Wasserstoff-Geschäft einsteigen will.
Entwicklung der Thyssenkrupp-Aktie in den letzten drei Jahren, Quelle: cash.ch.
Man verfüge "über die einzige schon grosstechnisch realisierte Technologie, um Wasser unter Einsatz von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen", sagte Merz Anfang Februar. Sollte Thyssenkrupp im Wasserstoff-Geschäft Fuss fassen, hat die Aktie trotz des zuletzt guten Laufs noch viel Potenzial nach oben.
Andere interessante Titel in diesem Segment sind die britische ITM Power oder die französische McPhy Energy. ITM stellt Elektrolyseanlagen her, die zentral für die Herstellung von grünem Wasserstoff sind. Erst kürzlich eröffnete man in Sheffield die nach eigener Aussage weltweit grösste Produktionsanlage ("Power Gigafactory"). McPhy wiederum ist neben der Herstellung von Wasserstofffabriken vor allem im Geschäft mit Wasserstofftankstellen ein grosser Player.
Brennstoffzellen: Plug Power versus Ballard Power
Um die aus dem Wasserstoff gewonnene Energie in Strom umzuwandeln, braucht es Brennstoffzellen. Hier kommen Hersteller wie die US-amerikanische Plug Power oder die kanadische Ballard Power ins Spiel. Insbesondere Plug Power wurde in den letzten Wochen, wie oben erwähnt, stark abgestraft (minus 40 Prozent). Dass um die Aktie zuvor ein Mega-Hype entstanden war, kam nicht von ungefähr. JP Morgan adelte das Unternehmen jüngst als "bestes Unternehmen seiner Branche". Plug Power hat sich eine äusserst starke Marktposition in der Brennstoffzellenherstellung erarbeitet. Anleger hoffen, dass diese bald in Gewinne umgemünzt werden können.
Ballard Power wiederrum gilt als Pionier und Weltmarktführer in der Herstellung von Brennstoffzellen. Die Hoffnungen der Anleger speisen sich darin, dass Ballard die Kosten für die Herstellung der Brennstoffzellen in den letzten Jahren um 69 Prozent senken konnte. Das Unternehmen setzt ausserdem stark auf Kooperationen mit der Industrie. In der Schifffahrt arbeiten die Kanadier mit dem Industrie-Konzern ABB an einem emissionsfreien Brennstoffzellenkraftwerk. Die Aktie von Ballard Power gilt als etwas weniger spekulativ als jene von Plug Power.
Ebenso ein Blick wert sind etwas kleinere Unternehmen wie Powercell aus Schweden oder FuelCell Energy aus den USA. Powercell hat sich vor allem zu Beginn des Wasserstoff-Hypes einen Namen gemacht, als sich im November 2019 Bosch 11 Prozent des Brennstoffzellenherstellers sicherte. FuelCell Energy wiederum baut, betreibt und wartet Brennstoffzellenkraftwerke. Beide Aktien gerieten zuletzt etwas ins Hintertreffen gegenüber den oben genannten Firmen, sind aber noch im Rennen dabei.