Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal langsamer gewachsen als bislang angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt legte von Juli bis September um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zu, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Eine frühere Schätzung hatte ein Plus von 0,2 Prozent ergeben. Im zweiten Quartal war die Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft. Zwei Minus-Quartale in Folge hätten eine technische Rezession bedeutet. Ökonomen sagten in ersten Reaktionen:
Andreas Scheuerle, Dekabank:
«Deutschland befindet sich in einer quälend langen Stagnationsphase. In toxischer Art und Weise verbinden sich seit geraumer Zeit konjunkturelle und strukturelle Probleme in Deutschland. Während sich die konjunkturellen Belastungen allmählich ausschleichen, bleiben wir auf den strukturellen Problemen so lange sitzen, bis die Politik den grossen (Reform-)Wurf wagt.»
Jens-Oliver Niklasch, LBBW:
«Die Zahlen liegen schon etwas dichter an der Wahrnehmung der Konjunktur und der Mehrzahl der Indikatoren als die erste Schätzung. Faktisch tritt die Wirtschaftsleistung in Deutschland auf der Stelle – bestensfalls. Erfreulich ist allenfalls, dass sich der private Verbrauch nun endlich etwas besser entwickelt. Wenn man die Zahlen zur Bruttowertschöpfung betrachtet, gab es ein Minus in eigentlich allen marktnahen Wirtschaftszweigen. Gewachsen sind eigentlich nur der öffentliche Dienst und das Gesundheits- und Erziehungswesen. Mehr oder weniger sind das Bereiche, die von Beiträgen und Steuern finanziert werden. Insgesamt unterstreichen die Daten einmal mehr das Ausmass der aktuellen Krise in Deutschland.»
Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor IMK-Institut:
«Die Details zum Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal zeigen, dass die deutsche Wirtschaft noch nicht den Absprung aus der langen Stagnation geschafft hat. Zwar hat sich der Privatkonsum wieder etwas besser entwickelt, aber das Plus ist noch sehr bescheiden. Auch sind die Investitionen schwach. Das Plus im dritten Quartal dürfte deshalb zunächst erst einmal nur ein Ausreisser, nicht aber eine Trendwende gewesen sein.
Erst im Laufe des kommenden Jahres könnte sich die Konjunktur allmählich erholen. Steigende Löhne und niedrige Inflation führen dann über höhere Kaufkraft zu mehr Konsum – zumindest, wenn nicht die neue Regierung etwa über Rentenkürzungen, Abgabenerhöhungen oder andere Sozialkürzungen das Verbrauchervertrauen weiter belastet.»
Thomas Gitzel, Chefökonom
«Wie geht es nun weiter? Zwei gegenpolige Effekte sind derzeit auszumachen. Die rückläufigen Inflationsraten und steigende Löhne führen zu einer Verbesserung der Einkommenssituation privater Haushalte, doch andererseits nehmen die Jobunsicherheiten zu. Grosse Automobilhersteller kündigen Entlassungen an und auch bei den Zulieferern bestehen Personalüberhänge. Wer sich nicht sicher ist, wie es mit seinem Job weitergeht, gibt auch nichts aus. Gleichzeitig dürfte das Investitionswachstum mager ausfallen. Die Hoffnungen ruhen derweil auf niedrigeren Zinsen, und dass sich dadurch das Unternehmerlager doch noch zu Investitionen aufrafft. Niedrigere Zinsen können auch der angeschlagenen Bauwirtschaft frischen Winde einhauchen. Doch in Anbetracht der hohen Exportabhängigkeit Deutschlands werden selbst Effekte aus niedrigeren Zinsen nicht zu einem üppigen Wachstum führen.»
(Reuters)