Es werden heisse Tarifverhandlungen, die bei Volkswagen (VW) an diesem Mittwoch anlaufen: Der Wolfsburger Autobauer will angesichts massiver Überkapazitäten in Deutschland sparen und droht dabei mit Werksschliessungen.
500'000 Autos verkauft VW in Europa weniger als vor Ausbruch der Corona-Pandemie, so sagt VW-Finanzchef Arno Antlitz - und diese Autos kämen auch nicht wieder. Das entspreche der Produktion von zwei Werken. In der Tat laufen in den VW-Fabriken viel weniger Autos vom Band als vor einigen Jahren. Eine Reuters-Untersuchung zu sechs Autobauern mit Werken in Europa zeigt aber, dass die Wolfsburger nicht die einzigen mit diesem Problem sind - vor allem in Westeuropa.
Auch Ford, Renault und Stellantis haben mit Überkapazitäten zu kämpfen, wie aus Daten des Analysehauses GlobalData hervorgeht, die Reuters vorliegen. Zum Teil sind diese Überkapazitäten sogar grösser als bei Volkswagen.
Im Schnitt lag die Auslastung der Werke in Europa 2023 bei 60 Prozent, das sind zehn Prozentpunkte weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019. Die Überkapazitäten konzentrieren sich auf Westeuropa: In Deutschland, Frankreich, Italien und Grossbritannien liegt die Auslastung nur bei 54 Prozent nach 65 Prozent vor der Krise. Ganz anders in Spanien, der Türkei, der Slowakei und Tschechien, wo die Lohnkosten niedriger sind: Im Schnitt sank die Auslastung dort nur von 83 auf 79 Prozent.
Wie hoch die Auslastung sein muss, damit ein Autobauer mit einem Werk Geld verdient, ist unterschiedlich und hängt davon ab, ob ein Spitzenmodell mit hoher Marge oder ein Kleinwagen gebaut wird, an dem nur wenig zu verdienen ist. Die Autobauer äussern sich nicht dazu. In der Branche wird aber immer wieder eine Auslastung von 70 Prozent genannt, um die Gewinnschwelle zu erreichen. Die Produktionsvorstände in der Autobranche steuern ihre Werke meist auf eine Auslastung von 80 bis 90 Prozent aus, um möglichst kosteneffizient zu arbeiten, aber auch Luft für Wartung und Modellwechsel zu lassen.
Hohe Kosten oder Mobilität für alle?
GlobalData-Experte Justin Cox sagt, Politik und Gewerkschaften hätten Volkswagen einen «Giftkelch» mit ihrer Forderung gereicht, teure Elektroautos in Deutschland zu produzieren, die sich nicht so gut verkauften wie erhofft. Die Gewerkschaften werben immer wieder für günstigere Fahrzeuge, mit denen die Auslastung steigen soll. «Premiumkosten und Mobilität für alle passen nicht zusammen», sagt VW-Finanzchef Antlitz. «Das trifft besonders auf unsere deutschen Werke zu, in denen derzeit der Grossteil der Elektroautos gebaut wird.»
Nach Berechnungen des Branchenverbandes VDA sind die Lohnkosten in Deutschland so hoch wie in keinem anderen Land. 2022 waren es 59 Euro je Stunde, verglichen mit 21 Euro in Tschechien und 16 Euro in Ungarn.
Zugleich geht der Autoabsatz in Europa zurück. Gerade Elektroautos sind derzeit Ladenhüter. «Wir fordern Volkswagen auf, mehr Modelle aufzulegen, die sich normale Verbraucher leisten können - ein billiges Elektroauto oder ein billiger Verbrenner», sagte Stephan Soldanski, Gewerkschafter aus Osnabrück, wo eines der VW-Werke steht.
Das Werk wurde einst vom Cabrio-Spezialisten Karmann übernommen, als diese in die Pleite rutschte, und gehört mit 30 Prozent zu den Schlusslichtern bei der Auslastung. Dort werden zwei Porsche-Modelle und das T-Roc-Cabrio gebaut - bei allen dreien ist aber 2026 Schluss. «Wir brauchen Ideen ... wir wollen keinen langsamen Tod», fordert Soldanski.
Andere Firmen haben bereits Kapazitäten abgebaut
Antlitz spricht von ein bis zwei Jahren, die Volkswagen noch hat, um das Blatt zu wenden. Neue Wettbewerber aus China drängen auf den Markt und bauen selbst Fabriken auf, um Strafzölle zu umgehen. Firmen wie Elektroauto-Marktführer BYD oder Chery errichten ihre Werke in Ländern wie Ungarn, Polen oder der Türkei, um von niedrigen Löhnen zu profitieren. Entsprechend steigt der Druck auf die Fabriken im Westen.
Und so stehen bei VW die Arbeitskosten im Mittelpunkt, die Kapazitäten sollen gesenkt werden. Die Wolfsburger haben deshalb die seit drei Jahrzehnten geltende Beschäftigungssicherung aufgekündigt - neben weiteren Tarifverträgen. Andere Autobauer sind schon weiter: Renault hat im Rahmen eines drei Milliarden Euro schweren Sparpakets seit 2021 tausende Stellen gestrichen. Bei Stellantis werden Ende des kommenden Jahres fast 20.000 Menschen weniger arbeiten als 2021. Ford schliesst das Werk in Saarlouis.
Inzwischen liegt die Rendite bei Stellantis weit über der von Volkswagen. Der aus der Fusion von Fiat Chrysler und Peugeot entstandene Konzern, zu dem auch Opel gehört, hat auch billigere Elektroautomodelle im Angebot. «Sie steuern seit Jahrzehnten ihre Werke in Ländern mit höheren Löhnen und in denen mit niedrigeren Löhnen. Nichts hat sich geändert», sagte Georg Leutert, bei der Gewerkschaftsvereinigung IndustriAll für die Autobranche zuständig. «Man kann den Arbeitern nicht die Schuld geben.»
(Reuters)