cash.ch: Stephen Dover, Sie sind Chefstratege beim Franklin Templeton Institute. Wie sind Sie in diese Position gekommen?

Stephen Dover: Mein Hintergrund liegt im Investmentbereich, hauptsächlich als Portfoliomanager für globale Aktien. Seit über 30 Jahren arbeite ich bei Franklin Templeton und habe in verschiedene Länder und Märkte investiert, darunter Kanada, Japan, China, Indien und Deutschland. Nach verschiedenen Rollen, darunter Chief Investment Officer (CIO) für Schwellenländer und später CIO für Aktien, habe ich die Position des Chef-Marktstrategen am Franklin Templeton Institute übernommen. In dieser Aufgabe vertrete ich unsere unabhängigen Vermögensverwaltungsteams und integriere ihre Perspektiven zu einer kohärenten Sicht.

Was zeichnet Ihre Herangehensweise an die Investmentwelt aus?

Da ich selbst viele Jahre lang als Investor tätig war, ergibt sich der Mehrwert meiner Empfehlungen oft aus einer Bottom-up-Analyse, anstatt auf Top-down-Ansätze zu setzen. Diese Perspektive unterscheidet mich von vielen, die vorrangig als Ökonomen tätig sind.

Das marktbeherrschende Thema sind die Auswirkungen der kommenden Trump-Präsidentschaft. Wie ordnen Sie die Ausgangslage ein?

Es ist etwas anderes, wenn man den Fokus auf den US-Markt legt. Dieser zeigt kurzfristig eine positive Reaktion auf ihn. Gründe dafür sind niedrigere Unternehmenssteuern und deutliche Reduzierungen von Regulierungen. Trump hat vor, keine neuen Vorschriften zu erlassen und bestehende zu reduzieren, was von US-Unternehmen, grossen wie kleinen, begrüsst wird.

Was sind die Herausforderungen?

Derzeit laufen gegen viele Unternehmen im S&P 500 Ermittlungen des Justizministeriums. Unter Trump könnten viele dieser Fälle fallengelassen werden, was ein positives Geschäftsumfeld schaffen würde. Jedoch sorgen Zölle und die damit verbundene Unsicherheit für Besorgnis. Viele Unternehmen hoffen, dass Trump pragmatisch agiert und sich an wirtschaftliche Realitäten hält.

Wie ordnen Sie die Gefahr durch die Zölle ein?

Die vorgeschlagenen 20 Prozent Zölle gelten als schlecht für das Wirtschaftswachstum. Sie werden jedoch wahrscheinlich selektiv eingesetzt, um amerikanischen Unternehmen zu helfen. Unternehmen könnten die Regierung dazu einsetzen, Zölle gegen Konkurrenten zu verhandeln und Handelsvorteile zu sichern.

Was bedeutet dies für Europa?

Aus europäischer Sicht könnte es problematisch sein, dass die Trump-Regierung bestrebt ist, globale Unternehmen von Europa in die USA zu verlagern. Trump will nicht nur niedrigere Steuern, sondern auch weniger Regulierung und eine bessere Wettbewerbsfähigkeit für US-Unternehmen schaffen. Die Zölle werden strategisch eingesetzt, um diese Ziele zu erreichen.

Europa ist in einer schwachen Position …

Europa wird sich wahrscheinlich in einer schwachen Position befinden, insbesondere wegen Zöllen und Regulierungen. Zölle könnten europäische Unternehmen dazu zwingen, ihre Produktion in die USA oder andere Länder zu verlagern, da das regulatorische Umfeld in Europa strenger ist und es oft einfacher ist, in den USA zu operieren. Das Ziel der Trump-Administration ist es, Unternehmen dazu zu bringen, Europa zu verlassen.

Sind die fallenden europäischen Aktienmärkte seit den US-Präsidentschaftswahlen Anfang November ein Zeichen dafür?

Das ist wahrscheinlich ein Teil der Erklärung: Viele Investoren sind unsicher bezüglich Europa.

Rechnen Sie wegen Trump mit höherer Inflation und einer weniger dovishen Geldpolitik durch die US-Notenbank Fed?

Inflation bedeutet einen anhaltenden Anstieg der Preise. Zölle führen hingegen zu einem einmaligen Preisanstieg und sind technisch gesehen nicht dasselbe. Eine einmalige Preiserhöhung durch Zölle würde durch eine Zinserhöhung wenig beeinflusst werden, da höhere Zinssätze normalerweise die Nachfrage und die Preise senken sollen.

Die Fed kann zollbedingte Preisanstiege nicht bekämpfen?

Die Federal Reserve ist gegen zollbedingte Preisanstiege machtlos. Das wird eine Herausforderung für den Fed-Vorsitzenden Powell. Da ökonomische Daten immer rückblickend sind, wird es schwer sein, proaktiv zu handeln. 

Was will Trump in Bezug auf die US-Notenbank?

