Grund dafür ist, dass die russische Gazprom den Gashahn zudrehen könnte, nachdem der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV einen juristischen Sieg über den Gasriesen errungen hatte: Wie am Mittwochabend bekannt wurde, hat ein Schiedsspruch unter den Regeln der Internationalen Handelskammer der OMV Schadenersatz in Höhe von 230 Millionen Euro plus Zinsen für ausgebliebene Gaslieferungen in Deutschland zugesprochen.
Die OMV will diese Summe nun über die monatliche Gasrechnung mit Gazprom für Lieferungen nach Österreich verrechnen. Da ein solcher Schritt wohl bei Gazprom auf wenig Verständnis stossen dürfte, stellt sich die OMV auf einen möglichen Lieferstopp ein.
Selbst wenn es dazu nicht kommt, könnte der Gasfluss aus Russland spätestens ab Januar 2025 ohnehin zum Stillstand kommen. Denn dann läuft der Transitvertrag mit der Ukraine aus, der die Gaslieferungen von Russland durch die Ukraine sichert. Hier die wichtigsten Punkte:
ÖSTERREICH ALS GROSSABNEHMER VON RUSSISCHEM GAS
Österreich bezieht als eines der letzten Länder in der Europäischen Union mehr als zwei Jahre nach Kriegsausbruch in der Ukraine den Grossteil seines Erdgases aus Russland. Im August kamen 82 Prozent aller Gasimporte aus dem Land. Ein Grund dafür ist, dass die OMV mit Gazprom einen Vertrag bis 2040 hat. Dieser Vertrag enthält auch eine Take-or-Pay-Klausel, welche die OMV verpflichtet zu zahlen, unabhängig davon, ob das Gas bezogen wird oder nicht. Pro Monat erhält die OMV etwa vier bis fünf Terawattstunden (TWh) Gas aus Russland. Die nächste Zahlung an Gazprom wird laut Energieexperten um den 20. November fällig, was bedeutet, dass die Lieferungen in diesem Monat oder im Dezember ausgesetzt werden könnten.
TRANSITROUTE UKRAINE
Das russische Gas fliesst über Pipelines durch die Ukraine und weiter über die Slowakei nach Österreich. Es landet gemeinsam mit Gaslieferungen aus Norwegen und anderen Ländern beim Gas-Knotenpunkt in Baumgarten nahe der slowakischen Grenze. Vor Kriegsausbruch flossen nach Angaben des Netzbetreibers Gas Connect Austria jährlich 390 Terawattstunden (TWh) über diese wichtige europäische Erdgas-Drehscheibe. Von Baumgarten aus kann Österreich Erdgas nach Italien, Tschechien oder Südosteuropa liefern. Russland liefert weiterhin Gas nach Rumänien und in die Türkei sowie Flüssigerdgas (LNG) in europäische Häfen. Mit Jahresende läuft der Transitvertrag zwischen der Ukraine und Russland aus und die Ukraine plant, diesen Vertrag nicht zu verlängern. Die österreichische Regulierungsbehörde E-Control hält es für wahrscheinlich, dass ab Januar auch tatsächlich kein Gas mehr über die Ukraine fliessen wird. Die Versorger bereiten sich darauf vor und entwickeln alternative Versorgungskonzepte.
KEINE VERSORUNGSPROBLEME
Die Regulierungsbehörde geht nicht davon aus, dass die Gasversorgung gefährdet ist. Behörden-Chef Alfons Haber begründete dies mit den zu gut 90 Prozent gefüllten Gasspeichern und dem aktuell ausreichenden Angebot am Markt. Allerdings sei damit zu rechnen, dass es bei einem Lieferstopp aus Russland kurzfristig zu Preiserhöhungen kommt - allerdings nicht auf dem Niveau wie 2022. Kompensieren könne Österreich das russische Erdgas mit LNG über Deutschland oder Italien. Auch Energieministerin Leonore Gewessler gab Entwarnung: «Die aktuellen Entwicklungen rund um den Liefervertrag der OMV für russisches Erdgas sind ernst zu nehmen, aber keine unmittelbare Gefährdung für unsere Versorgungssicherheit», schrieb Gewessler auf der Plattform X. «Österreich kann und wird ohne russisches Gas auskommen». Plötzliche Lieferunterbrechung könnten aber auf den Gasmärkten für Anspannung sorgen.
OMV SIEHT SICH GUT AUFGESTELLT
Die OMV macht sich ebenfalls wenig Sorgen, schliesslich bereitet sich das Unternehmen seit Jahren auf einen möglichen Lieferstopp aus Russland vor. Konzernchef Alfred Stern betonte mehrfach, dass die OMV ihre Kunden zur Gänze auch mit nicht-russischem Gas versorgen kann. Künftig soll die Pipeline aus Deutschland verstärkt für Importe genutzt werden. Der teilstaatliche Konzern hatte sich im Sommer zusätzlich Pipeline-Kapazitäten von 29 Terawattstunden bis 2029 gesichert. «Wir erweitern unser Portfolio, indem wir verstärkt Gas aus eigener Produktion, externe Quellen aus Norwegen und zusätzliche LNG-Mengen nutzen», so die OMV.
ÖSTERREICHS GASVERBRAUCH
Die österreichische Energieagentur beziffert den Verbrauch im Jahr 2023 mit rund 75 Terawattstunden. Das ist ein Rückgang von 17,5 Prozent zum Jahr davor. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im vergangenen Jahr 813 TWh. Aus Russland bezog Österreich rund 60 TWh. Die OMV ist mit einem Markanteil von rund 40 Prozent der Primus auf dem österreichischen Gasmarkt, aber nicht der einzige Importeur von russischem Erdgas. In Österreich sind insgesamt rund 170 Gashändler tätig.
(Reuters)