Für die sächsischen und thüringischen Unternehmen, die auch im globalen Wettbewerb stünden, könne sich der Arbeitskräftemangel weiter verschärfen, sagte die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer der Nachrichtenagentur Reuters. «Unternehmensnachfolgen würden erschwert, gegebenenfalls könnte das zu Firmenaufgaben führen», sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates.

Staatliche Institutionen, medizinische und Bildungseinrichtungen litten ebenfalls unter Fachkräftemangel und würden dadurch weiter ihre Leistungen verringern müssen. Beide Freistaaten hätten seit der Wiedervereinigung etwa ein Fünftel der Bevölkerung verloren. Einige Landkreise dürften in den kommenden Jahren weitere 20 bis 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung verlieren. «Der jetzt schon bestehende Fachkräftemangel wird sich also noch weiter verschärfen», sagte die Top-Ökonomin und fügte mit Blick auf die AfD hinzu: «Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen.»

Abwanderung von Unternehmen

Vor allem die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt, sagte auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Er halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse zu einer Abwanderung von Unternehmen und auch Fachkräften führen werde. «Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren», sagte der Ökonom. «Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben.»

Besorgt äusserte sich auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft. «Für die Wirtschaft kann das nichts Gutes verheissen, denn es braucht politische Berechenbarkeit, institutionelle Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen», sagte IW-Direktor Michael Hüther zu Reuters. Da die Bundesebene ihren Einfluss auf die Wahlergebnisse gehabt haben dürfte, müssten auch dort die Herausforderungen entschlossen angegangen werden. «Eins ist klar: Mehr Sozialpolitik hält Menschen nicht von der Wahl populistischer Parteien ab», sagte Hüther. «Da Abstiegsängste und Entwertungserfahrungen einen grossen Einfluss haben, braucht es vielmehr den vorsorgenden Investitionsstaat statt des nachsorgenden Sozialstaates.»

«Ein Warnsignal»

Wirtschaftsverbände zeigen ebenfalls besorgt. «Für die Digitalwirtschaft sind die Wahlergebnisse aus Sachsen und Thüringen ein Warnsignal», sagte der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Ralf Wintergerst. «Deutschland muss ein Land bleiben, das für Weltoffenheit und Innovationsfreude steht.» Diese Werte würden weder AfD noch BSW vertreten. Ohne qualifizierte Zuwanderung könne Deutschland seinen Fachkräftebedarf nicht decken. «Die geplanten Halbleiterfabriken in Sachsen werden wir ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht betreiben können», sagte Wintergerst. «Solche Spitzenkräfte können ihren Arbeitsort frei wählen.»

(Reuters)