Trump könnte eine dovishere (Zinssenkungen bevorzugende, Red.) Fed wollen, aber der Anleihenmarkt sieht in Trumps Politik Anzeichen für potenzielle Inflation. Der Aktienmarkt und der Anleihenmarkt senden unterschiedliche Signale.

Wer liegt richtig?

Historisch gesehen hatte der Anleihemarkt oft Recht, was ein erhebliches Risiko für Trump darstellt. Die Bond Vigilantes könnten wieder aktiv werden, insbesondere angesichts der Zölle und des wachsenden Defizits. An einem bestimmten Punkt wird es riskanter, Staatsanleihen zu halten, da Investoren nicht nur mit Zinsen, sondern auch mit Inflation zu kämpfen haben. Das könnte bedeuten, dass sie ihre Investitionen in realer Kaufkraft nicht zurückerhalten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Finanzierung der US-Schulden. Das Finanzministerium hat zunehmend auf kurzfristige Schuldscheine anstelle von langfristigen Anleihen gesetzt. Steigen die Zinssätze, muss die Regierung zu höheren Kosten refinanzieren. Gleichzeitig haben wir einen Rückgang der Käufe aus Ländern wie China und Japan erlebt, was die Situation verschärfen könnte.

Was könnte der entscheidende Auslöser sein?

Ein bekanntes Zitat besagt: „Wie sind Sie bankrott gegangen? Langsam und dann plötzlich.“ So könnte es auch hier ablaufen. Der Anleihemarkt zeigt bereits Anzeichen von Vorsicht. Vor einigen Monaten war die Erwartung, dass die Federal Reserve die Zinsen senken würde und damit auch die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihe fallen würde. Doch das ist nicht geschehen, was darauf hindeutet, dass das Risiko gestiegen ist und die Wahrscheinlichkeit einer Inflation oder stärkerem Wachstum zugenommen hat. Wenn Fachleute Unternehmen bewerten, verwenden sie oft einen diskontierten Cashflow. Steigende Zinssätze senken den Barwert dieser Bewertungen. Warum sollten Aktien also steigen, wenn höhere Diskontierungssätze suggerieren, dass sie sinken sollten? Hier besteht eine klare Diskrepanz, die auf ein potenziell heikles Szenario hinweist.

Wie sehen Sie die geopolitischen Risiken in der Ukraine, dem Nahen Osten und Taiwan?

Der Markt preist geopolitische Risiken oft schlecht ein, da deren Auswirkungen schwer zu kalkulieren sind. Konflikte im Nahen Osten könnten beispielsweise die Ölpreise beeinflussen. Europa steht vor wirtschaftlichen Herausforderungen und plant eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Wahrscheinlich besteht die grösste Herausforderung für Investoren jedoch darin, die Aussichten der chinesischen Wirtschaft einzubeziehen. China muss seine Wirtschaft wachsen lassen, ähnlich wie Japan 1992 und der Westen 2008. Das Land hat erhebliche Schulden. Eine empfohlene Lösung ist, den Konsum zu steigern.

Ist Konsum also das Rezept für Wachstum?

Es gibt drei Hauptwege für wirtschaftliches Wachstum: Exporte, Infrastruktur und Konsum. In den USA beträgt der Konsum 70 Prozent des BIP, in Europa etwa 50 Prozent, und in China nur 30 Prozent. Chinas Wachstum in den letzten 40 Jahren basierte hauptsächlich auf Exporten und Infrastruktur, insbesondere im Immobiliensektor.

Was wären die Konsequenzen einer Kehrtwende?

Das Handelsdefizit mit China trägt zu den Zollstreitigkeiten bei. Wenn China seinen Konsum steigert, könnten die Konflikte mit den USA abnehmen. Ich glaube, dass es Potenzial für eine Einigung mit China gibt. Ein inhärenter Konflikt besteht meiner Meinung nach nicht zwangsläufig. 

Welche versteckten Risiken in den Finanzsystemen sollten Anleger derzeit beachten?

Der globale Aktienmarkt ist stark auf Amerika konzentriert: Vor 20 Jahren lag der Anteil der USA an der globalen Marktkapitalisierung bei etwas über 40 Prozent, heute sind es fast 65 Prozent. Ob dieser Anteil weiter steigen wird, bleibt abzuwarten. Innerhalb Amerikas konzentriert sich der Aktienmarkt zudem auf nur wenige Technologieaktien. Hoffentlich wird sich der Markt künftig breiter aufstellen, mit einer grösseren Auswahl an globalen Aktien sowie einer breiteren Diversifizierung innerhalb der US-Aktien,

Wo liegt die Problematik?

Europa hat wirtschaftliche Schwierigkeiten, ist aber im Vergleich sehr günstig bewertet. In den USA verschleiern die Wirtschaftskennzahlen, dass Gewinne und Wachstum stark auf den Technologiesektor und Ausgaben für künstliche Intelligenz konzentriert sind.

Sollten Anleger noch in Tech und Künstliche Intelligenz investieren, oder ist es zu riskant?

Es ist wahrscheinlich noch nicht zu spät, aber Vorsicht ist geboten. Der US-Markt sieht stark aus, aber ohne die sieben grosse Technologieaktien, würde er nicht viel besser dastehen als der europäische Markt. Ein breiteres Marktengagement könnte sich lohnen, da der Markt diversifizierter wird. Die Frage ist, woher weiteres Gewinnwachstum kommen soll. 

Sind Sie überrascht, dass grosse US-Investoren bedeutende Positionen in US-Technologieunternehmen verkauft haben?

Der Kontext ist dabei entscheidend:

  • Für Anleger mit viel Kapital, die nach neuen Anlagemöglichkeiten suchen, könnte dies eine Warnung sein.
  • Für diejenigen, die ihr bestehendes Portfolio neu ausrichten möchten, könnte es sinnvoll sein, einige Gewinne mitzunehmen.
  • Für junge Anleger mit einem langfristigen Anlagehorizont (beispielsweise 30 Jahre) halte ich es weiterhin für sinnvoll, in Technologie zu investieren. Das habe ich auch meinen Kindern geraten.

Was sind Ihre aktuell besten Investment-Tipps?

Viele Anleger haben wahrscheinlich hohe Wertsteigerungen erlebt, daher wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, ihre Positionen neu zu bewerten. Überlegen Sie, ob Sie wirklich so stark in Künstliche Intelligenz investieren möchten oder ob Sie zurückschrauben sollten. Ein diversifiziertes Portfolio ist ratsam – investieren Sie also nicht nur in den USA, sondern auch global. Märkte wie Japan und Indien könnten gute Alternativen zur Desinvestition aus den USA sein. Der chinesische Markt könnte langfristig wieder attraktiver werden.

Welche Anlagemöglichkeiten sehen Sie neben Aktien?

Im Anleihenmarkt war ich in den letzten Jahren optimistisch, aber jetzt sind die Risiken grösser. Unternehmensanleihen könnten eine Option sein, aber aufgrund der engen Spreads ist Vorsicht geboten. Die Trump-Regierung könnte positiv für Aktien mit geringer Marktkapitalisierung sein, die von weniger Regulierung und Übernahmemöglichkeiten profitieren. Das könnte auch Private Equity und Private-Equity-Sekundärfonds zugutekommen. Jeder sollte in Immobilien investieren und diversifizieren, sei es durch Gewerbeimmobilien oder private Wohnkäufe. Allerdings sind wir der Meinung, dass der Büromarkt weiterhin schwächer wird und besser gemieden werden sollte.

Wie beurteilen Sie Investments in Kryptowährungen?

Wir glauben, dass digitale Plattformen zukünftig einen erheblichen Einfluss auf die Finanzmärkte haben werden, besonders durch die Tokenisierung von Investitionen. Und Trump scheint Kryptowährungen gegenüber positiv eingestellt, was zukünftige Regulierungen begünstigen könnte. Kryptowährungsunternehmen spielten eine grosse Rolle bei den Wahlkampagnen und unterstützten Kandidaten beider Parteien. Dies zeigt ihre strategische Position im aktuellen politischen Geschehen.

Und welche Kryptowährungen sehen Sie als geeignetes Investment?

Ich teile Kryptowährungen in zwei Kategorien ein:

  1. Wertspeicher wie Bitcoin, das ähnlich wie Gold funktioniert. Es ist schwierig, Bitcoin zu bewerten, da sein Preisangebot nur auf Angebot und Nachfrage basiert.
  2. Digitale Währungen wie Ethereum, die tatsächlich ein Produkt liefern und einen Einkommensstrom generieren, ähnlich wie Softwareunternehmen. Diese können durch diskontierten Cashflow bewertet werden.

Während Bitcoin schwer zu bewerten ist, könnten andere digitale Währungen, die bewertbar sind, in einem breit diversifizierten Portfolio sinnvoll sein.

Stephen Dover ist Chefmarktstratege und Leiter des Franklin Templeton Institute. Er nutzt die Expertise unabhängiger Anlageteams, um internationalen Kunden Einblicke in globale Kapitalmärkte und langfristige Anlagestrategien zu bieten. Zudem ist Dover Mitglied des Exekutivkomitees von Franklin Resources, das die Unternehmensstrategie gestaltet.

Zuvor war Dover Executive Vice President und Leiter der Aktienteams sowie Chief Investment Officer der Emerging Markets Equity Group bei Franklin Templeton. Er gründete und leitete auch Bradesco Templeton Asset Management (BTAM). Vor seinem Eintritt bei Franklin Templeton 1997 war er Portfoliomanager bei Vanguard und arbeitete für Towers Perrin Consulting in New York, London und San Francisco. Im Laufe seiner Karriere lebte Dover in China, Europa, Brasilien und den USA. Er hat einen B.A. vom Lewis and Clark College, einen M.B.A. von der Wharton School der University of Pennsylvania und ist Chartered Financial Analyst (CFA). Er ist Mitglied des Kuratoriums des Lewis and Clark College und der Law School.

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